TE OGH 1989/11/28 2Ob127/89

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Veröffentlicht am 28.11.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Melber und Dr.Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Klaus P***, zuletzt Tischlerlehrling, Habichen 72, 6433 Ötz, vertreten durch Dr.Bernt Strickner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien

1) Norbert M***, Kraftfahrer, 6433 Tumpen 4, 2) Walter M***, ebendort wohnhaft, und 3) G*** W*** V***,

Herrengasse 18-20, 8011 Graz, alle vertreten durch Dr.Günter Zeindl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wagen Zahlung von S 331.813,46 s.A., Leistung einer monatlichen Rente von S 9.503,10 ab 1.Oktober 1988 und Feststellung (S 150.000,--), Revisionsstreitwert S 341.158,25, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 6.April 1989, GZ 2 R 13/89-59, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 15.November 1988, GZ 12 Cg 458/84-52, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 14.930,92 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 2.488,49, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 2.3.1984 ereignete sich gegen 2 Uhr früh auf der Ötztal-Straße (B 186) bei Km 6,20 im Freilandgebiet ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Fußgänger und der Erstbeklagte als Lenker des PKW mit dem Kennzeichen T 353.579 beteiligt waren. Der Zweitbeklagte ist der Halter, die Drittbeklagte der Haftpflichtversicherer dieses Kraftfahrzeuges. Der in Richtung Tumpen gehende Kläger wurde von dem vom Erstbeklagten gelenkten PKW niedergestoßen und schwer verletzt. Der Erstbeklagte wurde wegen dieses Verkehrsunfalls mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 22.5.1984, 24 Vr 1477/84-6, rechtskräftig des Vergehens nach § 88 Abs 4 zweiter Fall (§ 81 Z 2) StGB schuldig erkannt. Es wurde ihm zur Last gelegt, in alkoholisiertem Zustand den Unfall durch unachtsame Fahrweise und mangelnde Beobachtung der Fahrbahn herbeigeführt zu haben.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall unter Berücksichtigung einer von der Drittbeklagten geleisteten Teilzahlung die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 150.000,-- (Schmerzengeld), S 172.457,62 (Verdienstentgang für die Zeit vom 2.3.1984 bis 31.8.1988) und S 9.355,84 (Verdienstentgang für September 1988) sowie zur Leistung einer monatlichen Rente von S 9.503,10 ab 1.10.1988 (Verdienstentgang). Überdies stellte er ein auf Feststellung der Haftung der Beklagten - der Drittbeklagten im Rahmen des Haftpflichtversicherungsvertrags - für alle künftigen Unfallschäden gerichtetes Feststellungsbegehren, über das mit Teilanerkenntnisurteil vom 23.6.1987 (ON 35) zum Teil abgesprochen wurde.

Der Höhe nach ist das Leistungsbegehren des Klägers nicht mehr strittig; auch sein Feststellungsinteresse ist nicht mehr umstritten. Dem Grund nach stützte der Kläger sein Begehren im wesentlichen darauf, daß den Erstbeklagten, wie sich aus seiner rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung ergebe, das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe.

Die Beklagten wendeten dem Grund nach im wesentlichen ein, daß den Kläger ein mit einem Drittel zu bewertendes Mitverschulden treffe, weil er nicht den linken, sondern den rechten Fahrbahnrand benützt habe.

Das Erstgericht gab mit Endurteil (unter Einbeziehung der mit dem Teilanerkenntnisurteil ON 35 getroffenen Entscheidung) dem Klagebegehren statt.

Es stellte, soweit für die im Revisionsverfahren allein noch strittige Frage eines allfälligen Mitverschuldens des Klägers von Interesse, im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der Kläger ging am 2.3.1984 gegen 2 Uhr früh am rechten Fahrbahnrand der Ötztal-Straße taleinwärts. Der in gleicher Richtung mit dem PKW des Zweitbeklagten fahrende Erstbeklagte stieß den Kläger bei Kilometer 6,20 nieder. Der Erstbeklagte setzte seine Fahrt ohne anzuhalten fort und ließ den schwer verletzten Kläger liegen. Eine um 6 Uhr früh vom Erstbeklagten abgenommene Blutprobe wies einen Blutalkoholgehalt von 1,6 %o auf.

Die Fahrbahn ist an der Unfallstelle 8 m breit. Der Bereich zwischen dem rechten Fahrbahnrand und der Leitschiene ist etwa 1 m breit; ein Bankett ist nicht vorhanden. Der Kläger ging so weit wie möglich rechts zwischen Fahrbahnrand und Leitschiene. Nach dem Unfall wurde er schwer verletzt nahe der Leitschiene liegend aufgefunden.

In der Unfallnacht war die Straße schneefrei; es herrschte aber reges Schneetreiben. Der Kläger war dennoch aus einer Entfernung von etwa 20 bis 30 m zu erkennen. Der Erstbeklagte fuhr zu weit rechts und hielt sich nicht innerhalb des rechten Fahrbahnrands, sondern orientierte sich in dem Schneegestöber offenbar an der Leitschiene, zu welcher er demzufolge einen geringen Abstand hielt. Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß § 76 Abs 1 StVO Fußgänger verpflichte, auf Freilandstraßen jeweils den äußersten Rand des linken Straßenbanketts bzw des linken Fahrbahnrands außer im Fall der Unzumutbarkeit zu benützen. Dies habe der Kläger nicht getan, obwohl kein Umstand erkennbar sei, der ihn daran gehindert haben könne, den linken Fahrbahnrand zu benützen. Dem gegenüber sei das Fehlverhalten des Erstbeklagten als wesentlich schwerwiegender zu beurteilen. Der Erstbeklagte sei stark alkoholisiert bei schlechten Fahrbedingungen (Schneetreiben) offensichtlich zu weit rechts gefahren, also zumindest mit einem Teil des Fahrzeugs außerhalb der Fahrbahn. Er habe offensichtlich auch falsch bzw zu spät reagiert. Die Außerachtlassung einer Schutznorm seitens des Klägers begründe angesichts der Schwere des Verschuldens des Erstbeklagten kein solches Mitverschulden, daß eine Schadensteilung im Sinne der §§ 7 EKHG und 1304 ABGB gerechtfertigt wäre. Es sei daher vom Alleinverschulden des Erstbeklagten auszugehen.

Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichts gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil in der Hauptsache keine Folge; lediglich im Kostenpunkt wurde der Berufung der Beklagten teilweise Folge gegeben. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstands, über den es entschieden hat, S 300.000,-- übersteigt.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als unbedenklich und führte rechtlich im wesentlichen aus, der Kläger habe gegen § 76 Abs 1 StVO verstoßen, weil er neben dem rechten und nicht neben dem linken Fahrbahnrand gegangen sei. Gründe, die ihm das Gehen am linken Fahrbahnrand unzumutbar gemachten hätten, seien weder behauptet worden noch hervorgekommen. Immerhin habe der Kläger aber nicht die Fahrbahn benützt, sondern sei neben der Fahrbahn gegangen, obwohl ein Bankett dort nicht vorhanden gewesen sei. Diesem geringen Fehlverhalten des Klägers stehe das grob verkehrswidrige Verhalten des Erstbeklagten gegenüber, der trotz erheblicher Sichtbehinderung in stark alkoholisiertem Zustand gefahren sei, den Kläger offenbar übersehen habe und mit einem Teil des Fahrzeugs über den Fahrbahnrand hinausgeraten sei. Bei einem derart grob verkehrswidrigen Verhalten trete das geringfügige Fehlverhalten des Klägers derart in den Hintergrund, daß es als Mitverschulden nicht ins Gewicht falle. Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen sie insoweit, als dem Leistungsbegehren des Klägers mit mehr als S 66.000,-- s.A. (Schmerzengeld), S 81.789,19 (Verdienstentgang vom 2.3.1984 bis 31.8.1988), S 6.237,22 (Verdienstentgang für September 1988) und einer monatlichen Rente von S 6.335,40 ab 1.10.1988 sowie seinem Feststellungsbegehren in Ansehung von mehr als zwei Drittel seiner künftigen Unfallschäden stattgegeben wurde, aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem erkennbaren Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Umfang der Anfechtung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sachlich aber nicht berechtigt. Die Beklagten versuchen in ihrer Rechtsrüge darzutun, daß dem Kläger ein mit einem Drittel zu bewertendes Mitverschulden anzulasten sei, weil er entgegen der Vorschrift des § 76 Abs 1 StVO nicht am linken Fahrbahnrand gegangen sei.

Dem ist nicht zu folgen.

Gemäß § 76 Abs 1 zweiter Satz StVO haben Fußgänger, wenn Gehwege oder Gehsteige nicht vorhanden sind, das Straßenbankett und, wenn auch dieses fehlt, den äußersten Fahrbahnrand zu benützen; hiebei haben sie auf Freilandstraßen, außer im Fall der Unzumutbarkeit, auf dem linken Straßenbankett (auf dem linken Fahrbahnrand) zu gehen. Dieser Vorschrift ist nicht zu entnehmen, daß es einem Fußgänger dann, wenn wie im vorliegenden Fall auf einer Freilandstraße weder Gehwege noch Gehsteige noch Bankette vorhanden sind, verboten wäre, auf einem an die Fahrbahn anschließenden Geländeteil zu gehen, der jedenfalls nicht dem Fahrzeugverkehr dient. Diese Vorschrift besagt positiv, daß ein Fußgänger, der auf einer Freilandstraße bei Fehlen von Gehsteigen, Gehwegen und Banketten die Fahrbahn benützen muß, am linken Fahrbahnrand zu gehen hat. Sie zwingt ihn nicht, einen neben der Fahrbahn befindlichen Geländeteil, der nicht als Bankett zu qualifizieren ist, zu benützen (ZVR 1982/210 mwN ua), verbietet ihm dies aber keineswegs. Der Regelungsgehalt der Vorschrift des § 76 Abs 1 zweiter Satz StVO geht also nur dahin, daß ein Fußgänger auf einer Freilandstraße ohne Gehsteig oder Gehweg, wenn Bankette vorhanden sind, im Fall der Zumutbarkeit das linke Straßenbankett zu benützen hat und, wenn er infolge Fehlens von Banketten zur Benützung der Fahrbahn genötigt ist, den linken Fahrbanrand. Eine Anordnung in dem Sinn aber, daß der Fußgänger unter diesen Umständen einen an die Fahrbahn anschließenden (nicht als Bankett zu qualifizierenden) Geländeteil nicht benützen dürfte oder einen solchen neben der Fahrbahn links liegenden Geländeteil benützen müßte, ist dieser Gesetzesbestimmung nicht zu entnehmen. Wenn daher im vorliegenden Fall der Kläger nach den Feststellungen der Vorinstanzen so weit wie möglich rechts in dem 1 m breiten Bereich zwischen dem rechten Fahrbahnrand und der Leitschiene ging, bei dem es sich nicht um ein Straßenbankett im Sinne des § 2 Abs 1 Z 6 StVO handelt, sodaß der damit den Fahrzeugverkehr auf der Fahrbahn in keiner Weise behinderte, ist darin ein Verstoß des Klägers gegen die Schutzvorschrift des § 76 Abs 1 zweiter Satz StVO überhaupt nicht zu erkennen. Mit Recht haben daher die Vorinstanzen eine Kürzung der Schadenersatzansprüche des Klägers wegen eines ihm anzulastenden Mitverschuldens abgelehnt.

Der Revision der Beklagten muß unter diesen Umständen ein Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E19208

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00127.89.1128.000

Dokumentnummer

JJT_19891128_OGH0002_0020OB00127_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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