TE OGH 1992/7/9 7Ob578/92

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Veröffentlicht am 09.07.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Schwarz und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Dr.Hermann Holzmann, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Ing.Eduard M*****, vertreten durch Dr.Wilfried Plattner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 700.000,-- sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 27.März 1992, GZ 4 R 45/92-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 28.November 1991, GZ 12 Cg 340/90-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 49.037,40 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten S 8.172,90 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Kreditvertrag vom 1.Februar 1990 gewährte die klagende Partei der W***** KG einen mit 29.Jänner 1995 befristeten Betriebsmittelkredit, für den der Beklagte, Dipl.Ing.Johann O***** und Dr.Walter W***** die Haftung als Bürgen und Zahler übernommen haben. Nach den Bestimmungen des Kreditvertrages ist der Kreditgeber berechtigt, den gesamten Kredit sofort fällig zu stellen, wenn unter anderem in den wirtschaftlichen Verhältnissen des Kreditnehmers oder denen der bestellten Sicherheiten Verschlechterungen oder Änderungen eintreten, die eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Kredites bedeuten. Als über den Beklagten anfangs Oktober 1990 die Untersuchungshaft verhängt wurde, stellte die klagende Partei, gestützt auf diese Vertragsklausel, den Kredit sofort fällig. Sie begehrt vom Beklagten einen Teilbetrag von S 700.000 sA des aushaftenden Debetsaldos.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen kam es am 24.Oktober 1990 zwischen dem Geschäftsführer der Hauptschuldnerin Dipl.Ing.Johann O***** und Ewald T*****, dem Geschäftsleiter der klagenden Partei, zu einer Unterredung, bei der der Geschäftsführer der Hauptschuldnerin namens dieser um eine Stundung des Kreditbetrages bis 31.Dezember 1991 mit der Begründung ersuchte, daß durch Eingang von offenen Kundenforderungen sowie durch die Einzahlung der aushaftenden Kommanditeinlagen eine Kontoabdeckung erfolgen könnte. Dipl.Ing.O***** anerkannte im Namen der Hauptschuldnerin die Fälligkeit des Kredites und ersuchte (auch) im eigenen Namen und im Namen des Dr.Walter W***** als Bürgen und Zahler um Aufschub der Geltendmachung des aushaftenden Betrages bis 31. Dezember 1991. Ewald T***** bewilligte im Namen der Klägerin eine Aussetzung der Betreibung bis 31.Dezember 1991 gegenüber den Bürgen und Zahlern Dipl.Ing.Johann O***** und Dr.Walter W***** und räumte eine vorübergehende Kontoüberziehung ohne Überziehungskosten unter der Bedingung ein, daß auch für diese Ausnützungsbeträge die persönliche Haftung der Bürgen gelten soll. Diese Überziehungsmöglichkeit wurde in der Folge auch in Anspruch genommen. Eine ausdrückliche Stundung ganz allgemein lehnte er ab. Zu Gunsten des damals noch in Untersuchungshaft gewesenen Beklagten wurde keine Vereinbarung getroffen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß durch die Vereinbarung vom 24.Oktober 1990 der Hauptschuldnerin eine reine Stundung bis 31.Dezember 1991 gewährt worden sei. Auf die der Hauptschuldnerin gewährte Stundung könne sich auch der Bürge berufen. Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig ist.

Nach der Ansicht des Berufungsgerichtes gelte der Rechtssatz, daß sich auch der Bürge und Zahler auf die dem Hauptschuldner gewährte Stundung berufen könne, nur für eine volle, nicht aber für eine reine Stundung. Die zwischen der klagenden Partei und der Hauptschuldnerin getroffene Vereinbarung sei der letzteren Kategorie zuzuordnen. Der Beklagte könne daher aus der Tatsache, daß die klagende Partei der Hauptschuldnerin durch Genehmigung einer vorübergehenden Kontoüberziehung trotz Aufrechterhaltung der Fälligstellung des Kredites eine reine Stundung der Kreditforderung gewährt habe, keine Rechte für sich ableiten und sei daher zur Zahlung der gegen ihn geltend gemachten offenen Kreditforderung verpflichtet. Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision des Beklagten ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Bei der Annahme des Erstgerichtes, der Hauptschuldnerin sei eine reine Stundung bis 31.Dezember 1991 eingeräumt worden, handelt es sich um keine Aktenwidrigkeit (vgl. hiezu Fasching ZPR2 Rz 1771), sondern um einen Teil der rechtlichen Beurteilung, die das Berufungsgericht letztlich auch teilte (AS. 105, ON 14). Diese Beurteilung der Vereinbarung vom 24.Oktober 1990 entspricht auch den Auslegungsgrundsätzen des § 914 ABGB und der Lehre und Rechtsprechung hiezu. Fest steht, daß der Geschäftsführer der Hauptschuldnerin auch namens dieser um Stundung der Kreditschuld bis 31.Dezember 1991 mit der Begründung ersuchte, daß durch offene Kundenforderungen und Einzahlung der aushaftenden Kommanditeinlagen eine Kontoabdeckung erfolgen könne. Die Reaktion des Vertreters der klagenden Partei hierauf, insbesondere das von ihm offenbar geforderte und vom Geschäftsführer der Hauptschuldnerin auch abgegebene Anerkenntnis der Fälligkeit der Hauptschuld (Beilage A) konnte im Zusammenhalt mit der bewilligten Kontoüberziehung und auch unter Bedachtnahme auf den vom Vertreter der klagenden Partei gemachten Vorbehalt nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont (vgl. Rummel in Rummel2 Rz 4 zu § 914 und die dort zitierte Rechtsprechung) nur so verstanden werden, daß die klagende Partei auch der Hauptschuldnerin gegenüber bis 31. Dezember 1991 auf die Geltendmachung ihrer Forderung wegen des erwarteten Einganges verzichtet. Die reine Stundung besteht gerade darin, daß der Gläubiger nur die Geltendmachung der Forderung hinausschiebt und die Fälligkeit unberührt bleibt (Koziol-Welser8 I 214; Mayrhofer-Ehrenzweig, Schuldrecht, Allgemeiner Teil 83; vgl. auch Reischauer in Rummel aaO, Rz 13 zu § 904).

In der Beurteilung der Wirkung dieser reinen Stundung auf den Bürgen und Zahler kann der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes aber nicht gefolgt werden. Nach Rechtsprechung und Lehre kommt die dem Hauptschuldner gewährte Stundung auch dem Bürgen und Zahler zustatten (ZBl. 1926/270; ZBl. 1935/295; EvBl. 1954/312; Gamerith in Rummel Rz 3 zu § 1357; Schwimann-Mader, ABGB V, § 1357 Rz 2). Diese Meinung wird auch zu der vergleichbaren Rechtslage in Deutschland vertreten (Pallandt51 § 768 RN 6; MünchKomm-Pecher § 768 RN 3; Soergel-Mühl § 768 RN 4). Soweit ersichtlich, wird jedoch hiebei zwischen der vollen und der echten Stundung nicht ausdrücklich unterschieden. Im Falle der Entscheidung ZBl. 1926/270 handelte es sich offensichtlich um eine volle Stundung. Der der Entscheidung EvBl. 1954/312 zugrunde liegende Sachverhalt war dadurch gekennzeichnet, daß der Gläubiger nach gerichtlicher Belangung des Hauptschuldners und des Bürgen mit dem Ersteren einen Vergleich abschloß. Der Oberste Gerichtshof berief sich in seiner Begründung auf die Meinung Ohmeyers in GZ 1927, 211. Danach kann der Gläubiger die Befriedigung vom Bürgen nur dann fordern, wenn er sie auch vom Hauptschuldner fordern könnte; und er hat gegen den Bürgen insoweit keinen Anspruch, als er ihn nicht gegen den Hauptschuldner durchsetzen kann. Aus dieser Rechtsstellung des Bürgen ergibt sich, daß der Bürge überall da, wo dem Gläubigeranspruch eine Einrede, sei es welcher Art immer, entgegensteht, von dem Leistenmüssen an den Gläubiger dann und insofern befreit wird, als die Einrede den Hauptschuldner von der Leistung befreien würde. Diesen Ausführungen ist voll zuzustimmen. Sie entsprechen der Akzessorietät der Bürgschaft. Der Bürge verspricht bloß das zu leisten, was der Hauptschuldner schuldet. Die Bürgschaft soll in ihrem Grundtypus nur die Einbringlichkeit der Hauptschuld sichern und ist deshalb in ihrem Bestand von der Hauptschuld abhängig (Koziol-Welser aaO 294). Daraus folgt, daß dem Bürgen - und dies gilt auch für den Bürgen und Zahler - alle Einwendungen aus dem Bestand und dem Erlöschen der Hauptschuld offenstehen, wie sie auch dem Hauptschuldner zukommen. Ausgeschlossen sind lediglich Einwendungen, die nur die Haftung des Hauptschuldners ausschließen (Gamerith aaO Rz 6 zu § 1351 und Rz 3 zu § 1357). Zu den ersteren gehört auch die dem Hauptschuldner gewährte reine Stundung. Bei dieser Form der abgeschwächten Stundung ist der Hauptschuldner zwar berechtigt, die fällige Schuld vor Ablauf der Stundungsfrist zu bezahlen, wird er jedoch vom Gläubiger auf Leistung belangt, kann er dieses Begehren unter Berufung auf den Aufschub der Geltendmachung der Forderung abwehren. Befreit die reine Stundung den Hauptschuldner vom Leistenmüssen, muß dies auf Grund der Akzessorietät der Bürgschaft auch für den Bürgen gelten. Für diese Auffassung spricht neben der Akzessorietät der Bürgschaft auch das Verständnis des § 1353 ABGB in Lehre und Rechtsprechung. Änderungen der Hauptschuld durch Vereinbarung zwischen Gläubiger und Hauptschuldner können die Haftung des Bürgen wohl mindern oder erleichtern, aber nicht erweitern oder erschweren (Gamerith aaO Rz 4 zu § 1353 mwN). Versagt man dem Bürgen das Recht, sich auf die zwischen Gläubiger und Hauptschuldner getroffene echte Stundung zu berufen, bedeutet dies eine Verschlechterung der Rechtsstellung des Bürgen. Er müßte Zahlung leisten, könnte aber die auf ihn übergegangene Forderung des Gläubigers (§ 1358 ABGB) gegen den Hauptschuldner nicht sofort geltend machen (so auch ZBl. 1926/270 mit zustimmender Anmerkung von Ohmeyer).

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E30461 7Ob578.92

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0070OB00578.92.0709.000

Dokumentnummer

JJT_19920709_OGH0002_0070OB00578_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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