TE Vwgh Erkenntnis 2007/1/30 2005/21/0332

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Veröffentlicht am 30.01.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
24/02 Jugendgerichtsbarkeit;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37 Abs2;
JGG §5 Z4;
MRK Art8 Abs2;
StGB §277 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des E, vertreten durch Mag. Gerald Hegenbart, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Kaiser Franz Ring 13, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 26. April 2005, Zl. Fr 204/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen albanischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 des (bis zum 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme verwies die belangte Behörde - auf das Wesentlichste zusammengefasst - darauf, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 8. September 2003 wegen verbrecherischen Komplotts nach § 277 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 5 Z. 4 JGG zu einer siebenmonatigen, bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Er habe am 5. Juni 2003 in Baden mit zwei Mittätern inhaltlich näher spezifizierte Raubüberfälle auf zwei Tankstellen vereinbart. Vom ersten Raubüberfall habe Abstand genommen werden müssen, weil die Tankstelle geschlossen gewesen sei; vor Ausführung des danach geplanten Raubüberfalles seien der Beschwerdeführer und seine Mittäter von zwei Polizeibeamten, die sich in Dienst gestellt hätten, festgenommen worden.

Der Beschwerdeführer sei zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder am 19. April 1999 illegal in das Bundesgebiet eingereist, sein Vater halte sich bereits seit 14. August 1995 im Bundesgebiet auf. Sämtliche Familienmitglieder hätten einen Asylantrag (der Beschwerdeführer richtig einen Asylerstreckungsantrag) eingebracht, die Verfahren seien im Berufungsstadium anhängig. Der Beschwerdeführer verfüge somit über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz. Er habe in Österreich die Schulausbildung abgeschlossen und gehe seit 2. Jänner 2004 einer Beschäftigung als Kochlehrling nach.

Auf Grund der nicht allzu lang zurückliegenden massiven strafbaren Handlung könne trotz des sechsjährigen Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich nicht davon ausgegangen werden, dass er besonders integriert wäre. Die Integration setze nämlich auch ein gewisses Maß an Rechtstreue voraus. Aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes sei somit, unabhängig von der bedingten Strafnachsicht, ein Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz der Rechte Dritter zulässig und zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten.

Der Beschwerdeführer werde bald das 18. Lebensjahr vollenden und dann als "großjährig gelten". Dadurch würden familiäre Beziehungen zu den Eltern, die den Beschwerdeführer auch bisher nicht von strafbarem Verhalten hätten abhalten können, relativiert. Auch komme dem Beschwerdeführer und seinen Angehörigen in Österreich nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz zu.

Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er hätte in seinem Heimatland keine familiären Beziehungen, sei zu entgegnen, dass § 37 FrG die Führung eines Privat- und Familienlebens außerhalb von Österreich nicht gewährleiste. Auch werde mit einem Aufenthaltsverbot nicht ausgesprochen, dass er in ein bestimmtes Land auszureisen hätte oder dass er (allenfalls) abgeschoben werde.

Diese Umstände und die Schwere der Straftat begründeten eine negative Prognosebeurteilung, sodass die aufgezeigten persönlichen und familiären Interessen eindeutig hinter die öffentlichen Interessen an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen zurückträten. Diese Überlegungen gelten, zumal keine besonders berücksichtigungswürdigen Umstände ersichtlich seien, auch für den Ermessensspielraum nach § 36 Abs. 1 FrG.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z. 2).

Im § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des zuvor erwähnten Abs. 1 gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Nach Z. 1 dieser Bestimmung ist dies der Fall, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Der Beschwerdeführer tritt den behördlichen Feststellungen betreffend seine strafgerichtliche Verurteilung nicht entgegen, weshalb keine Bedenken gegen die Ansicht der belangten Behörde bestehen, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1, dritter Fall FrG erfüllt sei. Wegen der Schwere des begangenen Verbrechens besteht auch kein Zweifel am Vorliegen der im § 36 Abs. 1 FrG umschriebenen Annahme, dass sein weiterer Aufenthalt im Inland dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen und dem Schutz der Rechte und Freiheiten anderer zuwiderlaufen würde (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 26. April 2005, Zl. 2003/21/0175).

Der Beschwerdeführer macht jedoch geltend, seine - nach Verhängung der bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe erfolgreich fortgesetzte - berufliche, soziale und familiäre Integration hätte die belangte Behörde dazu veranlassen müssen, zu seinen Gunsten Ermessen zu üben. Es bestünden keine Anhaltspunkte, dass er in Österreich wieder straffällig werden würde. Die "kurzzeitige Erreichung der Volljährigkeit" habe die familiäre Bindung des Beschwerdeführers nicht geschwächt.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg:

Gemäß § 37 Abs. 1 FrG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, das mit einem Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Fremden verbunden ist, nur zulässig, wenn es zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Nach § 37 Abs. 2 erster Satz FrG darf ein Aufenthaltsverbot jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung.

Dem Beschwerdeführer ist darin beizupflichten, dass die belangte Behörde die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf sein Privat- und Familienleben nicht ausreichend berücksichtigt hat: Er hält sich seit April 1999, also seit seinem 12. Lebensjahr, in Österreich auf, wo auch seine gesamte Familie (Eltern und ein Bruder) lebt. Den Feststellungen der belangten Behörde kann nicht entnommen werden, dass weitere im Ausland lebende nahe Angehörige des Fremden existierten. Der am 26. Juli 1987 geborene - und daher im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch minderjährige - Beschwerdeführer ist im Bundesgebiet, nach langjährigem Aufenthalt, berufstätig und sozial integriert.

Demgegenüber wiegt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes die eingangs dargestellte einmalige - am 5. Juni 2003, also vor dem 16. Lebensjahr des Beschwerdeführers begangene - Jugendstraftat, die - wenn auch durch Zufall - keine nennenswerten Folgen nach sich gezogen und zur Verhängung einer siebenmonatigen bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe geführt hat, nicht schwer genug, um das verhängte Aufenthaltsverbot als verhältnismäßig erscheinen zu lassen. Auf dem Boden der Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde kann daher ihre Schlussfolgerung, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung dieser Maßnahme, sodass das Aufenthaltsverbot auch im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG zulässig sei, nicht geteilt werden.

Da der angefochtene Bescheid somit auf einer Verkennung der Rechtslage beruht, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 30. Jänner 2007

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2005210332.X00

Im RIS seit

26.02.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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