Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Ernst Viehberger und Gerhard Loibl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1) Viktor P*****, Angestellter, ***** 2) Monika I*****, Angestellte, ***** 3) Silvia N*****, Angestellte, ***** 4) Angelika S*****, Angestellte, ***** 5) Michael P*****, Angestellter, ***** 6. Gabriele H*****, Angestellte, ***** 7) Daniela B*****, Angestellte, ***** alle vertreten durch Dr. Andrea Löw und Dr. Ingo Riß, Rechtsanwälte in Wien, und der auf Seiten der klagenden Partei eingetretenen Nebenintervenienten 1) Mag. Andrea E*****, Rechtsanwältin, ***** als Masseverwalter im Konkurs des Franz H***** (GZ 17 S 63/99a des BG Fünfhaus), und 2) Dr. Alfons A*****, Rechtsanwalt, ***** vertreten durch Mag. Gernot Steier, Rechtsanwalt in Neulengbach, gegen die beklagte Partei Theresia M*****, Trafikantin, ***** vertreten durch Mag. Günter Petzelbauer, Rechtsanwalt in Wien, und die auf Seiten der beklagten Partei beigetretene Nebenintervenientin M*****gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Josef Olischar und Mag. Martin Kratky, Rechtsanwälte in Wien, wegen 1) EUR 37.585,60 sA, 2) EUR 14.755,96 sA, 3) EUR 19.192,23 sA, 4) EUR 3.579,12 sA, 5) EUR 1.940,72 sA, 6) EUR 6.282,93 sA, 7) EUR 6.077,56 sA, über die Revisionen der beklagten Partei und der auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenientin gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. Juni 2002, GZ 8 Ra 164/02z-38, womit über Berufung der beklagten Partei und der auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenientin das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 4. Mai 2000, GZ 18 Cga 107/99g-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Den Revisionen wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, an Kosten des Revisionsverfahrens
a) den klagenden Parteien EUR 2.755,88 (darin EUR 459,31 Umsatzsteuer),
b) der auf Seiten der klagenden Partei beigetretenen Nebenintervenientin Mag. Andrea E***** EUR 2.090,69 (darin EUR 348,45 Umsatzsteuer) und
c) dem auf Seiten der klagenden Partei beigetretenen Nebenintervenienten Dr. Alfons A***** EUR 2.185,70 (darin EUR 364,28 Umsatzsteuer)
binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Kläger waren beim Betreiber einer großen Tabaktrafik (ca. 2000 Kunden täglich) beschäftigt. Dieser Betreiber führte die Trafik seit 1986 auf Grund eines mit der Rechtsvorgängerin der Monopolverwaltungsgesellschaft mbH (MVG) geschlossenen Bestellungsvertrages, nach dessen Beendigung durch die MVG ein "vorläufiger Bestellungsvertrag" mit dem bisherigen Betreiber (vertreten durch einen Sachwalter) bis zur endgültigen Bestellung eines Bewerbers, längstens jedoch für zwei Jahre, abgeschlossen wurde.
Die Trafik wurde in der Folge von der Beklagten übernommen, deren Gatte am 30. 11. 1998 mit dem Eigentümer der Räumlichkeiten einen Bestandvertrag abschloss, der mit der Räumung des Lokals durch den bisherigen Betreiber am Folgetag wirksam werden sollte. Die Beklagte plante, die Trafik am 7. 12. 1998 "aufzusperren". Dazu kam es aber nicht, weil die Beklagte mit der Betriebsübergangsproblematik und mit der damit verbundenen Möglichkeit, Personal übernehmen zu müssen, konfrontiert wurde. Sie war nicht bereit, die Trafik samt den Beschäftigten zu übernehmen. Der Geschäftsführer der MVG erklärte ihr aber, man könne einen "Betriebsübergang" durch Verweigerung der Übernahme von Waren des Vorgängers und dadurch verhindern, dass man zwischen der Beendigung des alten Bestellungsvertrages und der Bestellung des Nachfolgers eine gewisse Zeit verstreichen lasse. Die Beklagte nahm daher von ihrer ursprünglichen Absicht Abstand, auch Waren des bisherigen Betreibers - und zwar die sogenannten "Nebenartikel" - nach Maßgabe ihrer finanziellen Möglichkeiten unter Zwischenschaltung des Kriegsopfer- und Behindertenverbandes zu übernehmen. Zudem unterfertigte sie den "vorläufigen Bestellungsvertrag" erst am 16. 12. 1998 und "eröffnete" die Trafik - mit unveränderter Einrichtung, in den bisherigen Räumlichkeiten und mit (im Wesentlichen) unverändertem Angebot - am 2. 1. 1999. Am Kundenstock hat sich ebenfalls nichts Wesentliches geändert. Zwischen den Parteien ist nur mehr strittig, ob der wiedergegebene Sachverhalt als Betriebsübergang iS des § 3 AVRAG zu qualifizieren ist und daher die Arbeitsverhältnisse der Kläger auf den neuen Betreiber der Trafik übergegangen sind.Die Trafik wurde in der Folge von der Beklagten übernommen, deren Gatte am 30. 11. 1998 mit dem Eigentümer der Räumlichkeiten einen Bestandvertrag abschloss, der mit der Räumung des Lokals durch den bisherigen Betreiber am Folgetag wirksam werden sollte. Die Beklagte plante, die Trafik am 7. 12. 1998 "aufzusperren". Dazu kam es aber nicht, weil die Beklagte mit der Betriebsübergangsproblematik und mit der damit verbundenen Möglichkeit, Personal übernehmen zu müssen, konfrontiert wurde. Sie war nicht bereit, die Trafik samt den Beschäftigten zu übernehmen. Der Geschäftsführer der MVG erklärte ihr aber, man könne einen "Betriebsübergang" durch Verweigerung der Übernahme von Waren des Vorgängers und dadurch verhindern, dass man zwischen der Beendigung des alten Bestellungsvertrages und der Bestellung des Nachfolgers eine gewisse Zeit verstreichen lasse. Die Beklagte nahm daher von ihrer ursprünglichen Absicht Abstand, auch Waren des bisherigen Betreibers - und zwar die sogenannten "Nebenartikel" - nach Maßgabe ihrer finanziellen Möglichkeiten unter Zwischenschaltung des Kriegsopfer- und Behindertenverbandes zu übernehmen. Zudem unterfertigte sie den "vorläufigen Bestellungsvertrag" erst am 16. 12. 1998 und "eröffnete" die Trafik - mit unveränderter Einrichtung, in den bisherigen Räumlichkeiten und mit (im Wesentlichen) unverändertem Angebot - am 2. 1. 1999. Am Kundenstock hat sich ebenfalls nichts Wesentliches geändert. Zwischen den Parteien ist nur mehr strittig, ob der wiedergegebene Sachverhalt als Betriebsübergang iS des Paragraph 3, AVRAG zu qualifizieren ist und daher die Arbeitsverhältnisse der Kläger auf den neuen Betreiber der Trafik übergegangen sind.
Das Berufungsgericht hat diese Frage bejaht. Diese Rechtsauffassung ist zutreffend, sodass es insofern ausreicht, auf die Richtigkeit der umfangreichen Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen.
Rechtliche Beurteilung
Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegenzuhalten:
In der in der Revision der Beklagten zitierten Entscheidung 8 ObA 7/01i hat der Oberste Gerichtshof die für die Beurteilung des Vorliegens eines Betriebsübergangs iSd § 3 AVRAG maßgebende Rechtslage unter Hinweis auf eigene Vorentscheidungen und die einschlägige Vorjudikatur des EuGH (siehe die in der Entscheidung zitierten Nachweise) wie folgt zusammengefasst:In der in der Revision der Beklagten zitierten Entscheidung 8 ObA 7/01i hat der Oberste Gerichtshof die für die Beurteilung des Vorliegens eines Betriebsübergangs iSd Paragraph 3, AVRAG maßgebende Rechtslage unter Hinweis auf eigene Vorentscheidungen und die einschlägige Vorjudikatur des EuGH (siehe die in der Entscheidung zitierten Nachweise) wie folgt zusammengefasst:
"§ 3 AVRAG ordnet an, dass ua dann, wenn ein Betrieb auf einen anderen Inhaber übergeht, dieser als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt. Diese Bestimmung ist im Sinne einer richtlinienkonformen Interpretation unter Berücksichtigung der Entscheidungen des EuGH zur Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. 2. 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auszulegen. Dabei wird im Rahmen der Interpretation auch bereits auf die Richtlinie 98/50/EG des Rates vom 29. 6. 1998, womit die Richtlinie 77/187/EWG geändert wurde, Bedacht genommen.
Nach Art 1 Abs 1 der Richtlinie 77/187 ist diese auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar. Nach Art 2 lit b dieser Richtlinie ist "Erwerber" jede natürliche oder juristische Person, die auf Grund eines Überganges im Sinne des Art 1 Abs 1 als Inhaber in das Unternehmen, den Betrieb oder Betriebsteil eintritt. Entsprechend Art 3 Abs 1 Unterabs 1 der Richtlinie 77/187 gehen die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis auf den Erwerber über. Dazu sieht Art 4 der Richtlinie vor, dass der Übergang keinen Grund für eine Kündigung darstellen darf.Nach Artikel eins, Absatz eins, der Richtlinie 77/187 ist diese auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar. Nach Artikel 2, Litera b, dieser Richtlinie ist "Erwerber" jede natürliche oder juristische Person, die auf Grund eines Überganges im Sinne des Artikel eins, Absatz eins, als Inhaber in das Unternehmen, den Betrieb oder Betriebsteil eintritt. Entsprechend Artikel 3, Absatz eins, Unterabs 1 der Richtlinie 77/187 gehen die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis auf den Erwerber über. Dazu sieht Artikel 4, der Richtlinie vor, dass der Übergang keinen Grund für eine Kündigung darstellen darf.
Die Richtlinie 98/50/EG des Rates vom 29. 6. 1998 zur Änderung der Richtlinie 77/187/EWG (ABl. L 201, 88), deren Umsetzungsfrist am 17. 7. 2001 abgelaufen ist, hat den Art 1 Abs 1 der Richtlinie durch folgenden Text ersetzt:Die Richtlinie 98/50/EG des Rates vom 29. 6. 1998 zur Änderung der Richtlinie 77/187/EWG (ABl. L 201, 88), deren Umsetzungsfrist am 17. 7. 2001 abgelaufen ist, hat den Artikel eins, Absatz eins, der Richtlinie durch folgenden Text ersetzt:
"a) Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.
b) Vorbehaltlich Buchstabe a) und der nachstehenden Bestimmungen dieses Artikels gilt als Übergang im Sinne der Richtlinie der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisatorischen Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit.
c) Diese Richtlinie gilt für öffentliche und private Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht ...."
Zweck der Richtlinie 77/187/EWG ist es, die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse unabhängig von einem Inhaberwechsel zu gewährleisten, indem sie den Arbeitnehmern die Möglichkeit einräumt, ihr Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Inhaber zu den gleichen Bedingungen, wie mit den früheren Inhabern fortzusetzen. Für das Vorliegen eines Überganges im Sinne der Richtlinie 77/187/EWG, die als Rechtsfolge dann den Übergang der Arbeitsverhältnisse vorsieht, ist die Wahrung der Identität der Einheit entscheidend. Nicht entscheidend ist, ob eine unmittelbare vertragliche Beziehung zwischen Veräußerer und Erwerber besteht, wenngleich diese als Indiz für den Übergang im Sinne der Richtlinie angesehen wird. Letztlich maßgeblich ist aber nur, ob die für den Betrieb verantwortliche Person, die die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten eingeht, im Rahmen von vertraglichen Beziehungen, allenfalls auch unter Einschaltung von Dritten, wechselt. Dies kann in mehreren Schritten etwa im Verhältnis zwischen Verpächter und Altpächter sowie Neupächter oder auch im Zuge von Auftragsneuvergaben erfolgen, wenn nur diese Einheit bestehen bleibt.
Im ersten Schritt ist also vorweg zu prüfen, ob eine auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit, deren Tätigkeit nicht nur auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt ist, also ein Betriebsteil, betroffen ist. Dabei muss es sich um eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung handeln. Im zweiten Schritt ist dann die Frage zu entscheiden, ob diese wirtschaftliche Einheit auf den neuen Betreiber übergegangen ist. Die Beurteilung dieser Frage hat unter Berücksichtigung verschiedener Kriterien zu erfolgen, und zwar
Anmerkung
E67537 9ObA232.02mEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2002:009OBA00232.02M.1113.000Dokumentnummer
JJT_20021113_OGH0002_009OBA00232_02M0000_000