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E000 EU- Recht allgemein;Norm
EURallg;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. P. Trefil, über die Beschwerde der K in M, geboren 1987, vertreten durch Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 28. Juni 2006, Zl. Fr-4250a-51/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 6 und den §§ 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
Zur Begründung dieser Maßnahme führte sie im Wesentlichen aus: Die (am 23. Februar 1987 geborene) Beschwerdeführerin habe am 8. Juni 2005 bei der österreichischen Vertretungsbehörde in Ankara einen Antrag auf Erteilung eines Visums gestellt. Sie habe dabei als Zweck "Besuch" angegeben und sich verpflichtet, das Hoheitsgebiet der "Schengener Staaten" bei Ablauf des Visums zu verlassen. Auf Grund dieses Antrages sei ihr am 22. Juni 2005 ein Reisevisum (Visum C) mit einer Gültigkeit vom 25. Juni 2005 bis 24. Juli 2005 erteilt worden. Die Beschwerdeführerin sei am 25. Juni 2005 über den Flughafen Stuttgart in das Hoheitsgebiet der "Schengener Staaten" eingereist und halte sich seit diesem Tag in Österreich auf. Nach Ablauf der Gültigkeit des Einreisetitels sei sie ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und ohne einen gültigen Einreise- oder Aufenthaltstitel in Österreich geblieben. Sie habe am 20. Juli 2005 bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gestellt. Dieser Antrag sei mit Bescheid vom 6. September 2005 abgewiesen worden. Die Bundesministerin für Inneres habe mit Bescheid vom 4. November 2005 der dagegen gerichteten Berufung keine Folge gegeben. Ein Eventualantrag auf Erteilung eines quotenfreien Studentenvisums vom 21. Juli 2005 sei vorerst mit Bescheid vom 25. November 2005 zurückgewiesen worden; die Berufungsbehörde habe mit Bescheid vom 11. Jänner 2006 diesen Bescheid behoben. Der Eventualantrag sei inzwischen mit Bescheid vom 1. März 2006 gemäß § 19 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG zurückgewiesen worden.
Es spreche gegen die Lebenserfahrung, dass ein so wichtiger Entschluss wie der Wohnsitzwechsel von der Türkei nach Österreich innerhalb der kurzen Aufenthaltszeit von einem Monat in Österreich gefasst würde. Vielmehr entspreche es der ständigen Lebenserfahrung, dass die (ganze) Familie versuche, im selben Land zu leben. Weiters seien die Mutter und die 1989 und 1994 geborenen Geschwister der Beschwerdeführerin im April 2005 mittels Familienzusammenführung (zu dem bereits von 1990 bis 1998 und wieder seit 2001 hier aufhältigen Ehemann bzw. Vater) gemäß § 20 Abs. 1 FrG in das Bundesgebiet eingewandert. Es sei offensichtlich, dass die Beschwerdeführerin von vornherein beabsichtigt habe, das Bundesgebiet nach Ablauf der Gültigkeit des Reisevisums nicht mehr zu verlassen. Dadurch sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG erfüllt und es sei gemäß § 60 Abs. 1 FPG die Annahme indiziert, dass ihr weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Zudem sei der Aufenthalt seit Ablauf des Visums unrechtmäßig.
Der Beschwerdeführerin komme keine begünstigte Stellung als Angehörige eines Gemeinschaftsbürgers zu und sie könne auch keine Rechte aus dem Assoziationsrecht ableiten.
Aus Art. 8 EMRK ergebe sich nur ausnahmsweise ein individuelles Zuwanderungsrecht in den sogenannten Nachzugsfällen. Die Beschwerdeführerin, ihre Mutter und die jüngeren Geschwister hätten bis 2005 gemeinsam in der Türkei und mit Ausnahme von 1998 bis 2001 auch getrennt vom Vater gelebt. Weiters sei die Beschwerdeführerin nun volljährig und in einem Alter, in dem sie nicht mehr auf den direkten Kontakt zu ihrer Familie angewiesen sei. Es seien darüber hinaus auch keine Umstände aufgezeigt worden, die einer gemeinsamen Rückkehr in die Türkei entgegenstünden.
Durch ihr Gesamtfehlverhalten habe die Beschwerdeführerin schwer gegen die österreichische Rechtsordnung verstoßen. Die permanente über Monate gehende Weigerung (auszureisen) sowie der Versuch, die Legalisierung des Aufenthaltes in Österreich zu erzwingen, würden zur Ergreifung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme führen. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zu. Das Aufenthaltsverbot sei demnach zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, vor allem zur Aufrechterhaltung bzw. zum Schutz der öffentlichen Ordnung, dringend geboten.
Hinsichtlich der Interessenabwägung könne nur berücksichtigt werden, dass sich die Familie der Beschwerdeführerin rechtmäßig in Österreich aufhalte. Die Mutter und die Geschwister der Beschwerdeführerin hätten aber unbestritten bisher den größten Teil ihres Lebens ebenfalls in der Türkei gelebt und es habe die Familie bereits früher jahrelang räumlich vom Vater getrennt gelebt. Es widerspreche den Regeln eines geordneten Fremdenwesens, wenn Fremde durch beharrliche Weigerung gegenüber den gesetzlichen Vorgaben ihren Aufenthalt in Österreich erzwingen könnten. Somit überwiege das öffentliche Interesse an der Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme den damit verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Fremden.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 28. November 2006, B 1514/06, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag mit weiterem Beschluss vom 12. Dezember 2006 gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die ergänzte Beschwerde erwogen:
In der Beschwerde werden die behördlichen Feststellungen nicht bekämpft. Davon ausgehend durfte die belangte Behörde den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG als verwirklicht ansehen und aus diesem Fehlverhalten eine Gefährdung im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG ableiten.
Die Beschwerde meint, dass der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin schwerer wiege als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der "Aufrechterhaltung" eines Aufenthaltsverbotes. Sie meint, dass der Beschwerdeführerin auf Grund der familiären Situation die Ausreise nicht mehr zumutbar sei und sie als Tochter eines assoziationsintegrierten türkischen Staatsbürgers in Österreich aufenthaltsberechtigt sei.
Dem ist zunächst zu entgegnen, dass die Beschwerdeführerin weder Ansprüche aus dem Gemeinschaftsrecht noch -wegen des Fehlens einer Nachzugsgenehmigung (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 8. Juli 2004, Zl. 2004/21/0132 mwN) - aus dem Beschluss des (durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten) Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80, ableiten kann.
Hinsichtlich der Interessenabwägung wirft die Beschwerde der belangten Behörde zu Unrecht vor, dass sie den elfjährigen Aufenthalt des Vaters der Beschwerdeführerin in Österreich verschweige. Diesen Umstand hat die belangte Behörde sehr wohl berücksichtigt; sie hat aber auch weiters berücksichtigt, dass die Beschwerdeführerin bis zum Jahr 2005 in der Türkei gelebt habe und nunmehr volljährig sei. Die Beschwerde unterlässt jede Begründung für die Behauptung, dass die erst seit 25. Juni 2005 in Österreich aufhältige Beschwerdeführerin mit ihrer Familie "in Österreich und in Deutschland bereits voll integriert ist". Dies hätte angesichts des erst einjährigen Aufenthaltes in Österreich bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides einer Konkretisierung bedurft. Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, warum es für die bis zum 18. Lebensjahr in der Türkei aufgewachsene Beschwerdeführerin "keine Alternative außer dem Verbleib in Österreich" gebe. Die Beschwerde kritisiert zwar die Quotenregelung in Nachzugsfällen, kann die zutreffende Ansicht der belangten Behörde aber nicht in Frage stellen, dass es eine Ungleichbehandlung der Fremden untereinander darstellen würde, in Täuschungsfällen einem Fremden zu gestatten, anders als bei rechtmäßigem Alternativverhalten sofort in Österreich zu bleiben. Entgegen der Beschwerdebehauptung hat die belangte Behörde nicht auf generalpräventive Erwägungen abgestellt, sondern das konkrete Verhalten der Beschwerdeführerin beurteilt. Insgesamt gesehen kann der belangten Behörde kein Rechtsirrtum vorgeworfen werden, wenn sie im Ergebnis der Beschwerdeführerin zumutete, den gesetzlich vorgegebenen Weg für die Erlangung eines Aufenthaltstitels einzuhalten und aus der Umgehung dieser Vorschriften eine relevante Gefährdung ableitete.
Wegen des fehlenden Gemeinschaftsrechtsbezuges müssen die weitwendigen Beschwerdeausführungen zum Gemeinschaftsrecht und zur Rechtsprechung des EuGH ins Leere gehen.
Nicht vergleichbar sind die Konstellationen, die den in der Beschwerde zitierten Urteilen des EGMR zu Grunde lagen. So lebte der Beschwerdeführer Radovanovic (Urteil vom 22. April 2004, NL 2004, 87) seit seinem 10. Lebensjahr in Österreich. Im Fall Boultif (Urteil vom 2. August 2001, NL 2001, 159) war von Bedeutung, dass der Beschwerdeführer mit einer Schweizer Staatsbürgerin verheiratet war und der Ehefrau nicht zugemutet werden konnte, ihrem Mann in seine Heimat (Algerien) zu folgen. Auch im Fall Amrollahi wurde (im Urteil vom 11. Juli 2002, NL 2002, 143) darauf abgestellt, dass der dänischen Ehefrau ein Familienleben im Iran unzumutbar sei.
Letztlich trifft auch der Vorwurf einer Verfassungswidrigkeit des § 9 FPG nicht zu (vgl. den Beschluss des VfGH vom 13. Oktober 2006, G 26/06 ua.). Auch die behauptete Gemeinschafts- bzw. Assoziationsrechtswidrigkeit haftet dieser Bestimmung nicht an, ist doch deren Abs. 1 Z 1 auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anzuwenden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. November 2006, Zl. 2006/21/0217 mwN). Ist eine solche Berechtigung wie hier nicht vorhanden, bleibt für die von der Beschwerdeführerin geforderte Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates kein Raum. Dem Beschwerdeargument, auch die Verneinung eines Bezuges zum Gemeinschafts- bzw. Assoziationsrecht müsste den unabhängigen Verwaltungssenaten vorbehalten bleiben, ist zu entgegnen, dass das Gemeinschaftsrecht die verfahrensrechtliche Autonomie der Mitgliedstaaten - vorbehaltlich der Einhaltung des Effektivitätsgrundsatzes - anerkennt (vgl. Fischer/Köck/Karollus, Europarecht4, Rz. 835) und die behördliche Beurteilung, welcher Zuständigkeitsfall des § 9 Abs. 1 FPG verwirklicht sei, der (effektiven) Kontrolle durch die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts unterliegt.
Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 27. Februar 2007
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht kein innerstaatlicher Anwendungsbereich EURallg7European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006210373.X00Im RIS seit
28.03.2007Zuletzt aktualisiert am
23.06.2009