TE Vwgh Erkenntnis 2006/1/24 2003/08/0162

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Veröffentlicht am 24.01.2006
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §253c;
ASVG §270;
ASVG §355;
ASVG §412 Abs1;
ASVG §413 Abs1 Z1;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §60;
AVG §68 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der Pensionsversicherungsanstalt in Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 12, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 2. Juli 2003, Zl. 3/05-V/13.727/2-2003, betreffend Zurückweisung eines Antrages in einer Angelegenheit nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei: E in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Einspruch des Mitbeteiligten gegen einen Bescheid der beschwerdeführenden Partei vom 11. Dezember 2002, mit dem ein vom Mitbeteiligten gestellter Antrag auf Gleitpension gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden war, Folge gegeben und den Bescheid der beschwerdeführenden Partei ersatzlos behoben.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass sich aus dem "vorgelegten Anstaltsakt" folgender Sachverhalt ergebe: Der (am 24. März 1942 geborene) Mitbeteiligte habe am 14. Juni 2002 einen Antrag auf Gewährung einer Gleitpension gemäß § 270 i.V.m.

§ 253c ASVG gestellt. Die beschwerdeführende Partei habe daraufhin mit Bescheid vom 16. Juli 2002 diesen Antrag abgelehnt, da der Versicherungsfall des Alters erst mit Vollendung des

732. Lebensmonates, sohin mit Vollendung des 61. Lebensjahres eintrete. Dieser Bescheid vom 16. Juli 2002 sei in Rechtskraft erwachsen. Am 31. Oktober 2002 habe der Mitbeteiligte den verfahrensgegenständlichen "Antrag auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer" gestellt. Mit Schreiben vom 7. November 2002 habe die beschwerdeführende Partei mitgeteilt, dass die Anspruchvoraussetzungen für eine Gleitpension - auf Grund des Alters des Mitbeteiligten - erst mit 1. April 2003 erfüllt seien. Der Mitbeteiligte habe daraufhin mit Schreiben vom 29. November 2002 für den Fall, dass sein Antrag nicht positiv erledigt werden könne, die Ausstellung eines ablehnenden Bescheides beantragt. Mit Bescheid vom 11. Dezember 2002 habe die beschwerdeführende Partei den Antrag des Mitbeteiligten vom 31. Oktober 2002 auf Zuerkennung einer Gleitpension gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache mit der Begründung zurückgewiesen, dass beim Mitbeteiligten der Versicherungsfall des Alters mangels Vollendung des 732. Lebensmonates gemäß § 253c ASVG nach wie vor nicht eingetreten sei. In seinem Einspruch gegen diesen Bescheid bringe der Mitbeteiligte sinngemäß vor, dass sich der von ihm am 30. Oktober 2002 gestellte Antrag auf Gewährung einer Gleitpension auf einen anderen Zeitraum beziehe als der Antrag vom 14. Juni 2002. Weiters werde vom Mitbeteiligten eingewendet, dass sich der Antrag vom 30. Oktober 2002 auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer gerichtet habe. Der Antrag vom 14. Juni 2002 sei hingegen auf Gleitpension gerichtet gewesen.

In der Folge begründet die belangte Behörde die Behebung des erstinstanzlichen Bescheides im Wesentlichen damit, dass "auf Grund der Aktenlage nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden" könne, ob sich das frühere Begehren des Mitbeteiligten (Antrag vom 14. Juni 2002) mit seinem neuen Begehren (Antrag vom 31. Oktober 2002) decke, da der Mitbeteiligte behauptet habe, in dem neuen Antrag "vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer" beantragt zu haben. Es sei daher "nicht mit der zur Erlassung eines Bescheides erforderlichen Sicherheit auszuschließen," dass sich der entscheidungsrelevante wesentliche Sachverhalt gegenüber dem ersten Antrag geändert habe. Habe eine Unterinstanz einen Antrag zurückgewiesen, dürfe die Rechtsmittelbehörde nur über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, nicht aber über den zurückgewiesenen Antrag entscheiden. Der belangten Behörde sei es daher verwehrt, den unterinstanzlichen Bescheid in eine Sachentscheidung abzuändern.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde der Pensionsversicherungsanstalt mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben. Die beschwerdeführende Partei legte auch die Akten des erstinstanzlichen Verfahrens vor.

Die belangte Behörde legte die Akten des Einspruchsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Der Mitbeteiligte hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen zunächst mit Recht davon aus, dass die Zurückweisung des Antrages des Mitbeteiligten durch die beschwerdeführende Partei wegen entschiedener Sache eine Verwaltungssache im Sinne des § 355 ASVG darstellt und daher der Einspruch nach den §§ 412 Abs. 1 und 413 Abs. 1 Z. 1 ASVG zulässig war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 1995, Zl. 93/08/0207 m.w.N.).

2. Wie sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt ergibt, hat der Mitbeteiligte unter Verwendung eines von der beschwerdeführenden Partei aufgelegten Formblatts, datiert mit 14. Juni 2002 (bei der beschwerdeführenden Partei eingelangt am 17. Juni 2002), den Antrag auf Gewährung einer Gleitpension zum Stichtag 1. Juli 2002 gestellt. Er hat auf diesem Formblatt zur Frage 5a., bei der ausdrücklich vermerkt ist, dass sie "nur bei Antrag auf Gleitpension" auszufüllen ist, angegeben, dass das Ausmaß der Erwerbstätigkeit ab 1. April 2002 reduziert werde.

Mit Bescheid der beschwerdeführenden Partei vom 16. Juni 2002 wurde dieser Antrag abgewiesen, wobei in der Begründung darauf hingewiesen wurde, dass gemäß § 223 i.V.m. § 253c ASVG der Versicherungsfall des Alters mit der Vollendung des 732. Lebensmonats eintrete; dies sei beim Mitbeteiligten erst am 24. März 2003 der Fall.

Mit einem mit 30. Oktober 2002 datierten, am 31. Oktober 2002 bei der beschwerdeführenden Partei eingelangten Antrag begehrte der Mitbeteiligte wiederum - wie sich aus dem Ankreuzen des entsprechenden Formularfeldes auf dem Antragsformular eindeutig ergibt - die Gewährung einer Gleitpension, diesmal zum Stichtag 1. Oktober 2002. Auch in diesem Antragsformular gab der Mitbeteiligte bei Frage 5a., die "nur bei Antrag auf Gleitpension" auszufüllen ist, einen Termin für die Reduzierung der Erwerbstätigkeit - in diesem Fall den 1. Oktober 2002 - an.

Die beschwerdeführende Partei wies diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2002 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück.

In seinem gegen diesen Bescheid gerichteten Einspruch machte der Mitbeteiligte geltend, dass sich der am 31. Oktober 2002 gestellte Antrag "auf einen anderen Zeitraum für die Gewährung einer Gleitpension" gerichtet habe und schon aus diesem Grunde Identität der Sache nicht gegeben sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Einspruch des Mitbeteiligten stattgegeben und den Bescheid der beschwerdeführenden Partei vom 11. Dezember 2002 ersatzlos behoben.

3. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG, der trotz Nichtanführung im § 357 ASVG auch von der beschwerdeführenden Partei anzuwenden ist (vgl. dazu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 30. Mai 1995), sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 bis 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet und auch in den anzuwendenden Verwaltungsvorschriften keine Sonderregelung vorgesehen ist (§ 68 Abs. 6 AVG) wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Dem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung stehen Ansuchen gleich, die eine erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezwecken, da § 68 Abs. 1 AVG in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern soll. Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird demgemäß durch die "entschiedene Sache", d.h. durch die Identität der Verwaltungssache, über die bereits mit einem formellen rechtskräftigen Bescheid abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten bestimmt (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 16. November 1993, Zl. 92/08/0191, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Von einer Identität der Sache kann also nur dann gesprochen werden, wenn einerseits weder in der Rechtslage noch in den für die Beurteilung des Parteienbegehrens maßgeblichen tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und sich andererseits das neue Parteienbegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Ob dies der Fall ist, hatte die belangte Behörde auf Grund des ihr vorliegenden Einspruchs zu beurteilen und für den Fall, dass sie die im Bescheid der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt zum Ausdruck kommende Auffassung teilt, den Einspruch des Mitbeteiligten abzuweisen bzw. - im entgegengesetzten Fall - diesen Bescheid aufzuheben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. April 1993, Zl. 91/08/0092).

4. Wenn die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides zum Ausdruck bringt, es könne weder geklärt werden, ob sich das Parteibegehren im Antrag vom 14. Juni 2002 mit dem Parteibegehren im Antrag vom 31. Oktober 2002 decke, noch ob sich der entscheidungsrelevante Sachverhalt gegenüber dem ersten Antrag geändert habe, so stellt dies keine gesetzmäßige Begründung für die ersatzlose Behebung des Bescheides der beschwerdeführenden Partei dar. Die Aufhebung des eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache aussprechenden erstinstanzlichen Bescheides hat zur Konsequenz, dass die erstinstanzliche Behörde in Bindung an die Auffassung der Einspruchsbehörde den gestellten Antrag jedenfalls nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 30. Mai 1995); es wäre daher der belangten Behörde oblegen, bindend das Vorliegen der Voraussetzungen des § 68 Abs. 1 AVG zu beurteilen; für eine Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheids bloß "im Zweifel" - weil nicht auszuschließen bzw. nicht zu klären sei, ob sich der Sachverhalt oder das Parteienbegehren geändert habe -, wie dies in der Begründung des angefochtenen Bescheides zum Ausdruck kommt, besteht keine gesetzliche Grundlage.

5. Ein allein in der Begründung des angefochtenen Bescheides gelegener Mangel ist jedoch bei Zutreffen des Spruchs der Entscheidung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtlich (vgl. dazu die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Band I, 2. Aufl., E 150ff zu § 60 AVG, angeführte hg. Rechtsprechung). Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen, ob der Spruch des angefochtenen Bescheides ungeachtet seiner unzutreffenden Begründung rechtsrichtig ist.

Dazu ist zunächst festzuhalten, dass sich zwischen den am 17. Juni bzw. am 31. Oktober 2002 bei der beschwerdeführenden Partei eingelangten Anträgen des Mitbeteiligten die maßgebende Rechtslage nicht geändert hat und dass der Mitbeteiligte auch eine wesentliche Sachverhaltsänderung nicht behauptet hat. Die beiden Anträge - die bei einem antragsbedürftigen Verfahren in erster Linie die Identität des Verfahrensgegenstandes bestimmen - waren nach ihrem eindeutigen Wortlaut jeweils auf Zuerkennung einer Gleitpension gerichtet und unterschieden sich lediglich im Stichtag (sowie in dem vom Mitbeteiligten angegebenen Datum der Herabsetzung seiner Arbeitszeit, das mit dem Stichtag in Zusammenhang steht). Die Parteibegehren beider Anträge deckten sich damit in den für die Entscheidung wesentlichen Punkten, woran auch die in den Anträgen genannten unterschiedlichen Stichtage nichts zu ändern vermögen:

Zum Stichtag gemäß § 223 ASVG wird die maßgebliche Sach- und Rechtslage für den (behaupteten) Pensionsanspruch geprüft; für die Entscheidung bestimmend ist, ob zu diesem Zeitpunkt der Versicherungsfall eingetreten ist und auch die anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Das Antragsbegehren richtet sich damit nicht auf einen bestimmten Stichtag, sondern auf die Zuerkennung einer Leistung aus der Pensionsversicherung; der Stichtag ist lediglich jener - im Wesentlichen in Abhängigkeit vom Antragsdatum nach der Bestimmung des § 223 Abs. 2 festzustellende -

Zeitpunkt, zu dem das Vorliegen der Voraussetzungen geprüft wird.

Bereits mit Bescheid der beschwerdeführenden Partei vom 16. Juli 2002 wurde der Antrag des Mitbeteiligten auf Gewährung einer Gleitpension abgewiesen. Dieser Bescheid enthielt damit - vergleichbar mit einem Abspruch über das Bestehen einer Versicherungspflicht (vgl. dazu z.B. das hg. Erkenntnis vom 17. November 2004, Zl. 2002/08/0283) - einen Abspruch über das Vorliegen der Voraussetzungen (bzw. deren Fehlen) für einen Anspruch auf Gleitpension, der bis zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides, aber auch darüber hinaus für jenen Zeitraum gilt, in dem die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren.

Einer Entscheidung über einen vor Eintritt des Versicherungsfalles eingebrachten neuerlichen, auf die gleiche Leistung gerichteten Antrag, ohne dass sich die maßgebliche Sach- oder Rechtslage geändert hätte, steht daher die Rechtskraft dieses Bescheides entgegen.

6. Da der Mitbeteiligte weder hinsichtlich der primären Anspruchsvoraussetzung - Eintritt des Versicherungsfalles - noch der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen in seinem Antrag Neuerungen gegenüber dem ersten Antrag behauptet hat und solche auch nicht ersichtlich sind, hat die erstinstanzliche Behörde somit den Antrag zu Recht gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333, jedoch begrenzt durch das die Pauschalsätze dieser Verordnung unterschreitende Kostenbegehren.

Wien, am 24. Jänner 2006

Schlagworte

Spruch und BegründungZurückweisung wegen entschiedener Sache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003080162.X00

Im RIS seit

03.03.2006

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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