TE Vwgh Erkenntnis 2008/9/18 2008/21/0021

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Veröffentlicht am 18.09.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

ABGB §179a Abs1;
FrPolG 2005 §31 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):2008/21/0023 2008/21/0022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerden von

1. B, 2. A und 3. N, alle vertreten durch Dr. Josef Wolfgang Deitzer, Rechtsanwalt in 2320 Schwechat, Wiener Straße 36-38/1/24, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 15. Oktober 2007, 1. Zl. Fr 2731/04-2,

2. Zl. Fr 2731/04-1 und 3. Zl. Zl. Fr 2731/04, jeweils betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Drittbeschwerdeführerin ist die Mutter der beiden anderen Beschwerdeführer; alle sind serbische Staatsangehörige.

Die am 25. September 1989 geborene Drittbeschwerdeführerin übersiedelte im Alter von drei Jahren mit ihren Eltern von Serbien nach Neapel und verfügte bis September 2003 über einen italienischen Aufenthaltstitel. Sie besuchte keine Schule und ist Analphabetin, sie spricht italienisch und serbokroatisch.

Die Drittbeschwerdeführerin kam erstmals im März 2003 - damals schwanger - im Alter von dreizehneinhalb Jahren zu Nenad und Milena Mijailovic nach Österreich. Milena Mijailovic ist die Cousine des Vaters der Drittbeschwerdeführerin. Ihre mittellosen Eltern waren nämlich nicht in der Lage, für den Unterhalt der Drittbeschwerdeführerin und ihres dann am 29. Juni 2003 geborenen Sohnes, des Zweitbeschwerdeführers, aufzukommen. Die Eltern der Drittbeschwerdeführerin hatten auch eine mit 12. Mai 2003 datierte Erklärung abgegeben, mit einer Adoption ihrer Tochter durch das Ehepaar Mijailovic einverstanden zu sein. Den Genannten - beide sind österreichische Staatsangehörige - wurde mit Bescheid der Botschaft von Serbien und Montenegro in Österreich vom 20. Mai 2003 die Pflege und Erziehung betreffend die Drittbeschwerdeführerin übertragen.

Im September 2003 begab sich diese mit ihrem Kleinkind zurück nach Italien, wo sie weiterhin vom Ehepaar Mijailovic finanziell unterstützt wurden. In der Folge waren sie auch zeitweilig bei verschiedenen Verwandten in Serbien "zur Erholung" eingeladen.

Im August 2004 kehrten die Drittbeschwerdeführerin und ihr Sohn (von Italien kommend) nach Österreich zurück; sie wohnen seit damals ununterbrochen bei Nenad und Milena Mijailovic in Himberg. Am 12. Dezember 2004 wurde dann der zweite Sohn, der Erstbeschwerdeführer, geboren. Auch hinsichtlich der beiden Kinder wurde die Pflege und Erziehung bzw. die Vormundschaft von der Botschaft von Serbien und Montenegro in Österreich mit Bescheid vom 21. Juli 2003 bzw. vom 28. Dezember 2004 dem Ehepaar Mijailovic übertragen. Einem Antrag, die von Nenad und Milena Mijailovic mit Vertrag vom 2. August 2007 vorgenommene Adoption der Beschwerdeführer zu bewilligen, wurde schließlich mit Beschluss des Bezirksgerichtes Schwechat vom 6. Dezember 2007 stattgegeben.

Die Beschwerdeführer waren bereits davor mit Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung vom 25. April 2007 gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden. Der dagegen erhobenen Berufung war mit den vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheiden der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 15. Oktober 2007 keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt worden.

In der Begründung der im Wesentlichen inhaltsgleichen Bescheide gab die belangte Behörde zunächst zusammengefasst die Berufung wieder, zitierte die maßgeblichen Rechtsvorschriften und traf im Wesentlichen dem eingangs dargestellten Sachverhalt entsprechende Feststellungen. Sie hielt auch fest, dass das Gerichtsverfahren zur Bewilligung der Annahme an Kindesstatt derzeit anhängig sei. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde dann aus, es müsse davon ausgegangen werden, dass die Ausweisung in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer eingreife. Die Ausweisung sei aber das gelindeste Mittel, um den gesetzmäßigen Zustand wieder herzustellen. Durch die illegale Einreise und den unrechtmäßigen Aufenthalt in Österreich hätten die Beschwerdeführer Normen gebrochen, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukomme. Dieses maßgebliche öffentliche Interesse werde durch den illegalen Aufenthalt der Beschwerdeführer erheblich beeinträchtigt. Würde sich generell betrachtet ein Fremder in so einer Situation erfolgreich auf § 66 Abs. 1 FPG berufen können, so würde das den fremdenrechtlichen Bestimmungen zuwiderlaufen, deren Ziel ein geordnetes Fremdenwesen und ein geordneter Zuzug von Fremden sei. Zwar könne auch während eines unrechtmäßigen Aufenthalts eine Integration begründet werden, doch wäre eine solche "bestenfalls geringfügig". Die familiären Beziehungen zu den künftigen Adoptiveltern seien nämlich nicht während einer rechtmäßigen Niederlassung begründet worden. Vielmehr hätte sich die Drittbeschwerdeführerin im Hinblick auf die illegale Einreise und das Fehlen eines Aufenthaltstitels "über die Unsicherheit ihres weiteren rechtlichen Schicksals bewusst sein müssen". Die aus den familiären Bindungen ableitbaren persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich seien daher wesentlich gemindert, wobei es im Hinblick auf die Ausweisung aller drei Beschwerdeführer zu keiner Trennung der mittlerweile volljährigen Drittbeschwerdeführerin von ihren Söhne komme. Die belangte Behörde gehe auch davon aus, dass die Beschwerdeführer bei einem eventuellen Aufenthalt in Serbien bei den Eltern von Nenad Mijailovic zumindest Unterkunft nehmen könnten und sie vom Ehepaar Mijailovic - wie schon während des Italienaufenthaltes 2003/2004 - weiterhin finanziell unterstützt würden. Die belangte Behörde erachtete daher die Ausweisung im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG für dringend geboten und sah sich nicht in der Lage, das ihr eingeräumte Ermessen zugunsten der Beschwerdeführer auszuüben.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, im Wesentlichen inhaltsgleichen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde gemeinsam erwogen hat:

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Den Beschwerden sind keine Behauptungen zu entnehmen, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG - insbesondere die Erteilung eines Aufenthaltstitels - bei den Beschwerdeführern vorläge. Dafür bestehen nach der Aktenlage auch keine Anhaltspunkte, sodass keine Bedenken gegen die behördliche Annahme bestehen, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei im vorliegenden Fall verwirklicht.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.

In diesem Zusammenhang verweisen die Beschwerdeführer neuerlich auf ihre eingangs dargestellte Situation und insbesondere darauf, dass sich die Drittbeschwerdeführerin bei ihren Einreisen - unter Bedachtnahme auf ihr Alter, die Schwangerschaften und den Umstand, dass ihre Eltern zur Unterhaltsgewährung nicht imstande gewesen seien - in einer vollkommen aussichtslosen Situation befunden habe. Im Falle einer Ausweisung sei die Existenz der Beschwerdeführer gefährdet. Die Beschwerdeführerin sei nämlich (auch mangels Ausbildung) momentan nicht in der Lage, ohne Hilfe und Unterstützung durch das Ehepaar Mijailovic für sich und ihre Kinder zu sorgen. Das habe die belangte Behörde unberücksichtigt gelassen. Die von der belangten Behörde angestellte Vermutung, die Beschwerdeführer würden auch im Ausland weiterhin von den Genannten finanziell unterstützt, lasse außer Acht, dass sie damit sämtliche Lebensbereiche abdecken müssten, wie auch eine eigene Wohnung.

Mit diesen Ausführungen zeigen die Beschwerdeführer zunächst insofern einen relevanten Begründungsmangel auf, als dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen ist, dass die belangte Behörde bei der Interessensabwägung und der Ermessensübung auf die in der Beschwerde angesprochenen fallbezogenen Besonderheiten ausreichend Bedacht genommen hätte. Es darf nämlich nicht übersehen werden, dass die mittellose und damals noch nicht fünfzehnjährige Drittbeschwerdeführerin bei ihrer zweiten Einreise mit dem einjährigen Zweitbeschwerdeführer wieder schwanger war und in dieser Situation bei ihren österreichischen Verwandten Aufnahme fand. Diesen wurde dann nicht nur die Pflege und Erziehung hinsichtlich aller Beschwerdeführer übertragen, sondern sie nahmen sie auch alle mit dem - noch vor Erlassung der angefochtenen Bescheide geschlossenen - Adoptionsvertrag vom 2. August 2007 an Kindesstatt an. Dazu kommt, dass die beiden Kinder in Österreich geboren wurden und (abgesehen vom ersten Lebensjahr beim Zweitbeschwerdeführer) ihr ganzes bisheriges Leben in Österreich verbracht haben. Dieser Situation wurde die belangte Behörde mit dem bloßen Hinweis auf die Relativierung von integrationsbegründenden Umständen, die während unrechtmäßigen Aufenthalts eintreten, nicht gerecht.

Vor allem verkannte die belangte Behörde aber, dass die Annahme an Kindesstatt nach § 179a Abs. 1 zweiter Satz ABGB im Fall ihrer gerichtlichen Bewilligung mit dem Zeitpunkt der vertraglichen Willenseinigung wirksam wird. Dem entsprechend sprach das Bezirksgericht Schwechat in Punkt 7. des Adoptionsbewilligungsbeschlusses auch ausdrücklich aus, dass die Annahme an Kindesstatt gemäß der genannten Bestimmung mit dem 2. August 2007 wirksam wird. Bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide waren die Beschwerdeführer daher als Familienangehörige von österreichischen Staatsangehörigen anzusehen. Davon ausgehend und in Verbindung mit der aufgezeigten besonderen Situation der Beschwerdeführer hätte die belangte Behörde nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes aber jedenfalls unter Ermessensgesichtspunkten von der Ausweisung der Beschwerdeführer Abstand nehmen müssen.

Angesichts dessen kann einerseits dahingestellt bleiben, ob die belangte Behörde nicht schon bei der Interessenabwägung nach § 66 Abs. 1 FPG zu einem anderen Ergebnis hätte kommen müssen. Andererseits braucht in diesem Fall auch nicht darauf eingegangen werden, ob die Ausweisungen auch deshalb unzulässig waren, weil den Beschwerdeführern vor dem Hintergrund der Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften in seinem Urteil vom 25. Juli 2008, C-127/08 (in der Rechtssache Metock u.a. gegen Irland) zum Aufenthaltsrecht für Familienangehörige von EWR-Bürgern in Verbindung mit Überlegungen zur diesbezüglich gebotenen Gleichbehandlung mit Familienangehörigen von Österreichern (vgl. Punkt 6. der Begründung des Beschlusses vom 29. April 2008 auf Aussetzung des zu 2007/21/0090 geführten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens) ein Aufenthaltsrecht in Österreich zukommen könnte.

Die angefochtenen Bescheide waren vielmehr schon aus den vorgenannten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Von der Durchführung der in den Beschwerden beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 18. September 2008

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008210021.X00

Im RIS seit

17.10.2008

Zuletzt aktualisiert am

03.02.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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