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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ABGB §1332;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Chlup, über die Beschwerde des R K in B, vertreten durch Onz Onz Kraemmer Hüttler, Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 12. Oktober 2005, Zl. UVS- 06/V/42/7169/2005/1, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand i.A. Übertretung nach dem Wr. AWG (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 1./8. Bezirk, vom 28. September 2004 wurde der Beschwerdeführer als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als zur Vertretung nach außen Berufener einer näher genannten GmbH einer Übertretung nach dem Wr. AWG für schuldig befunden und bestraft.
Mit Eingabe vom 12. Jänner 2005 beantragte der Beschwerdeführer die Zustellung dieses Straferkenntnisses und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist und erhob gleichzeitig Berufung gegen das Straferkenntnis.
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 1./8. Bezirk, vom 28. Jänner 2005 wurde unter Spruchpunkt I der Antrag auf Zustellung des Straferkenntnisses vom 28. September 2004 gemäß § 17 ZustG zurückgewiesen. Ferner wurde unter Spruchpunkt II der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gemäß § 71 AVG als verspätet zurückgewiesen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 18. März 2005 wurde unter Spruchpunkt I der Berufung hinsichtlich des Spruchpunktes I keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid diesbezüglich bestätigt. Unter Spruchpunkt II wurde der Berufung hinsichtlich des Spruchpunktes II Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid diesbezüglich behoben.
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 1./8. Bezirk, vom 25. Juli 2005 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 12. Jänner 2005 gegen die Versäumung der Berufungsfrist gegen das Straferkenntnis vom 28. September 2004 gemäß § 71 AVG abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei Berufung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 12. Oktober 2005 wurde der Berufung keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid vom 25. Juli 2005 bestätigt.
In der Begründung dieses Bescheides wird u.a. ausgeführt, seitens des Beschwerdeführers sei im Berufungsschriftsatz nicht bestritten worden, dass das erstbehördliche Straferkenntnis vom 28. September 2004 durch Hinterlegung am 12. Oktober 2004 rechtsgültig zugestellt worden sei und dass eine Hinterlegungsnachricht in den Briefkasten des Beschwerdeführers (an einer näher genannten Anschrift in B) eingelegt worden sei.
Als Wiedereinsetzungsgrund bringe der Beschwerdeführer im Wiedereinsetzungsantrag letztlich vor, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers aufgrund der häufigen beruflichen Abwesenheit des Beschwerdeführers regelmäßig die Entleerung des Briefkastens (seiner Abgabestelle) vornehme. Bislang sei es noch nie vorgekommen, dass eine Verständigung über eine Hinterlegung einer an den Berufungswerber gerichteten Briefsendung diesem nicht zur Kenntnis gebracht worden sei. Weder im Wiedereinsetzungsantrag noch in sonst einem Schriftsatz habe der Beschwerdeführer aber ein Vorbringen dazu erstattet, was dieser in Erfüllung seiner gebotenen Pflicht zur Überwachung seiner Ehegattin vorgekehrt habe.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers habe sich darin erschöpft, auf den Umstand, wonach von der Ehegattin des Beschwerdeführers bislang immer alle eingelegten Hinterlegungsanzeigen vorgelegt worden seien, hinzuweisen. Das Bestehen eines Kontroll- bzw. Überwachungssystems des Beschwerdeführers, mit welchem Fehlleistungen der im Wiedereinsetzungsantrag dargelegten Art vermieden werden könnten, sei nicht einmal behauptet worden.
Auf Grundlage der Ausführungen im gegenständlichen Antrag sei sohin davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer keinerlei Kontrollmaßnahmen zur Vermeidung der gegenständlich behaupteten Fehlleistung seiner Gattin getroffen, sondern sich vielmehr auf deren Sorgfalt verlassen habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer macht u.a. geltend, er habe in seinem Wiedereinsetzungsantrag vom 12. Jänner 2005 vorgebracht, dass er vom Zustellvorgang keine Kenntnis erlangt habe. Aufgrund seiner häufigen berufsbedingten Abwesenheit entleere seine Ehefrau regelmäßig den Briefkasten. Es sei bis dato noch nie vorgekommen, dass ihm eine Verständigung über eine Hinterlegung von seiner Ehefrau nicht zur Kenntnis gebracht worden sei. Insbesondere habe sich die Ehefrau des Beschwerdeführers in vergleichbaren Fällen immer als tadellos und äußerst pflichtbewusst erwiesen. Für dieses Vorbringen habe der Beschwerdeführer taugliche Beweise (Einvernahme seiner Person sowie jene seiner Ehefrau) angeboten.
Der Beschwerdeführer verkenne nicht, dass der von der belangten Behörde angenommene erhöhte Sorgfaltsmaßstab in der Rechtsordnung angenommen werde. Davon betroffen sei aber nur eine bestimmte, besonders qualifizierte Personengruppe, nämlich berufliche Parteienvertreter. Sonstige Personen wie auch den Beschwerdeführer würden diese erhöhten Pflichten nicht treffen.
Wenn aber selbst einem Rechtsanwalt in seiner Privatsphäre keine Organisations- und Kontrollmaßnahmen in Bezug auf das Entgegennehmen von Poststücken durch seine Ehefrau auferlegt würden, müsse dies umso mehr für den Beschwerdeführer gelten. Somit zeige sich, dass die von der belangten Behörde angenommenen Pflichten im gegenständlichen Fall nicht existierten; damit erübrige sich aber auch ein diesbezügliches Vorbringen des Beschwerdeführers.
Da die belangte Behörde also eine in Wahrheit nicht bestehende Rechtspflicht des Beschwerdeführers angenommen habe, habe sie zu Unrecht ein darauf bezogenes Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag vermisst und ebenso zu Unrecht die gesetzeskonforme Beweisaufnahme im Berufungsverfahren unterlassen. Diese Verfahrensfehler seien sekundäre und unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit zu rügen; der Bescheid sei daher mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
Die belangte Behörde habe im angefochtenen Bescheid - ebenso wie die erstinstanzliche Behörde - die vom Beschwerdeführer angebotenen Beweise gar nicht aufgenommen und insbesondere keine mündliche Verhandlung durchgeführt. Zwar habe der Beschwerdeführer eine solche nicht explizit beantragt, jedoch entbinde dieser Umstand die Behörde nicht von der Verpflichtung, eine solche durchzuführen. Ein vom Beschwerdeführer beantragter Zeugenbeweis beinhalte auch den Antrag der Durchführung einer mündlichen Verhandlung, weil sonst der Antrag auf Vernehmung von Personen nicht verständlich wäre. Dies müsse aber umso mehr für den vorliegenden Fall gelten, weil der Beschwerdeführer die Nichtaufnahme der beantragten Beweismittel (Vernehmung) durch die erstinstanzliche Behörde bereits in der Berufung als Verfahrensmangel geltend gemacht habe. Die belangte Behörde hätte somit gemäß § 51e VStG eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG (in Verbindung mit § 24 VStG) ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. März 2004, Zl. 2001/03/0003).
Wenn die Zustellung durch Hinterlegung ordnungsgemäß erfolgt ist, dann kommt es auf die Kenntnis des Empfängers von dieser Zustellung nicht an; die Unkenntnis kann - sofern sie nicht auf einem Verschulden beruht, welches den Grad minderen Versehens übersteigt - zur Grundlage eines Wiedereinsetzungsantrages gemacht werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2005, Zl. 2004/11/0212, m.w.N.).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem zuletzt zitierten Erkenntnis vom 27. Jänner 2005, in dem es um eine nicht rechtzeitig erfolgte Verständigung von einer aus dem Hausbrieffach entnommenen Hinterlegungsanzeige durch die Ehegattin eines Beschwerdeführers ging, ferner ausgeführt hat, dürfen an den Beschwerdeführer in Bezug auf die Vermeidung einer allfälligen Unkenntnis von einem Zustellvorgang nicht etwa dieselben Anforderungen gestellt werden wie an einen Rechtsanwalt, der bei der Einrichtung seines Kanzleibetriebes durch entsprechende Organisation und Kontrolle dafür vorzusorgen hat, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind.
Eine generelle Überwachungspflicht gegenüber der Ehegattin in Bezug auf allfällige Zustellvorgänge, wie sie offenbar von der belangten Behörde in Analogie zur hg. Judikatur betreffend die Überwachungspflicht von Rechtsanwälten gegenüber Kanzleiangestellten angenommen wird (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, S. 1587 ff, die unter E 229 ff angeführte Judikatur), besteht im Lichte der vorstehenden Ausführungen zum Sorgfaltsmaßstab, der an andere Personen - als Rechtsanwälte im Rahmen ihres Kanzleibetriebes - anzulegen ist, nicht.
Im Unterbleiben von Erkundigungen bei seiner Ehefrau über allenfalls während seiner Abwesenheit erfolgte Zustellversuche liegt jedenfalls keine auffallende Sorglosigkeit im Sinne eines minderen Versehens nach § 71 Abs. 1 AVG (vgl. das vorzitierte hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2005, Zl. 2004/11/0212, sowie das hg. Erkenntnis vom 13. September 1999, Zl. 97/09/0134, m.w.N.).
Die belangte Behörde hat auch nicht begründet, weshalb der Beschwerdeführer schon vor dem fraglichen Vorgang Zweifel an der Zuverlässigkeit der Ehefrau gehabt haben sollte (vgl. erneut das vorzitierte hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2005, m.w.N.), zumal sich der Beschwerdeführer bereits im Wiedereinsetzungsantrag darauf berief, es sei bis dato noch nie vorgekommen, dass eine Verständigung über eine Hinterlegung dem Beschwerdeführer von dessen Gattin, die regelmäßig die Entleerung des Briefkastens vornehme, nicht zur Kenntnis gebracht worden sei.
Insoweit die belangte Behörde in der Gegenschrift einwendet, der vorliegende Fall sei jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 18. März 2004, Zl. 2001/03/0003, zugrunde liege, vergleichbar, ist ihr entgegenzuhalten, dass es im vorliegenden Beschwerdefall nicht um eine Postvollmacht der Ehegattin und auch nicht um ein von der Ehegattin aufgrund dieser Postvollmacht übernommenes behördliches Schriftstück (Rsa-Brief) geht; der Sachverhalt ist daher nicht unmittelbar vergleichbar.
Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Aufgrund dieses Ergebnisses erübrigt es sich, auf das weitere Beschwerdevorbringen betreffend die geltend gemachten Verfahrensmängel näher einzugehen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff. VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II. Nr. 333/2003.
Wien, am 29. Mai 2008
Schlagworte
AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2005070166.X00Im RIS seit
26.06.2008Zuletzt aktualisiert am
05.10.2008