TE OGH 1992/11/26 8Ob570/91

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Veröffentlicht am 26.11.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schwarz, Dr.Graf, Dr.Jelinek und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** GmbH, ***** vertreten durch Dr.Werner Masser, Dr.Ernst Grossmann, Dr.Eduard Klingsbigl und Dr.Robert Lirsch, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Varda B*****, 2.) Susanne D*****, 3.) Betty D*****, alle vertreten durch Dr.Gerhard Eckert, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 66.846,-- s.A. (Revisionsinteresse S 62.146,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 16.Jänner 1991, GZ 48 R 757/90-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 10.September 1990, GZ 48 C 547/89d-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung - unter Einschluß des in Rechtskraft erwachsenen Ausspruches - insgesamt lautet:

1. Die Klagsforderung besteht mit S 56.947,44 zu Recht, mit S 9.898,56 hingegen nicht zu Recht.

2. Die von den beklagten Parteien eingewendete Gegenforderung besteht bis zur Höhe der zu Recht bestehenden Klagsforderung nicht zu Recht.

3. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei S 56.947,44 samt 4 % Zinsen seit 19.10.1989 binnen 14 Tagen zu bezahlen; das Mehrbegehren von S 9.898,56 sowie das Zinsenmehrbegehren wird hingegen abgewiesen.

4. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die insgesamt mit S 27.250,57 (darin enthalten S 2.949,43 anteilige Umsatzsteuer von 70 % und S 9.594,-- anteilige Barauslagen von 85 %) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Gesellschaft schloß mit den beklagten Liegenschaftseigentümern am 19.4.1988 einen Mietvertrag über die (von ihrer Direktorin Christa M***** zu beziehende) Wohnung im Dachgeschoß des Hauses *****. Das Mietverhältnis begann am 1.6.1988 und sollte am 31.5.1990 - ohne daß es einer Kündigung bedürfte - enden; der Mieterin wurde ein Optionsrecht auf ein weiteres Jahr eingeräumt. Der monatliche Mietzins für das - ausdrücklich von den Mietzinsbestimmungen des "Mietengesetzes" ausgenommene - Mietobjekt betrug S 29.000,-- wertgesichert nach dem VPI 1986 zuzüglich Umsatzsteuer in jeweiliger gesetzlicher Höhe und anteiligen gesetzlichen Betriebskosten und Liftkosten. Im Punkt IV des Vertrages wurde festgehalten, daß der Mieter das Bestandobjekt als Erstbezug, daher in erstklassigem, neuwertigem Zustand übernimmt. Bereits am 25.10.1988 räumte jedoch die klagende Partei das Bestandobjekt; sie erklärte mit Schreiben dieses Tages ihren Rücktritt vom Mietvertrag, weil die Wohnung Mängel aufwies, die trotz mehrmaliger Behebungsaufforderung von den Beklagten nicht behoben wurden und den ordentlichen Gebrauch des Bestandgegenstandes hinderten. So war insbesondere bis zuletzt die Heizung der Wohnung nicht funktionsfähig; es fehlten eine Türklingel, ein Postkasten und eine Mülltonne; es gab keinen Lift, außerdem fehlten beim Stiegenaufgang teilweise die Stufen. Die klagende Gesellschaft zahlte für die Vermittlung des vorliegenden Mietvertrages eine Provision von S 58.000,-- sowie eine Vertragsgebühr von S 8.136,--. Anläßlich des Auszuges aus der Mietwohnung mußte die klagende Partei Umzugkosten in Höhe von S 18.480,-- zahlen.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die klagende Gesellschaft aus dem Titel des Schadenersatzes unter Bedachtnahme darauf, daß sie die gemietete Wohnung nur fünf Monate benützen konnte, 79 % (= 19/24-tel) ihrer "frustrierten" Aufwendungen für die Vermittlungsprovision, Vertragsgebühr und die Umzugskosten von insgesamt S 84.616,--, sohin - abgerundet - den Betrag von S 66.846,-- samt Anhang mit der Begründung, sie sei berechtigt vom Mietvertrag gemäß § 1117 ABGB zurückgetreten, weil ihr die Beklagten trotz mehrfacher Aufforderung nicht den bedungenen Gebrauch des Mietgegenstandes verschafft hätten.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten - soweit dies im Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist - ein, sie träfe am Vertragsrücktritt der klagenden Partei kein Verschulden, der Rücktritt sei vielmehr unberechtigt erklärt worden, weil nur geringfügige Mängel im wesentlichen an den allgemein benützbaren Hausbestandteilen vorgelegen seien.

Das Erstgericht sprach in seiner Entscheidung aus, daß die Klagsforderung mit S 4.700,-- zu Recht und die von den Beklagten eingewendete Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung nicht zu Recht bestehe, und verpflichtete die Beklagten unter Abweisung des Mehrbegehrens zur Zahlung des Betrags von S 4.700,-- samt 4 % Zinsen seit 19.10.1989, dem Tag der Klagsbehändigung. Es vertrat dabei folgenden Rechtsstandpunkt: Die klagende Gesellschaft sei nach dem vorliegenden Sachverhalt zur Vertragsauflösung berechtigt gewesen. Es sei auch von einem Verschulden der Beklagten auszugehen, weil sie trotz wiederholter Mängelrügen in wichtigen Punkten bis zum Auszug der (Direktorin der) klagenden Partei den bedungenen Gebrauch hindernde Mängel nicht behoben hätten, obwohl sie erstklassigen Zustand des Mietobjektes zugesagt hätten. Da jedoch die klagende Partei die Kosten für die Vertragsvermittlung (Vermittlungsprovision) und die Vertragsgebühren auch bei vertragsgemäßem Verhalten der Beklagten zu tragen gehabt hätte und solche Kosten für ein "Ersatzobjekt" nicht geltend gemacht worden seien, stünde der klagenden Partei aus diesen Titeln kein Ersatzanspruch zu. Bei den geltend gemachten Umzugskosten handle es sich um einen vorverlagerten Schaden, weil die klagende Partei (bis zu) drei Jahre(n) das Mietobjekt bewohnen hätte können und nur fünf Monate bewohnt habe; hier stünden ihr "kapitalisierte Zinsen aus den vorverlagerten Umzugskosten" zu, die gemäß § 273 ZPO unter Annahme einer durchschnittlichen 10 %igen monatlichen Verzinsung und der restlichen Benützungsmöglichkeit von 31 Monaten "kapitalisiert" rund 25 % der geltend gemachten Umzugskosten, daher insgesamt S 4.700,-- "ausmachten". Die von den Beklagten eingewendete Gegenforderung sei schon wegen Verfristung ihrer Geltendmachung gemäß § 1111 ABGB unberechtigt.

Gegen die Entscheidung des Erstgerichtes erhob nur die klagende Partei Berufung, sodaß der Teilzuspruch von S 4.700,-- aus dem Titel "teilweiser Ersatz von Umzugskosten" in Rechtskraft erwuchs.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Es vertrat die Auffassung, daß die Frage der Berechtigung des vorzeitigen Vertragsrücktritts der klagenden Gesellschaft nach § 1117 ABGB und die von den Beklagten eingewendete Gegenforderung nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens seien und äußerte folgende Rechtsansichten: Für die Beurteilung der Frage, ob der klagenden Partei die geltend gemachten Schadenersatzansprüche zustünden, sei die Abgrenzung zwischen Vertrauensschaden (negativem Vertragsinteresse) und dem positiven Vertragsinteresse (Nichterfüllungsinteresse) wesentlich. Der Vertrauensschaden gebühre nur demjenigen, der auf die Gültigkeit einer abgegebenen Erklärung vertraut habe, obwohl die Erklärung ungültig oder der Vertrag nicht zustandegekommen sei: In diesem Fall habe der Schädiger den Vertrauenden so zu stellen, wie er stünde, wenn er mit der Gültigkeit seiner Verpflichtung nicht gerechnet hätte. Sei jedoch der Schaden durch Nichterfüllung einer gültig begründeten Leistungsverpflichtung entstanden, so habe der Schädiger den Zustand herzustellen, der im Vermögen des Geschädigten bei gehöriger Erfüllung bestünde (Nichterfüllungsinteresse oder positives Erfüllungsinteresse). Es sei zu prüfen, wie der unverschuldet Zurücktretende bei Erfüllung des Vertrages vermögensmäßig stünde.Nur so könne das Erfüllungsinteresse ermittelt werden. Für die Frage des Ersatzes sogenannter "frustierter Aufwendungen" komme es stets darauf an, ob diese bloß bei dem konkret abgeschlossenen Geschäft angefallen seien oder ob solche Aufwendungen vom Zurücktretenden jedenfalls zu tragen gewesen wären. Die von der klagenden Partei begehrten Forderungen seien vom Erfüllungsinteresse nicht gedeckt. Kosten eines Deckungsgeschäftes seien nicht Gegenstand der Klage, sodaß über die Frage, ob für die klagende Gesellschaft durch den Vertragsrücktritt ein Deckungsgeschäft erforderlich gewesen sei bzw. welche Kosten dafür allenfalls erwachsen seien, nicht abzusprechen sei. Zur Frage der schadenersatzrechtlichen Folgen eines Rücktritts nach § 1117 ABGB fehle "weitgehend" Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der klagenden Partei ist zulässig und teilweise berechtigt.

Wie das Gericht zweiter Instanz schon für das Berufungsverfahren zutreffend hervorhob, ist die Frage des berechtigten Vertragsrücktrittes der klagenden Partei vom Mietvertrag gemäß § 1117 ABGB und die fehlende Berechtigung (Verfristung) der eingewendeten Gegenforderung der Beklagten sowie der Teilzuspruch von S 4.700,-- aus dem Titel "teilweise Abgeltung der Umzugskosten" nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens. Die klagende Partei macht hier allein geltend, daß die anteiligen Aufwendungen (Vermittlungsprovision, Vertragsgebühr und noch nicht zugesprochene Umzugskosten) für den Mietvertrag, von dem sie nach fünf von vorgesehenen 24 Monaten zurückgetreten sei, als "frustrierte Aufwendungen" schadenersatzfähig und daher zuzusprechen seien. Dem ist auch im Umfang der Vermittlungsprovision und der Vertragsgebühr, nicht hingegen betreffend die noch nicht zugesprochenen Umzugskosten zu folgen: Wie in der Entscheidung SZ 53/173 unter Hinweis auf Rechtsprechung und Lehre in der Bundesrepublik Deutschland ausführlich dargelegt wurde, darf der vertragstreue (schuldlose) Partner die mit dem Vertragsabschluß verbundenen, wegen der Nicht- oder Schlechterfüllung des Vertrages gänzlich oder teilweise nutzlos gewordenen Aufwendungen als Schaden geltend machen; dabei wurde auf den synallagmatischen Zusammenhang von Leistung und Gegenleistung abgestellt und ausgeführt, daß sich die beiderseitigen Leistungen nach dem (gedachten) Parteiwillen als gleichwertig gegenüberstehen; die Erstreckung der Ersatzpflicht auf alle anderen Aufwendungen zur Erlangung der Gegenleistung wurde mit der Erwägung begründet, daß der Gläubiger sie durch den Vorteil der erwarteten Gegenleistung wieder (her-)eingebracht hätte ("Rentabilitätsvermutung" - SZ 53/173). Gegen diese Rentabilitätsvermutung steht dem Schuldner nur der Beweis offen, daß sich der Vertrag bei ordnungsgemäßer Durchführung für den Gläubiger als Verlustgeschäft erwiesen hätte, seine "nachmals frustrierten" Aufwendungen daher jedenfalls verloren gewesen wären (SZ 53/173; SZ 59/8). Ein derartiger Einwand der Beklagten wurde hier nicht einmal behauptet, geschweige denn bewiesen.

Auf den vorliegenden Fall bezogen muß daher davon ausgegangen werden, daß die klagende Gesellschaft die für den Mietvertrag getätigten Aufwendungen für die Vermittlungsprovision und die Vertragsgebühren nach der dargestellten Rentabilitätsvermutung mit der zweijährigen Mietvertrags-(Mindest-)Dauer in wirtschaftlichen Zusammenhang brachte und in dieser Zeit amortisieren wollte, sodaß die aus dem Verschulden der Beklagten nur für fünf Monate - noch dazu in äußerst eingeschränktem Umfang - bestandene Benützungsmöglichkeit der gemieteten Wohnung eine Frustrierung des für insgesamt 24 Monate gedachten, sohin für 19 Monate unnütz getätigten Aufwandes der klagenden Partei bewirkte. Zwar hätte die klagende Gesellschaft diesen Aufwand auch bei vertragsgemäßem Verhalten der Beklagten, nämlich durch Verfügbarmachung eines zugesagten erstklassigen Mietgegenstandes durch mindestens 24 Monate, tätigen müssen; in diesem Fall wäre ihr aber auch gleichzeitig die für sie gleichwertige Gegenleistung für ihre Aufwendungen zugutegekommen. Die nach der Differenzmethode für die Ermittlung der Schadenersatzforderung vorausgesetzte, für die klagende Gesellschaft nachteilige Verminderung ihres Vermögensstandes ist durch das vertragswidrige Verhalten der Beklagten unabhängig vom Abschluß eines "Deckungsgeschäftes" bereits im Umfang dieser nicht erfüllten Rentabilität des Geschäftes eingetreten (vgl. SZ 53/173). Gegen die Berechnung der anteiligen Frustrierung des von der klagenden Gesellschaft getätigten Aufwandes im Verhältnis der um die tatsächlich bestandene Nutzungsmöglichkeit verminderten vereinbarten Benützungsdauer zu dieser selbst (= 19 zu 24 = 79 %) bestehen aus den dargelegten Gründen keine Bedenken.

Anders verhält es sich mit den ebenfalls geltend gemachten - noch nicht rechtskräftig zugesprochenen - Umzugskosten, die in keinem Fall als in Beziehung auf das gescheiterte Vertragsverhältnis getätigte Aufwendung, sondern als Folgekosten der verfrühten Vertragsbeendigung anzusehen sind. Hier ist der vom Erstgericht vorgenommenen - von den Beklagten auch nicht bekämpften - Annahme zu folgen, daß diese - jedenfalls nach Vertragsbeendigung anfallenden - Kosten nur einen um 19 oder (bei zum Nachteil der klagenden Partei angenommener möglicher Vertragsdauer von 3 Jahren) 31 Monate verfrühten Aufwand darstellen und daher nicht in absoluter Höhe (auch nicht mit 79 % wie geltend gemacht), sondern als vorverlagerter Schaden im Ausmaß des für das aufgewendete Kapital eingetretenen Zinsenverlustes zu ersetzen sind. Gegen die vom Erstgericht bei der Anwendung des § 273 ZPO verwendeten Prämissen wurde von den Parteien nichts vorgetragen; dagegen bestehen auch keine rechtlichen Bedenken.

Diese Erwägungen führen in teilweiser Stattgebung der Revision der klagenden Gesellschaft zur spruchgemäßen Entscheidung.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43 Abs.1 und 50, 43 Abs.1 ZPO. Die klagende Partei obsiegte im Verfahren mit rund 85%, sodaß ihr 70 % der (einschließlich S 4.213,47 Umsatzsteuer) gebührenden Verdienstsumme von S 25.280,82, sohin S 17.696,57, und 85 % der gesamten Barauslagen von S 11.240,--, sohin S 9.554,--, an Kosten des gesamten Verfahrens zustehen.

Anmerkung

E30933

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0080OB00570.91.1126.000

Dokumentnummer

JJT_19921126_OGH0002_0080OB00570_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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