TE OGH 1989/9/12 10ObS226/89

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Veröffentlicht am 12.09.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Peterlunger (Arbeitgeber) und Mag.Holub (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Stefan G***, Tischler, Neustiftgasse 6, 2434 Götzendorf, vertreten durch Dr.Josef Sailer, Rechtsanwalt in Bruck an der Leitha, wider die beklagte Partei A*** U***, Adalbert Stifter-Straße 65, 1200 Wien,

wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10.März 1989, GZ 32 Rs 2/89-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11.August 1988, GZ 13 Cgs 1325/87-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit

S 2.357,65 !darin S 214,35 Umsatzsteuer bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung sowie die mit S 3.087 !darin

S 514,50 Umsatzsteuer bestimmten Kosten der Revision binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 21.Dezember 1968 geborene Kläger stürzte am 4. September 1986 mit seinem Moped und wurde dabei verletzt. Mit Bescheid vom 18.November 1987 lehnte die Beklagte Partei den Anspruch des Klägers auf Entschädigung aus Anlaß des Unfalles vom 4. September 1986 ab, weil kein Arbeitsunfall vorliege. Das Erstgericht sprach aus, daß die Gesundheitsstörung des Klägers Folge eines von ihm erlittenen Arbeitsunfalles vom 4. September 1986 sei, wies aber das Begehren auf Gewährung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß ab und sprach dem Kläger die Verfahrenskosten zu.

Es traf folgende Feststellungen:

Der Kläger war am 4.September 1986 als Lehrling im Tischlereibetrieb Schranz in Gramatneusiedl beschäftigt. Die übliche Arbeitszeit des Klägers war von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr. An diesem Tag beendete der Kläger seine Arbeit ungefähr um 16.00 Uhr, wusch sich danach und zog sich um. Er sprach dann noch eine Weile mit seinem Vorgesetzten und dessen Angehörigen, welche im Betrieb Schranz arbeiten. Dieses weitere Bleiben von ungefähr 16.00 Uhr bis 17.00 Uhr erfolgte im übrigen regelmäßig. Üblicherweise fuhr der Kläger auch an anderen Tagen um ca. 17.00 Uhr vom Betrieb nach Hause. Als der Kläger am 4.September 1986 um 17.00 Uhr nach Hause fahren wollte, bemerkte er, daß es regnete. Der Kläger verschob daher seine Abfahrt und kam mit den übrigen Beschäftigten ins Plaudern. Dabei hielten sich alle Beteiligten in der Werkstätte auf, es wurde auch etwas getrunken. Der Kläger selbst nahm keine alkoholischen Getränke zu sich. Um ungefähr 19.30 Uhr entschloß sich der Kläger, als auch die anderen aufzubrechen beabsichtigten, den Heimweg anzutreten. Zu diesem Zeitpunkt hatte es zu regnen aufgehört, die Straße war schon fast trocken. Der Kläger blieb selten, im wesentlichen etwa ein- bis zweimal im Monat bis 19.00 Uhr oder 19.30 Uhr im Betrieb seines Dienstgebers, dies nur dann, wenn es auf Grund der Wetterverhältnisse (Regenfall) dazu kam, daß er den Heimweg nicht sofort antreten konnte. Um ca. 20.00 Uhr kam der Kläger auf dem Heimweg nach Götzendorf mit seinem Kleinmotorrad im Ortsgebiet von Neureisenberg in einer Linkskurve von der Fahrbahn ab, geriet auf den Gehsteig und kam zu Sturz. Er erlitt einen knöchernen Ausriß des vorderen Kreuzbandes, eine Rißquetschwunde im Gesicht und Hautabschürfungen. Er befand sich wegen der Unfallfolgen bis zum 9.Dezember 1986 im Krankenstand. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit betrug zum Zeitpunkt der Beendigung des Krankenstandes maximal 10 % für die ersten drei Monate, danach unter 10 %.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, der örtliche Zusammenhang des Weges des Klägers mit seiner die Versicherung begründenden Beschäftigung sei jedenfalls zu bejahen. Durch den späteren Antritt der Heimfahrt sei aber auch der zeitliche und ursächliche Zusammenhang mit der Beschäftigung noch nicht gelöst worden. Der Kläger habe seine Heimfahrt zunächst gerechtfertigt, weil risikomindernd aus witterungsbedingten Umständen verschoben, wenn auch der weitere Aufenthalt in der Betriebsstätte neben dem Abwarten besseren Wetters auch Gesprächen mit Mitbeschäftigten gedient habe. Die Verschiebung habe überdies keine Vermehrung der Risken und damit keine unzumutbare Vergrößerung des Risikos für den Versicherungsträger mit sich gebracht. Allfällige schlechtere Sichtverhältnisse wegen einbrechender Dämmerung seien beim Lenken eines Kleinmotorrades weniger schwerwiegend als Regenwetter. Es liege daher ein Arbeitsunfall vor. Da die dadurch eingetretene Minderung der Erwerbsfähigkeit das rentenbegründende Ausmaß des § 203 ASVG nicht erreiche, sei das Begehren auf Zuerkennung einer Versehrtenrente abzuweisen.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge und wies das Feststellungs- und Leistungsbegehren des Klägers ab. Voraussetzung für den Versicherungsschutz des Heimweges von der Arbeitsstätte sei, daß der Heimweg grundsätzlich sofort angetreten werde. Durch eine unangemessen lange, sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Heimweges werde der Zusammenhang mit dem Betrieb gelöst. Eine Verzögerung der Heimfahrt vom Betrieb um etwa zwei bis drei Stunden im Hinblick auf bestehende Sichtund Witterungsverhältnisse stelle keine unzumutbare Vergrößerung des Risikos für den Versicherungsträger dar, wenn auch andere Umstände, die eine Vermehrung der Risken bewirken könnten, nicht vorlägen. Fest stehe, daß es in der fraglichen Zeit nicht ununterbrochen geregnet habe und der Regen jedenfalls weit vor 19.30 Uhr bereits aufgehört habe, weil die Straße zum Großteil bereits trocken gewesen sei. Für die so späte Heimfahrt habe kein zwingender Grund bestanden, der Kläger habe sich vielmehr verplaudert. Der Unfall habe sich ca. um 20.00 Uhr ereignet. Zu diesem Zeitpunkt sei es Anfang September zumindest dämmerig, wenn nicht sogar finster. Der verspätete Heimweg sei ohne zwingenden Grund und lediglich im eigenwirtschaftlichen Interesse zu spät erfolgt, überdies sei durch die Dämmerung oder Finsternis eine Gefahrenerhöhung eingetreten, der Unfall stehe daher nicht mehr unter Versicherungsschutz.

Rechtliche Beurteilung

Die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist berechtigt.

Nach § 175 Abs. 1 ASVG sind Arbeitsunfälle Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Gemäß Abs. 2 leg cit sind Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich auf einem mit der Beschäftigung nach Absatz 1 zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte ereignen.

Während einer privaten Verrichtungen dienenden erheblichen Unterbrechung des Weges besteht kein Versicherungsschutz. Nach Beendigung der Unterbrechung ist auf dem weiteren Weg nach oder vom Ort der Beschäftigung jedoch grundsätzlich Versicherungsschutz wieder gegeben. Der Versicherungsschutz lebt nur in Ausnahmefällen nicht wieder auf, wenn aus der Dauer und Art der Unterbrechung auf eine endgültige Lösung des Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg vom Ort der Tätigkeit geschlossen werden kann (vgl. Brackmann, Handbuch 60. Nachtrag 487 a, 487 g). Gleiche Grundsätze gelten auch, wenn nicht ein schon begonnener Arbeitsweg unterbrochen und dann fortgesetzt, sondern der Arbeitsweg verspätet angetreten wird. Maßgeblich sind dabei die Umstände des Einzelfalles, Art und Dauer der Verrichtung im Einzelfall, das Zeitmoment ist nur eines von mehreren Wesensmerkmalen. Es ist zu beurteilen, ob der Beschäftigte den Weg vom Ort der Tätigkeit nur unterbricht und dann den Heimweg fortsetzt oder verspätet antritt, oder ob nach natürlicher Betrachtungsweise die private Verrichtung nach Arbeitsschluß so bestimmend war, daß der Weg nach ihrer Beendigung als Weg von dieser Verrichtung und nicht mehr von der Arbeitsstätte im Sinne des § 175 Abs. 2 ASVG anzusehen ist (vgl. Brackmann aaO 478 h).

Dem Versicherten steht die Wahl des Verkehrsmittels, das er für den Arbeitsweg benützt, grundsätzlich frei. Die freie Wahl des Verkehrsmittels führt dazu, daß bei notwendigem Warten, etwa auf die Beförderung oder bei Erhöhung der Weggefahren, hier Regenschauer für ein einspuriges Fahrzeug, der Versicherungsschutz jedenfalls weiterbesteht (Brackmann aaO 486 h I, Tomandl System 4.ErgLfg 312). Im vorliegenden Fall faßte der Kläger den Entschluß, den Heimweg nicht wie üblich gegen 17.00 Uhr anzutreten, zunächst nur wegen herrschenden Regenfalles. Nach den Feststellungen hatte es zum Zeitpunkt des Antrittes des Heimweges zu regnen aufgehört und die Straße war schon fast trocken. Da die Straße noch nicht zur Gänze aufgetrocknet war, kann angenommen werden, daß die Regenfälle noch durch einige Zeit über 17.00 Uhr hinaus angedauert haben, sodaß jener Zeitraum, um den der Kläger ohne berücksichtigungswürdige Gründe, nämlich nur, weil er sich verplaudert hat, die Heimfahrt verspätet angetreten hat, nicht so erheblich erscheint, daß dadurch die betriebliche Beziehung gelöst und der anschließende Heimweg von der Beschäftigung nur mehr als Weg von ausschließlich privaten Verrichtungen angesehen werden kann. Bleibt es doch bei einer bloß zeitlichen Verschiebung aber beim üblichen Arbeitsweg. Es ist dem Berufungsgericht auch nicht beizupflichten, daß durch die eingetretene Verspätung eine erkennbare Erhöhung der Weggefahr eingetreten wäre. Am Unfalltag, dem 4.September 1986, war Sonnenuntergang um 19.32 Uhr (Wiener Zeitung vom 4.September 1986 Kalenderblatt), sodaß jedenfalls noch Tageslicht gegeben war, ganz abgesehen davon, daß das Befahren einer öffentlichen Straße bei Dunkelheit mit einem ordnungsgemäß beleuchteten Fahrzeug keine besondere Gefahr darstellt, die zu einem Versicherungsausschluß führen könnte, muß doch der Heimweg von der Arbeitsstätte in den Wintermonaten bei den üblichen Arbeitsschlußzeiten jedenfalls bei Dunkelheit zurückgelegt werden.

Zu Recht hat daher das Erstgericht das Vorliegen eines Arbeitsunfalles bejaht.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs. 2 ASGG.

Gerichtskostenmarken konnten nicht zugesprochen werden, da eine Verpflichtung des Klägers zu deren Entrichtung im Gesetz nicht vorgesehen ist.

Anmerkung

E18768

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00226.89.0912.000

Dokumentnummer

JJT_19890912_OGH0002_010OBS00226_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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