TE Vwgh Erkenntnis 2008/3/6 2004/09/0154

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Veröffentlicht am 06.03.2008
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Index

L40019 Anstandsverletzung Ehrenkränkung Lärmerregung
Polizeistrafen Wien;
L40209 Sicherheitspolizei Wien;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

LSicherheitsG Wr 1993 §1 Abs1 Z1;
LSicherheitsG Wr 1993 §1 Abs1 Z2;
MRK Art6 Abs1;
VStG §44a Z1;
VStG §51e Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde des FP in W, vertreten durch Dr. Norbert Lehner, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Seebensteiner Straße 4/Triester Straße 23, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 18. Mai 2004, Zl. UVS- 03/P/7/3140/2003/2, betreffend Bestrafung wegen Übertretungen des Wiener Landes-Sicherheitsgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich des Vorwurfes der Anstandsverletzung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 10. März 2003 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 8. Mai 2002 "durch den Gebrauch des Wortes 'Widerstand' und durch 4-5 maliges Pfeifen mit einer Trillerpfeife 1) den öffentlichen Anstand verletzt und 2) ungebührlicherweise störenden Lärm erregt". Er habe dadurch § 1 Abs. 1 Z. 1 und § 1 Abs. 2 Z. 2 des Wiener Landes-Sicherheitsgesetzes verletzt. Über ihn wurden Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 70,-- und Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils 70 Stunden verhängt.

Der Beschwerdeführer erhob dagegen Berufung, in der er unter anderem äußerte, es sei ihm nicht bewusst gewesen, dass es sich bei der Veranstaltung, an deren Rand er die ihm vorgeworfenen Tathandlungen setzte, um eine Gedenkveranstaltung gehandelt habe; er sei vielmehr der Meinung gewesen, es handle sich um eine "Demo".

Die belangte Behörde gab der Berufung des Beschwerdeführers - ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Bescheid in der Schuldfrage keine Folge, sie setzte die gegen den Beschwerdeführer verhängten Geldstrafen jedoch auf jeweils EUR 40,-- und die Ersatzfreiheitsstrafen auf jeweils 24 Stunden herab. Der angefochtene Bescheid wurde zusammengefasst damit begründet, dass der Beschwerdeführer mit den ihm vorgeworfenen Verhaltensweisen eine Gedenkveranstaltung der Opfer des Faschismus gestört habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 1 des Wiener Landes-Sicherheitsgesetzes; LGBl. Nr. 51/1993, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 700 Euro zu bestrafen, wer den öffentlichen Anstand verletzt (Z. 1) oder ungebührlicherweise störenden Lärm erregt (Z. 2).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Spruch eines verurteilenden Straferkenntnisses gemäß § 44a Z. 1 VStG die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Dabei genügt es nicht, sich bei der Umschreibung der Tat (abgesehen von der Angabe der Tatzeit und des Tatortes - siehe oben) auf den reinen Gesetzeswortlaut zu beschränken, weil dieses essenzielle Erfordernis durch eine entsprechende Bescheidbegründung nicht ersetzt werden kann (vgl. etwa die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II,

2. Auflage, § 44a, zu E 9 und 10 referierte hg. Rechtsprechung). Da zur Tatbestandsmäßigkeit der dem Beschwerdeführer im Spruchpunkt 1 des angefochtenen Bescheides vorgeworfenen Tat in der Verletzung des öffentlichen Anstandes gehört und sich die Frage, ob im Einzelfall dieser Tatbestand erfüllt ist, nach den konkreten Umständen richtet, hätte es der Angabe jener konkreten Umstände (der als erwiesen angenommenen Tat) im Spruch des angefochtenen Bescheides bedurft, aus denen die Annahme der Verletzung des öffentlichen Anstandes hätte abgeleitet werden können. Der bloße Gebrauch des Wortes "Widerstand" verletzt für sich allein noch nicht den öffentlichen Anstand, weil die Beurteilung, ob das Ausrufen oder Schreien von Worten in der Öffentlichkeit als Verletzung des öffentlichen Anstandes anzusehen ist, je nach den allgemeinen Begleitumständen, unter welchen dies geschieht, zu erfolgen hat, sowohl was den Inhalt, als auch die Art und Weise solcher getätigten Äußerungen anlangt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 2005, Zl. 2003/09/0074, m.w.N.). Daher war der angefochtene Bescheid hinsichtlich seines Spruchpunktes 1 gemäß § 43 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Im Übrigen ist auf § 51e Abs. 1 bis 5 VStG in der Fassung BGBl. I Nr. 65/2002 hinzuweisen, der auszugsweise wie folgt lautet:

"§ 51e. (1) Der unabhängige Verwaltungssenat hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

     (2) Die Verhandlung entfällt, wenn

     1.        der Antrag der Partei oder die Berufung

zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht,

dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist;

     2.        ...

     (3) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von einer

Berufungsverhandlung absehen, wenn

     1.        in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche

Beurteilung behauptet wird oder

     2.        sich die Berufung nur gegen die Höhe der Strafe

richtet oder

     3.        im angefochtenen Bescheid eine EUR 500,-- nicht

übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder

     4.        sich die Berufung gegen einen verfahrensrechtlichen

Bescheid richtet

     und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt

hat. Der Berufungswerber hat die Durchführung einer Verhandlung in

der Berufung zu beantragen. ...

(4) Der unabhängige Verwaltungssenat kann ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn er einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erlassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt, und dem nicht Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entgegensteht.

(5) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

..."

Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung die Einvernahme von Zeugen durch die belangte Behörde beantragt und insbesondere geltend gemacht, es sei ihm nicht bewusst gewesen, dass es sich bei der Veranstaltung, an deren Rand er die ihm vorgeworfenen Tathandlungen gesetzt habe, um eine Gedenkveranstaltung gehandelt habe; er sei vielmehr der Meinung gewesen, es handle sich dabei um eine "Demo".

Bei dieser Sachlage hätte die belangte Behörde von einem Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht ausgehen dürfen und sie hätte gemäß § 51e VStG eine öffentliche mündliche Verhandlung durchführen müssen (vgl. etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. November 2004, VfSlg. Nr. 17.375, und das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2007, Zl. 2007/02/0001, m.w.N.).

Der Beschwerdeführer hätte bei einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde jedes zweckdienliche Vorbringen erstatten können, einschließlich seines nunmehr in der Beschwerde erstatteten Vorbringens der eingeschränkten Schuldfähigkeit. Die belangte Behörde hätte sich damit auseinander setzen müssen, zumal der Beschwerdeführer gemäß § 51g Abs. 2 und 4 VStG an jede hiebei vernommene Person Fragen stellen und sich zu allen Beweismitteln hätte äußern können. Auch hätte die belangte Behörde gemäß § 51i VStG nach Durchführung der öffentlichen mündlichen Verhandlung bei Fällung des Erkenntnisses nur auf das Rücksicht nehmen dürfen, was in dieser Verhandlung vorgekommen ist; sie hätte auch auf Aktenstücke nur insoweit Rücksicht nehmen dürfen, als sie bei der Verhandlung zulässigerweise verlesen worden wären (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2006, Zl. 2003/09/0093, m.w.N.).

Die belangte Behörde hätte bei Durchführung der nach Lage des Beschwerdefalles erforderlichen öffentlichen mündlichen Verhandlung zu einem anderen Ergebnis kommen können. Dieser unterlaufene Verfahrensmangel ist im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK relevant und wesentlich (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2007/06/0040, und die dort angeführte hg. Rechtsprechung). Er führt gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, wobei allerdings hinsichtlich des Spruchpunktes 1 der dargelegte Aufhebungsgrund des § 43 Abs. 2 Z. 1 VwGG prävaliert.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 6. März 2008

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) "zu einem anderen Bescheid" "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Umfang der Konkretisierung (siehe auch Tatbild)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2004090154.X00

Im RIS seit

11.04.2008

Zuletzt aktualisiert am

12.07.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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