Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Reinhard Drössler (AG) und Walter Benesch (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Heinz P***, Schulz-Straßnitzki-Gasse 11/6, 1090 Wien, vertreten durch Dr.Erika M***, Kammer für Arbeiter und Angestellte, diese vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER
A***, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung von Versicherungszeiten, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27.Feber 1989, GZ 34 Rs 235/88-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 4.August 1988, GZ 2 Cgs 80/88-7, abgeändert wurde, den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Mit Bescheid vom 2.Mai 1988 stellte die beklagte Partei über Antrag des Klägers zum Stichtag 1.Feber 1988 Versicherungszeiten des Klägers, insgesamt 399 Versicherungsmonate fest.
Der Kläger begehrt, über die festgestellten Versicherungszeiten hinaus, für die Zeit vom Mai 1955 bis Dezember 1957 weitere 31 (rechnerisch richtig 32) Versicherungsmonate festzustellen. Er habe für diesen Zeitraum Beiträge nach dem Handelskammeraltersunterstützungsgesetz (HAUG) entrichtet und dadurch Beitragszeiten nach § 115 Abs 1 Z 2 GSVG erworben. Die beklagte Partei wandte ein, der Kläger sei mangels einer Gewerbeberechtigung nicht Kammermitglied gewesen, eine Pflichtversicherung sei nicht vorgelegen, durch allenfalls irrtümlich geleistete Beiträge könnten keine Beitragszeiten erworben werden.
Das Erstgericht erkannte "die beklagte Partei schuldig, für den Kläger bis einschließlich Jänner 1988 über die im angefochtenen Bescheid, im einzelnen angeführten Versicherungszeiten hinaus von Mai 1955 bis Dezember 1957 31 Versicherungsmonate HAUG-Beiträge, SVA gewerbliche Wirtschaft festzustellen".
Es stellte fest, daß der Kläger von Mai 1955 bis Dezember 1957 das Taxigewerbe ausgeübt hat. Er war während dieser Zeit nicht Kammermitglied und wurde deshalb von der Gewerbebehörde wegen seiner Tätigkeit bestraft. Dem Kläger wurde jedoch die Gewerbesteuer vorgeschrieben und auch ein Beitrag für den Altersunterstützungsfonds, der vom Kläger auch bezahlt wurde. Die Beiträge wurden vom Finanzamt vereinnahmt, ordnungsgemäß weitergeleitet, die Annahme der Zahlung wurde nicht verweigert. Rechtlich führte das Erstgericht aus, dem Kläger seien im strittigen Zeitraum tatsächlich Beiträge zur Sozialversicherung vorgeschrieben worden, er habe sie auch geleistet. Eine Rückerstattung dieser Beiträge sei nicht erfolgt. Es liege eine Formalversicherung vor, die Beiträge seien daher wirksam entrichtet worden, der Kläger habe dadurch weitere 31 Versicherungsmonate erworben.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im bekämpften Umfang dahin ab, daß es das Begehren auf Anrechnung der Zeit von Mai 1955 bis Dezember 1957 als Versicherungszeiten abwies.
Rechtliche Beurteilung
Eine Formalversicherung komme nicht in Betracht.
Da der Kläger im relevanten Zeitraum nur das Taxigewerbe ausgeübt, demnach ausschließlich selbständig erwerbstätig gewesen sei, könne die Bestimmung des § 21 ASVG nicht zum Tragen kommen. Weder das HAUG noch das am 1.Jänner 1958 in Kraft getretene GSPVG hätten eine Formalversicherung vorgesehen. Diese sei erst durch die 16. GSPVG-Novelle BGBl. 1967/68 in § 6 a GSPVG (und ihm folgend § 14 GSVG) eingeführt worden. Diese Bestimmungen könnten nur zum Tragen kommen, wenn der Sozialversicherungsträger den Bestand der Pflichtversicherung als gegeben ansehe und die für den vermeintlichen Pflichtversicherten geleisteten Beträge in der Pensionsversicherung durch sechs Monate ununterbrochen unbeanstandet angenommen habe. Die Handelskammer könne aber keineswegs als Versicherungsträger angesehen werden.
Der Kläger sei im fraglichen Zeitraum nicht Mitglied einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft gewesen, weil er die gesetzlichen Voraussetzungen - die Berechtigung zum selbständigen Betrieb eines Unternehmens - nicht erfüllt habe. Die strittigen Zeiten könnten daher schon deshalb nicht als Versicherungszeiten nach dem GSVG gewertet werden. Ob die vorliegenden Beweise für die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen über die Entrichtung der vorgeschriebenen Beiträge durch den Kläger ausreichten, könne daher auf sich beruhen. Die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Klägers ist berechtigt.
Richtig ist, daß es für die Begründung der Kammermitgliedschaft als auch der Versicherungspflicht nicht auf den (faktischen) selbständigen Betrieb eines Unternehmens, sondern auf die Berechtigung zum selbständigen Betrieb ankommt (SSV-NF 2/124). Dies schließt aber das Vorliegen einer Formalversicherung und die Anwendung des § 115 Abs 1 Z 2 GSVG nicht aus.
Durch die 16.Novelle zum GSPVG wurde in Art I Z 2 durch Einfügung des § 6 a die Formalversicherung auch für den Bereich der gewerblich Selbständigen eingeführt. Hat der Versicherungsträger bei einer nicht der Pflichtversicherung unterliegenden Person den Bestand der Pflichtversicherung als gegeben angesehen und von dem vermeintlich Pflichtversicherten für sechs Kalendermonate ununterbrochen die Beiträge unbeanstandet entgegengenommen, so besteht ab dem Kalendermonat für den erstmals Beiträge entrichtet wurden, eine Formalversicherung. Die Formalversicherung endet mit dem Ende des Kalendermonates, in dem der Versicherungsträger den vermeintlich Pflichtversicherten aus der Versicherung ausscheidet. Gemäß Art III gilt die Bestimmung des Art I Z 2 auch für Beiträge, die nach dem Handelskammeraltersunterstützungsgesetz BGBl. 1953/115 idF der HAUG-Novelle BGBl. 1955/188 entrichtet worden sind. Nach § 115 Abs 1 Z 2 GSVG sind als Beitragszeiten auch Zeiten anzusehen, für die Beiträge nach dem HAUG entrichtet worden sind. Für die Beurteilung der strittigen Zeiten als Beitragszeiten ist daher nicht die die Pflichtversicherung begründende Kammermitgliedschaft, sondern die tatsächliche Entrichtung von Beiträgen maßgeblich.
Nach § 12 Abs 3 HAUG war der Beitrag zur Altersunterstützung ein Jahresbeitrag im Rahmen von S 180 bis S 360. Er war gemäß Abs 4 leg cit (mit den hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen des Abs 5) von den Finanzämtern als Zuschlag zur Gewerbesteuer vorzuschreiben, einzuheben und monatlich dem beitragsberechtigten Altersunterstützungsfonds zu überweisen, der dem Bund die Kosten der Beitragsvorschreibung und Beitragseinhebung zu vergüten hatte. Die Finanzämter hatten dem Altersunterstützungsfonds auf Anfrage mitzuteilen, ob einem beitragspflichtigen Kammermitglied die Beiträge vorgeschrieben wurden und ob das Kammermitglied mit mehr als einem Jahresbeitrag im Rückstand war. Auf die Vorschreibung, Fälligkeit, Verjährung, Einhebung und zwangsweise Einbringung der Beiträge fanden die für die Gewerbesteuer geltenden Vorschriften Anwendung. Wenn daher der Kläger über Vorschreibung des Finanzamtes die vorgeschriebenen Beiträge im strittigen Zeitraum auch tatsächlich an die Steuerbehörde entrichtet hätte, so wäre er dem in § 115 Abs 1 Z 2 GSVG statuierten Erfordernis der Beitragsentrichtung nach dem HAUG nachgekommen. Daß das Finanzamt die entrichteten Beiträge auch tatsächlich ordnungsgemäß weitergeleitet hat, fiele nicht mehr in die Ingerenz des Klägers und könnte ihm nicht zum Nachteil gereichen. Eine wirksame Entrichtung könnte aber nach § 6 a GSPVG nur so lange angenommen werden, als der Versicherungsträger - während der Geltungsdauer des HAUG und somit vor Errichtung der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, an dessen Stelle als Vorläufer die Kammer der gewerblichen Wirtschaft - den vermeintlich Pflichtversicherten nicht aus der Versicherung ausgeschieden hätte. Dafür aber wäre die beklagte Partei beweispflichtig.
Da das Berufungsgericht ausgehend von seiner abweichenden Rechtsansicht die Mängel- und Beweisrüge der beklagten Partei, die in der Berufung nicht nur die Feststellung des Erstgerichtes bekämpft hat, daß die Beiträge vom Finanzamt vereinnahmt, also vom Kläger tatsächlich entrichtet wurden, sondern auch, daß die Annahme der Zahlung nicht verweigert wurde, ist das Verfahren noch nicht entscheidungsreif. Es war daher mit Aufhebung des Berufungsurteiles und Zurückverweisung der Rechtssache an die zweite Instanz vorzugehen.
Die Entscheidung über den Vorbehalt der Revisionskosten beruht auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E18952European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00219.89.0926.000Dokumentnummer
JJT_19890926_OGH0002_010OBS00219_8900000_000