TE OGH 1990/2/28 2Ob8/90

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Veröffentlicht am 28.02.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Christian A***, Kaufmann, Schlossergasse 15, 6060 Hall, 2.) Dr. Christoph H***, Beamter, Eugenstraße 4, 6060 Hall, beide vertreten durch Dr. Günter Zeindl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1.) Johann M***, Gastwirt, 6060 Gnadenwald 2, 2.) Franz T***, Kaufmann, Sillhöfe 10, 6020 Innsbruck, 3.) E*** A*** Versicherungs-AG, Landesdirektion Tirol, Maria Theresien-Straße 51-53, 6020 Innsbruck, alle vertreten durch Dr. Heinz Bauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 280.000,-- s.A. und Feststellung hinsichtlich des Erstklägers und S 7.000,-- hinsichtlich des Zweitklägers infolge Revision des Erstklägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 25. Oktober 1989, GZ. 3 R 318/89-19, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 31. Juli 1989, GZ. 12 Cg 301/88-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Erstkläger ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 9.946,36 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.657,73 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 6. November 1987 lenkte der am 24. Dezember 1957 geborene unverheiratete Erstkläger auf der Gnadenwalder Höhenstraße den PKW des Zweitklägers talwärts. Der Erstbeklagte fuhr mit dem vom Zweitbeklagten gehaltenen, bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW in der Gegenrichtung. Die Fahrbahn der Gnadenwalder Höhenstraße ist eng und kurvenreich mit wechselnder Fahrbahnbreite. An der Stelle, an der sich der Unfall ereignete, ist die Fahrbahn 3,8 m breit. In Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen weist sie eine Steigung von 15 % auf, das an den rechten Fahrbahnrand anschließende Bankett ist nicht befahrbar, an dieses Bankett schließt eine steil abfallende Böschung an. Der Erstkläger hielt eine Geschwindigkeit von 15 bis 20 km/h ein, der bergauf fahrende Erstbeklagte eine solche von 30 bis 35 km/h. Diese Geschwindigkeiten entsprachen bei beiden Fahrzeugen dem Gebot des Fahrens auf halbe Sicht. Wegen der Fahrbahnbreite von nur 3,8 mm (die Summenbreite der beiden Fahrzeuge einschließlich Rückspiegel betrug 3,56 m) wäre aus technischer Sicht eine Begegnung im untersten Geschwindigkeitsbereich (Schrittgeschwindigkeit) unbedingt empfehlenswert gewesen. Als der Erstbeklagte das entgegenkommende Fahrzeug sah, verminderte er die Geschwindigkeit nicht oder nur ganz wenig. Der Erstkläger wollte seine Geschwindigkeit vermindern, als er aber sah, daß der Erstbeklagte keine Reduktion der Geschwindigkeit vornimmt, lenkte er so weit wie möglich nach rechts, sodaß er "auf die 50 bis 55-grädige Böschung zum Teil hinauffahren mußte". Nur aus diesem Grund war eine berührungsfreie Begegnung der beiden Fahrzeuge möglich. Nach der Begegnung der beiden Fahrzeuge fiel der vom Erstkläger gelenkte PKW aber nach links um, wobei der linke Unterarm des Erstklägers durch das halb geöffnete linke Seitenfenster geschoben wurde und in der Folge das Fahrzeug auf den linken Unterarm fiel. Dadurch erlitt der Erstkläger eine schwere Verletzung am linken Unterarm. Als Dauerfolgen verblieben eine Verkürzung des linken Unterarmes um 1,5 cm und entstellende Narben am linken Unterarm, es besteht eine Arm- und Handschwäche links (Armwertminderung von 30 %). Der Erstkläger sollte wegen dieser Verletzungsfolgen keine schwere körperliche Arbeit und keine sportliche Tätigkeit ausüben, die mit Rütteln und Schütteln verbunden ist, er muß sich "etwas armkonform verhalten". Gestützt auf das Alleinverschulden des Erstbeklagten forderte der Erstkläger (das Begehren des Zweitklägers ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens) als Schadenersatz ein Schmerzengeld von S 180.000 und eine Verunstaltungsentschädigung von S 100.000, insgesamt somit S 280.000 samt Zinsen. Weiters begehrte er die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien (jene der drittbeklagten Partei beschränkt mit der Versicherungssumme) für alle zukünftigen Schäden und Folgen aus dem Unfall. Zum Begehren auf Verunstaltungsentschädigung führte der Erstkläger aus, seine Heiratschancen seien erheblich beeinträchtigt, auch in seinem Beruf als Kaufmann bzw. kaufmännischer Angestellter sei er in seinem besseren Fortkommen zweifellos beeinträchtigt.

Die beklagten Parteien wendeten ein, den Erstkläger treffe das Alleinverschulden am Unfall, die Voraussetzungen für eine Verunstaltungsentschädigung seien nicht gegeben.

Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens. Es führte zur Frage des Verschuldens im wesentlichen aus, der Erstbeklagte habe gegen § 10 Abs. 2 StVO verstoßen, der Erstkläger sei hingegen zu einer "Überreaktion" gezwungen gewesen, worin kein Mitverschulden liege. Die Verunstaltungsentschädigung von S 100.000 sei angemessen. Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß ein Betrag von S 110.000 samt Zinsen zugesprochen und die Haftung der beklagten Parteien lediglich für 50 % der künftigen Folgen und Schäden festgestellt wurde. Das Leistungs- und das Feststellungsmehrbegehren wies das Berufungsgericht ab. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes hinsichtlich des Erstklägers S 300.000 übersteige. Das Gericht zweiter Instanz vertrat die Ansicht, nicht nur der Erstbeklagte, sondern auch der Erstkläger hätte gegen die im § 10 Abs. 2 StVO normierte Pflicht zum Anhalten verstoßen. Es entspreche zwar ständiger Rechtsprechung, daß kein Mitverschulden anzunehmen sei, wenn ein Verkehrsteilnehmer, der bei plötzlich auftretender Gefahr zu schnellem Handeln gezwungen, verwirrt und kopflos geworden sei und - rückblickend betrachtet - in einer solchen Situation eine unrichtige Maßnahme treffe. Ein solcher Fall liege hier aber nicht vor. Der Erstkläger habe eine sehr schmale, kurvenreiche Straße mit einem starken Gefälle befahren und habe damit rechnen müssen, daß er im Fall eines entgegenkommenden Fahrzeuges auf kurze Distanz anhalten müsse. Ihm sei auch eine hinreichende Zeitspanne zur Verfügung gestanden, die genügt hätte, um die im Straßenverkehr im allgemeinen und auf Bergstraßen im besonderen ganz alltägliche Abwehrmaßnahme, nämlich ein sofortiges Anhalten auf halbe Sichtstrecke, vorzunehmen, wodurch er der gegenständlichen Verkehrssituation entsprechend Rechnung getragen hätte. Eine solche Abwehrmaßnahme sei für den Erstkläger umso mehr zumutbar gewesen, als er ja talwärts entlang der Böschung gefahren sei und für sein Fahrzeug auch im Fall der Kollision laut kraftfahrzeugtechnischem Gutachten keine Absturzgefahr bestanden hätte. An jeden Kraftfahrer sei bezüglich der erforderlichen Fahrkenntnisse der Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB anzulegen. Geschehe dies hinsichtlich des Erstklägers, dann sei durch das festgestellte Fehlverhalten des Erstbeklagten keinesfalls eine so gefährliche oder überraschende Verkehrssituation geschaffen worden, daß der Erstkläger nicht zweckmäßig durch ein sofortiges Anhalten hätte reagieren können bzw. daß seine Fehlreaktion vernachlässigt werden könnte. Es habe für den Erstkläger kein Anlaß für ein Hinauflenken seines Fahrzeuges auf die Böschung bestanden. Unter diesen Umständen liege in dem vom Erstkläger tatsächlich gesetzten Fahrverhalten ein solcher Sorgfaltsverstoß, der seinem Gewicht nach dem Fehlverhalten des Erstbeklagten durchaus gleichzusetzen sei. Als Verunstaltungsentschädigung sei ein Betrag von S 40.000 angemessen. Der Erstkläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt die Wiederherstellung des Ersturteiles.

Die beklagten Parteien beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Da wegen der geringen Fahrbahnbreite eine gefahrlose Begegnung der beiden Fahrzeuge nicht möglich war, bestand gemäß § 10 Abs. 2 StVO für die Fahrzeuglenker die Pflicht, anzuhalten, oder die Geschwindigkeit zumindest so stark herabzusetzen, daß die Fahrzeuge durch Vorbeitasten einander passieren (vgl. ZVR 1981/180). Beide haben dies jedoch nicht getan. Die in der Revision vertretene Ansicht, dem Erstkläger sei kein Verstoß gegen diese Vorschrift anzulasten, kann nicht geteilt werden. Der Erstkläger hielt zwar nur eine Geschwindigkeit von 15 bis 20 km/h ein, er konnte wegen des starken Gefälles aber nur eine wesentlich geringere Bremsverzögerung erreichen als der mit 30 bis 35 km/h bergauf fahrende Erstbeklagte. Es konnte zwar nicht festgestellt werden, auf welche Entfernung sich die beiden Fahrzeuglenker erstmals sahen und wo sie sich zu diesem Zeitpunkt befanden, aus den Feststellungen des Erstgerichtes ergibt sich jedoch, daß die Entfernung höchstens etwa 30 m war. Auch der Erstkläger wäre daher zu einer sofortigen wesentlichen Verminderung seiner Geschwindigkeit verpflichtet gewesen. Daß er dies nach den Feststellungen tun wollte, ist für die Verschuldensfrage ohne Bedeutung, entscheidend ist, daß er tatsächlich keine Verminderung seiner Geschwindigkeit vornahm. Der Umstand, daß das entgegenkommende Fahrzeug nicht langsamer wurde, bildet keine Rechtfertigung dafür, daß auch der Erstkläger nicht bremste. Gerade deshalb, weil das entgegenkommende Fahrzeug sich mit unverminderter Geschwindigkeit näherte, hätte der Erstkläger ganz knapp am rechten Fahrbahnrand (an der steil ansteigenden Böschung) anhalten müssen. Dadurch, daß er dies nicht getan hat und ebenso wie der Erstbeklagte mit unverminderter Geschwindigkeit weitergefahren ist, hat er in gleicher Weise wie der Erstbeklagte gegen die Vorschrift des § 10 Abs. 2 StVO verstoßen, weshalb die vom Berufungsgericht vorgenommene Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 1 zu billigen ist. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers ist die Verunstaltungsentschädigung mit S 40.000 nicht zu gering bemessen. Nicht zielführend sind die Revisionsausführungen, der Erstkläger könne keinen Sport mehr betreiben, die Verletzung sei von erheblichen seelischen Problemen begleitet. Diesen Umständen kommt bei Bemessung des Schmerzengeldes Bedeutung zu, nicht aber bei einer Entschädigung nach § 1326 ABGB, weil diese ein Ersatz für einen Vermögensschaden ist (ZVR 1972/82; EFSlg. 51.503 uva.). Gewiß stellen die beim Erstkläger am linken Arm verbliebenen Folgen eine Verunstaltung im Sinne des § 1326 ABGB dar. Inwiefern dadurch beim Erstkläger, der laut eigenen Angaben als selbständig Erwerbstätiger eine Handelsagentur betreibt, eine Verminderung des besseren beruflichen Fortkommens bewirkt werden sollte, ist jedoch nicht einzusehen, jedenfalls kann nicht von einer ins Gewicht fallenden, auf die Verunstaltung zurückzuführenden Beeinträchtigung ausgegangen werden. Die Heiratsaussichten mögen durch die Verunstaltung eine Verminderung erfahren haben, eine besonders gravierende Beeinträchtigung kann aber auch hier nicht angenommen werden. Eine Verunstaltungsentschädigung in einem S 40.000 übersteigenden Betrag wäre daher jedenfalls nicht berechtigt.

Aus diesen Gründen war der Revision ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E19988

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00008.9.0228.000

Dokumentnummer

JJT_19900228_OGH0002_0020OB00008_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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