TE OGH 1989/10/31 2Ob122/89

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Veröffentlicht am 31.10.1989
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Birgit E***, Private, 6800 Feldkirch, Reichsstraße 65, vertreten durch Dr. Gerold Hirn, Dr. Burkhard Hirn, Rechtsanwälte in Feldkirch, wider die beklagten Parteien 1.) Markus S***, Briefträger,

CH-8640 Rapperswil, Hanflenderstraße 7, 2.) Z*** Versicherungen, CH-8002 Zürich, Am Mythenquai 2, beide vertreten durch Dr. Josef Spiegel, Dr. Martin Spiegel, Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen S 350.000 s.A., infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 9. Juni 1989, GZ. 4 R 84/89-31, womit infolge Berufungen der klagenden Partei und der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 29. November 1988, GZ. 10 Cg 135/88-24, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Keiner der Revisionen wird Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 8.832,78 (darin keine Barauslagen und S 1.472,13 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen; hingegen sind die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit S 5.092,56 (darin keine Barauslagen und S 848,76 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin erlitt am 20. Mai 1984 in Feldkirch-Altenstadt bei einem vom Erstbeklagten als Lenker des bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKWs allein verschuldeten Verkehrsunfall schwere Verletzungen. Die Zweitbeklagte hat an die Klägerin am 16. November 1984 S 5.000, am 5. September 1985 S 50.000, am 2. Februar 1987 S 100.000 und am 15. Juni 1988 S 595.000,--, zusammen also S 750.000 bezahlt, wovon S 600.000 auf Schmerzengeld und S 150.000 auf Verunstaltungsentschädigung entfallen. Mit der am 14. August 1984 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin darüber hinausgehende Schadenersatzleistungen, und zwar nach Ausdehnung und Einschränkung des Klagebegehrens, letztlich die Bezahlung eines weiteren Schmerzengeldes von S 250.000 und einer weiteren Verunstaltungsentschädigung von S 100.000, zusammen also die Zahlung eines weiteren Betrages von S 350.000, wobei die angemessene Schmerzengeldforderung mit insgesamt S 850.000 und die Verunstaltungsentschädigung mit S 250.000 beziffert wird. Zur Begründung verwies die Klägerin auf die erlittenen lebensgefährlichen Verletzungen, insbesonders eine schwere Schädel-Hirn-Verletzung mit Hirnprellung und beidseitigem Schädelbasisbruch, den langwierigen und komplizierten Heilungsverlauf und die verbliebenen Dauerfolgen, insbesonders auch die verbliebene unfallkausale Verunstaltung, durch welche die Klägerin in ihrem künftigen besseren Fortkommen und ihren Heiratsaussichten erheblich behindert werde.

Die Beklagten haben Klagsabweisung beantragt und eingewendet, daß ein Schmerzengeld von höchstens S 600.000 und eine Verunstaltungsentschädigung von S 150.000 angemessen seien, sodaß durch die von der Zweitbeklagten geleisteten Zahlungen die berechtigten Ansprüche der Klägerin zur Gänze befriedigt worden seien.

Das Erstgericht sprach der Klägerin S 250.000 s.A. zu und wies das Mehrbegehren von S 100.000 s.A. ab, wobei seiner Entscheidung im wesentlichen folgende Feststellung zugrundeliegt:

Beim Verkehrsunfall am 20. Mai 1984 erlitt die Klägerin mehrfache Gesichtsschädelverletzungen, eine Gehirnquetschung, ein generalisiertes Hirnödem, ein epidurales Hämatom rechts - frontal und eine Verletzung der arteria carotis interna rechts mit aneurysma dissecans im intracavernösen Anteil. Durch diese Verletzungen wurden folgende Maßnahmen notwendig:

a) Operation wegen des epiduralen Hämatoms rechts - frontal am 3. Juni 1984,

b)

Operation in osteoplastischer Trepanation am 19. Juni 1984,

c)

plastische Deckung des Knochendefekts am 10. September 1984,

d)

Ligatur der arteria carotis interna rechts im Halsbereich am 2. Juli 1984,

              e)              Tracheotomie (20. Mai 1984).

Als Operations- und Verletzungsfolgen verblieben reaktionslose Narben im Schädel- und Halsbereich, die zu einer Gesichtsasymmetrie geführt haben, die etwas störend ist. Die rechte Jochbeinregion der Klägerin ist etwas vorstehend. Es verblieben Unebenheiten im Bereiche der Plastik im Stirnbein rechts sowie eine leichte Gefühlsstörung im Stirnbereich rechts, ein dissoziierter Nystagmus, dazu pseudobulbäre Sprache, die auch verlangsamt ist. Außerdem verblieb eine rechtshalbseitige angedeutete Spastik mit Steigerung der rechtshalbseitigen MDR und mit einer Störung der Feinmotorik im Bereich der rechten oberen Extremität und auch der rechten unteren Extremität, die sich in einer geringen Ataxie zeigt. Unfallsbedingt besteht bei der Klägerin ein posttraumatisches Psychosyndrom mittleren Grades, das sich vor allem in allgemeiner Verlangsamung, Dialogbegrenztheit, Kritikfähigkeitseinbuße, dysthymer Stimmungsschwankung, Gereiztheit, Antriebsschwäche, Gedächtniseinbußen, Merkfähigkeitsstörungen und Störungen des abstrakten Denkens zeigt, wobei die Folgerungen daraus die sind, daß derzeit ein Leben der Klägerin allein und ohne ihre Eltern kaum möglich ist, sie einer dauernden Betreuung, nicht nur in affektiver, sondern auch in intellektueller Hinsicht bedarf, da sie sich ohne Hilfe schädigen würde.

Im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall und den daraus resultierenden Verletzungen und erforderlichen Behandlungen erlitt die Klägerin starke Schmerzen in der Dauer von 105 Tagen, mittelstarke Schmerzen in der Dauer von 150 Tagen und leichte Schmerzen in der Dauer von zusammengefaßt 270 Tagen. Die Klägerin ist derzeit zu 100 % arbeitsunfähig. Auf Grund ihrer Behinderungen ist sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in keiner Weise einsetzbar. Während die Klägerin vor dem Unfall wettkampfmäßig Tennissport betrieb, kann sie jetzt nach dem Unfall nur mehr kurzzeitig und dazu schlecht Tennis spielen. Auch ihre sonstigen sportlichen Aktivitäten, die sie vor dem Unfall entfaltete, wie Schifahren, Eislaufen, Radfahren, Bergsteigen oder Schwimmen, sind nach dem Unfall stark beeinträchtigt.

Man kann zwar nicht mit Bestimmtheit sagen, daß die Klägerin die Verschlechterung ihrer Gesamtsituation lebenslänglich als tragisch empfinden und erleben wird. Eine derartige Verbesserung könnte sich jedoch nur dann ergeben, wenn die Klägerin einen idealen Partner findet, der sehr einfühlsam auf die Problematik der Klägerin eingehen würde. Nur unter dieser Voraussetzung wäre die Klägerin ehefähig. Derzeit hat die Klägerin keinen festen Freund oder Lebensgefährten. Es wäre zwar möglich, daß sich die Situation der Klägerin in den nächsten Jahren dadurch verbessert, daß noch intakte Hirnteile Funktionen der beschädigten Hirnteile übernehmen. Eine wesentliche Besserung ist jedoch keinesfalls zu erwarten. Während die Klägerin vor dem Unfall ein durchaus angenehmes und hübsches Äußeres hatte, verschlechterte sich ihr Aussehen durch den Unfall und die Unfallsfolgen derart, daß schon von ihrem Äußeren her Auswirkungen auf ihre Attraktivität für das andere Geschlecht entstanden. Nach der Verschlechterung ihres äußeren Erscheinungsbildes ist auch die intellektuelle und gefühlsmäßige Verschlechterung des Zustands der Klägerin durch den Unfall dazu geeignet, daß sie nur sehr schwer einen männlichen Partner finden wird.

In der rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht im wesentlichen aus, daß im Hinblick auf die sehr schweren Verletzungen, die im Zusammenhang damit erduldeten Schmerzen und die Tatsache, daß durch den Unfall die gesamten Zukunftsaussichten der Klägerin völlig zerstört worden seien, ein Schmerzengeld von insgesamt S 800.000 angemessen erscheine. Dieser Betrag entspreche den in vergleichbaren Fällen von der Rechtsprechung zugesprochenen Schmerzengeldbeträgen. Dabei sei auch berücksichtigt, daß der Klägerin bewußt sei, daß sie nie mehr in der Lage sein werde, ein Leben wie vor dem Unfall zu führen. Der Klägerin blieben sowohl sportliche Betätigungen als auch Erfolgserlebnisse im Beruf in Hinkunft versagt.

Durch die beim Unfall erlittenen Verunstaltungen werde das bessere Fortkommen der Klägerin verhindert. Berücksichtige man die Verschlechterung ihres äußeren Erscheinungsbildes und die Tatsache, daß sich auch ihre intellektuellen und seelischen Leistungen erheblich verschlechterten, so stehe der Klägerin neben dem Schmerzengeld auch eine Verunstaltungsentschädigung zu, deren Höhe mit S 200.000 für angemessen erachtet werde. Unter Berücksichtigung der bereits erfolgten Teilzahlungen stünden der Klägerin somit insgesamt noch S 250.000 zu.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Klägerin nicht Folge; hingegen wurde der Berufung der Beklagten Folge gegeben und das Urteil des Erstgerichts dahin abgeändert, daß unter Einbeziehung des bestätigten Teiles, der Klägerin S 100.000 s.A. zugesprochen wurden; das Mehrbegehren von S 250.000 s.A. wurde abgewiesen; das Berufungsgericht traf zusätzlich zu den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichts nach Beweiswiederholung folgende ergänzende Feststellungen:

Die am 3. Mai 1966 geborene und somit am Unfallstag 18 Jahre alte Klägerin war vor dem Unfall als Verkäuferlehrling im zweiten Lehrjahr beschäftigt. Diese Tätigkeit hat ihr gut gefallen und sie hätte diese Beschäftigung ohne Unfall auch weiterhin ausgeübt. Beim Unfall war die Klägerin sofort bewußtlos und blieb dies über vier Wochen. Erst ab 18. Juni 1984 hat sie auf Anruf gezielt reagiert. Die stationäre Behandlung erfolgte zunächst im Landeskrankenhaus Feldkirch, von wo die Klägerin wegen massiver Blutungen am 18. Juni 1984 per Hubschrauber an die neurochirurgische Universitätsklinik Innsbruck überstellt werden mußte, wo am 19. Juni 1984 der epidurale Bluterguß operativ entfernt wurde. Nach einer weiteren Operation am 2. Juli 1984 wurde die Klägerin am 7. Juli 1984 auf die neurologische Universitätsklinik Innsbruck verlegt, von wo sie am 21. September 1984 in häusliche Pflege entlassen wurde. Die Klägerin war also ab dem Unfall ohne Unterbrechung bis zum 21. September 1984, d.s. 125 Tage, in stationärer Behandlung. Zusätzlich wurde am 13. Mai 1985 eine Entfernung der Verknöcherungen am rechten Ellbogen sowie eine Korrektur der Narben nach dem Luftröhrenschnitt durchgeführt. Vom unfallchirurgischen Standpunkt bestehen als Unfallfolgen noch reaktionslose Narben nach Augenbogenschnitt, der wenig zu sehen ist, eine Abflachung des Oberkiefers rechts mit Deformierung der Nase und erschwerter Nasenatmung infolge der Mittelgesichtsbrüche, weiter eine reaktionslose Narbe nach Reimplantation eines Knochendeckels im Bereich der behaarten Haut, welche daher nicht sichtbar ist. Die Deformierung des Gesichts durch diese Unfallverletzungen ist aber doch deutlich erkennbar und entstellend. Weiters bestehen reaktionslose Narben an der Halsregion, die sichtbar, aber kosmetisch nicht störend sind. Außerdem bestehen glaubwürdige Beschwerden im linken Kniegelenk mit reaktionsloser Narbe und ohne Einschränkung der Beweglichkeit, jedoch deutlichem Reiben an der Kniescheibenhinterseite, wobei nicht auszuschließen ist, daß es zu einem vorzeitigen Verschleiß des Kniegelenks, d.i. einer posttraumatischen Arthrose, kommt. Am rechten Ellbogengelenk ist eine Bewegungseinschränkung zwar noch vorhanden, aber funktionell nicht stark störend. Von seiten der unfallchirurgisch einzuschätzenden Verletzungen, d.s. die Verletzungen am linken Knie und rechten Ellbogen, besteht eine Invalidität von 20 %. Die Klägerin ist als Folge des Unfalls nicht völlig hilflos. Sie lebt seit dem Unfall zu Hause, kann sich selber anziehen, hält sich selbst sauber, geht auch selbst einkaufen, wobei man ihr aber das Geld vorstrecken muß, weil sie sonst nur Süßigkeiten kaufen würde, und besucht derzeit eine "beschützende Werkstätte". Sie macht zu Hause die Betten und kocht auch etwas. Im Herbst 1987 hat sie einen Kochkurs absolviert. Probeweise hat sie auch einmal einen Monat lang als Verkäuferin gearbeitet, was aber nicht gut gegangen ist. Die Klägerin ist dafür zu langsam, unkonzentriert und in den Bewegungen sowie überhaupt in ihrem Verhalten zu wenig kontrolliert. Ausgehend von den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichts und den ergänzenden Feststellungen erachtete das Berufungsgericht unter Heranziehung mehrerer Vergleichsfälle von Schmerzengeldbemessungen ein Schmerzengeld von insgesamt S 650.000 für angemessen; hinsichtlich der Höhe der Verunstaltungsentschädigung billigte das Berufungsgericht jedoch die vom Erstgericht vorgenommene Bemessung mit insgesamt S 200.000. Der Gesamtanspruch der Klägerin auf Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung betrage somit S 850.000, wovon die Beklagten bereits S 750.000 bezahlt hätten, so daß der Klägerin noch ein Betrag von S 100.000 zuzusprechen gewesen sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts wenden sich die Revisionen der Klägerin und der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung; während die Klägerin den Zuspruch eines Gesamtschmerzengeldes von S 850.000 anstrebt und Abänderung in diesem Sinne beantragt, erachten die Beklagten ein Gesamtschmerzengeld von S 600.000 und eine Verunstaltungsentschädigung von S 150.000 für gerechtfertigt und beantragen daher mit Rücksicht auf die von ihnen bereits geleisteten Zahlungen Abänderung im Sinne der Abweisung des restlichen Klagebegehrens.

Die Klägerin und die Beklagten beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Keine der Revisionen ist berechtigt.

1.) Zur Revision der Klägerin:

Die Klägerin führt in ihrem Rechtsmittel aus, ihrer Überzeugung nach seien die von den Sachverständigen bei der Klägerin festgestellten unfallsbedingten Veränderungen der Psyche und der Persönlichkeit ebenso schwerwiegend wie eine Querschnittlähmung. Es wird der Standpunkt vertreten, daß die bei der Klägerin eingetretenen psychischen Veränderungen und intellektuellen Schäden schwerwiegender einzustufen seien, als wenn etwa eine Person zeitlebens an den Rollstuhl gefesselt bleibe; dies allerdings im Vollbesitz aller geistigen Kräfte und der Kritikfähigkeit ohne Stimmungsschwankungen, Gedächtniseinbußen und in einem harmonischen Zusammenleben mit einem geeigneten Ehepartner. Dies alles sei der Klägerin in Zukunft versagt, wiewohl sie sich frei bewegen könne und sogar im begrenzten Maße zur Sportausübung fähig sei. Da eine Beschränkung der Intellektualität und Psyche schwerer wiege als eine Beschränkung der Mobilität, müßte somit zumindestens ein Betrag von S 850.000 zugesprochen werden.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Nach ständiger Rechtsprechung ist das Schmerzengeld die Genugtuung für alles Ungemach, das der Geschädigte infolge seiner Verletzungen und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzungen und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes abgelten, die durch die Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen und den Verletzten in die Lage versetzen, sich als Ersatz für die Leiden und anstelle der ihm entgangenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen (vgl. ZVR 1983/200 uva.). Hieraus folgt einerseits, daß bei der Bemessung des Schmerzengeldes auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, andererseits aber zur Vermeidung einer Ungleichmäßigkeit in der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen ist (vgl. Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld in medizinischer und juristischer Sicht5 175 ff; ZVR 1982/392 uva.).

Werden diese Grundsätze auf den im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt angewendet, ist zu berücksichtigen, daß die Klägerin durch den Unfall mehrfache Gesichtsschädelverletzungen, eine Gehirnquetschung, ein generalisiertes Hirnödem, ein epidurales Hämatom rechts - frontal und eine Verletzung der arteria carotis interna rechts mit aneurysma dissecans im intracavernösen Anteil erlitten hat. Diese Verletzungen machten mehrere Operationen erforderlich, der Heilungsverlauf war langwierig und kompliziert, die Schmerzperioden beträchtlich. Unfallsbedingt besteht bei der Klägerin ein posttraumatisches Psychosyndrom mittleren Grades, das sich vor allem in allgemeiner Verlangsamung, Dialogbegrenztheit, Kritikfähigkeitseinbuße, dysthymer Stimmungsschwankung, Gereiztheit, Antriebsschwäche, Gedächtniseinbußen, Merkfähigkeitsstörungen und Störungen des abstrakten Denkens zeigt. Bei Berücksichtigung der Umstände des gegenständlichen Falles kann jedoch das Gesamtausmaß der bei der Klägerin bestehenden physischen und psychischen Beeinträchtigungen jenen einer Querschnittlähmung nicht gleichgestellt werden. Vielmehr kann auch unter Bedachtnahme auf vergleichbare Zusprüche entgegen der Auffassung der Revision in der vom Berufungsgericht vorgenommenen Bemessung des Schmerzengeldes mit dem rechnerischen Gesamtbetrag von S 650.000 keine Fehlbeurteilung erblickt werden.

Der Revision der Klägerin mußte daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

2.) Zur Revision der Beklagten:

Soweit die Beklagten ein Schmerzengeld in der Gesamthöhe von nur S 600.000 für gerechtfertigt erachten, sind sie auf die Ausführungen des Revisionsgerichts zur Revision der Klägerin zu verweisen. Auch soweit die Beklagten eine Verunstaltungsentschädigung in der Höhe von nur S 150.000 für angemessen halten, kann ihnen nicht gefolgt werden.

Eine Entschädigung nach § 1326 ABGB gebührt dann, wenn der Verletzte durch die Verunstaltung, also durch eine erheblich nachteilige Veränderung seiner Erscheinung, in seinem besseren Fortkommen behindert werden kann. Unter einer Verunstaltung im Sinne dieser Gesetzesstelle ist jede wesentlich nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung des Verletzten zu verstehen (ZVR 1974/56 uva.), wobei es weder erforderlich ist, daß eine solche nachteilige Veränderung besonders abstoßend wirkt, noch daß sie bei einem normal bekleideten Menschen sichtbar ist. Wesentlich für die Annahme einer Verunstaltung des Verletzten im Sinne dieser Gesetzesstelle ist die nachteilige Veränderung seiner Gesamterscheinung, die Beeinträchtigung seines äußeren Aussehens für den Betrachter, und zwar nicht nach medizinischen Begriffen, sondern unter Zugrundelegung eines ästhetischen Maßstabs nach allgemeiner Lebensanschauung (vgl. SZ 43/127 ua). Unter der Behinderung des besseren Fortkommens ist nicht nur der mögliche Entgang eines beruflichen Aufstiegs, sondern überhaupt die Gefahr zu verstehen, daß durch eine nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung eine sonst mögliche Verbesserung der Lebenslage, etwa durch eine Verehelichung, entfallen könnte (ZVR 1980/74 ua.).

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten bekämpft lediglich die Höhe der zuerkannten Verunstaltungsentschädigung. Hiebei kommt es nach der Rechtsprechung einerseits auf den Grad der Verunstaltung und andererseits auf die Wahrscheinlichkeit der Behinderung des besseren Fortkommens an (ZVR 1987/33 ua.). Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, ergibt sich bei der Klägerin eine unfallskausale Verunstaltung aus den festgestellten Narben im Schädel- und Halsbereich, der verbliebenen Gesichtsasymmetrie, der festgestellten Sprachstörung und den Bewegungsstörungen (Spastik sowie Störung der Feinmotorik) sowie aus den festgestellten, nach außen in Erscheinung tretenden geistigen Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit dem posttraumatischen Psychosyndrom mittleren Grades. Die dadurch verursachte Behinderung des besseren Fortkommens sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich fällt umso schwerer ins Gewicht, als die Klägerin im Zeitpunkt des Unfalles erst 18 Jahre alt war. Bei Berücksichtigung dieser Umstände des vorliegenden Falles kann in der Bemessung der Verunstaltungsentschädigung durch das Berufungsgericht mit S 200.000 keine zum Nachteil der Beklagten unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt werden.

Es war daher auch der Revision der Beklagten ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E19038

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00122.89.1031.000

Dokumentnummer

JJT_19891031_OGH0002_0020OB00122_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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