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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
NAG 2005 §11 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des M, geboren am 26. März 1980, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2/1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. Mai 2008, Zl. 151.302/2-III/4/08, betreffend Versagung eines Aufenthaltstitels, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein am 26. März 1980 geborener marokkanischer Staatsangehöriger, kam am 27. August 2004 nach Österreich und stellte unter einem anderen Namen mit dem Geburtsdatum 26. November 1989 und der Behauptung einer algerischen Staatsbürgerschaft einen Asylantrag, der erstinstanzlich mit Bescheid vom 17. Dezember 2004 abgewiesen wurde. Bereits davor war gegen den Beschwerdeführer wegen seiner Mittellosigkeit mit Bescheid vom 17. November 2004 ein rechtskräftig gewordenes Aufenthaltsverbot in der Dauer von fünf Jahren erlassen worden. Dieses Aufenthaltsverbot wurde schließlich über Antrag des Beschwerdeführers vom 3. Dezember 2007 mit Bescheid vom 3. April 2008 wieder aufgehoben. Während seines Aufenthaltes in Österreich wurde der Beschwerdeführer mit Gerichtsurteil vom 21. Dezember 2005 wegen des (ausschließlich zum persönlichen Gebrauch begangenen) Vergehens nach § 27 Abs. 1 und 2 SMG zu einer teilbedingt nachgesehenen Geldstrafe verurteilt.
Im Herbst 2005 war der Beschwerdeführer mit der österreichischen Staatsangehörigen R. K. eine Lebensgemeinschaft eingegangen; das gemeinsame Kind wurde am 1. Juli 2006 in Österreich geboren. Nachdem der unabhängige Bundesasylsenat der Asylberufung des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 30. November 2006 keine Folge gegeben und damit auch die Ausweisung des Beschwerdeführers bestätigt hatte, kehrte der Beschwerdeführer nach Marokko zurück. Dem Inhalt eines dort erwirkten Gerichtsurteils vom 4. Juli 2007 zufolge heiratete der Beschwerdeführer die erwähnte (ihn damals dort besuchende) österreichische Staatsangehörige nach muslimisch-marokkanischem Recht.
Am 13. September 2007 stellte der Beschwerdeführer im Wege der österreichischen Botschaft in Rabat unter Berufung auf diese Ehe einen Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" nach § 47 Abs. 2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG.
Diesen Antrag wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) im Instanzenzug mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 7. Mai 2008 unter Berufung auf § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG ab. Nach dieser Bestimmung dürfe einem Fremden ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn sein Aufenthalt nicht öffentlichen Interessen widerstreite; das sei nicht der Fall, wenn der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde. Eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet eines geordneten Aufenthalts- und Niederlassungswesens ergebe sich aus falschen oder unvollständigen Angaben im Zuge eines Verfahrens oder aus "sonstigen Umgehungsversuchen der gesetzlichen Rahmenbedingungen".
Für die belangte Behörde - so begründete sie daran anknüpfend weiter - stehe fest, dass der Beschwerdeführer unter Verwendung von "Aliasdaten" versucht habe, seinen "illegalen Aufenthalt zu legalisieren". Dabei handle es sich um einen schwerwiegenden Verstoß gegen Normen, die eine geordnete Einwanderung zum Ziel hätten. Durch die mehrfachen Täuschungen betreffend seine wahre Identität im Zuge des Asyl-, Aufenthaltsverbots- und Strafverfahrens, in dem er als bereits Volljähriger (nur) wegen einer "Jugendstraftat" verurteilt worden sei, zeige der Beschwerdeführer, dass er nicht gewillt sei, sich an die in Österreich geltende Rechtsordnung zu halten. Das stelle - insbesondere wegen der negativen Beispielswirkung auf andere Fremde - jedenfalls eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar. Demnach widerstreite der Aufenthalt des Beschwerdeführers öffentlichen Interessen und es sei die Voraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht erfüllt.
Die Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK habe ergeben, dass zwar durch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer mit einer Österreicherin verheiratet und er Vater eines gemeinsamen Kindes sei, "durchaus private Interessen" an einem Aufenthalt in Österreich bestünden, jedoch müsse den entgegenstehenden öffentlichen Interessen "absolute Priorität" eingeräumt werden, weil aufgrund der mehrfachen Verwendung einer "Aliasidentität" keine Bereitschaft des Beschwerdeführers zu erkennen sei, die österreichische Rechtsordnung, insbesondere fremdenrechtliche Bestimmungen, zu respektieren. Vor dem Hintergrund der hohen Bedeutung eines geordneten Zuwanderungswesens und der Einhaltung der diesbezüglichen Normen gehe die Interessenabwägung daher zu Lasten des Beschwerdeführers aus.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des NAG lauten (auszugsweise):
"Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' und 'Niederlassungsbewilligung - Angehöriger'
§ 47. (1) Zusammenführende im Sinne der Abs. 2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und denen das Recht auf Freizügigkeit nicht zukommt.
(2) Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden im Sinne des Abs. 1 sind, ist ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen. Dieser Aufenthaltstitel ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des 1. Teiles einmal um den Zeitraum von zwölf Monaten, danach jeweils um 24 Monate zu verlängern."
"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel
§ 11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn
...
(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn
1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;
...
(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist.
(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn
1. sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder
2. ..."
Die belangte Behörde ist in der Bescheidbegründung davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer Ehemann einer Österreicherin ist. Sie hat die Versagung des beantragten Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" nur mit der durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers bewirkten Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit wegen der Verwendung von "Aliasdaten" bei der Asylantragstellung und wegen des Unterlassens einer Offenlegung der richtigen Identität (samt Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit) im Rahmen des Aufenthaltsverbots- und des Strafverfahrens, somit wegen des Fehlens der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 1 (iVm Abs. 4 Z 1) NAG, begründet.
Es trifft zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa das Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0311). Es ist der belangten Behörde daher auch darin beizupflichten, dass die Asylantragstellung unter Verwendung von unrichtigen Personalien und Angabe eines falschen Herkunftsstaates mit dem Ziel der Erlangung eines (vorläufigen) Aufenthaltsrechtes in Österreich eine schwere Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen, insbesondere an einer geregelten Zuwanderung, darstellt (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 2007, Zl. 2007/18/0699).
Bei der Beurteilung einer - im Falle der Erlaubnis zur Wiedereinreise und zu einem neuerlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich - aktuell noch bestehenden Gefährdung hätte die belangte Behörde aber auch die weitere Entwicklung und das vom Beschwerdeführer in der Folge gezeigte Verhalten einbeziehen müssen. Nach dem - mangels Einräumung des Parteiengehörs zu dem von der belangten Behörde erstmals herangezogenen Abweisungsgrund nicht gegen das Neuerungsverbot verstoßenden und im Einklang mit der Aktenlage stehenden - Vorbringen in der Beschwerde hat der Beschwerdeführer aber im Zuge der Änderung seiner privaten Verhältnisse gegenüber der Asylbehörde noch rechtzeitig vor der Beendigung des Asylberufungsverfahrens seine wahre Identität und Herkunft offengelegt. Weiters steht der behördlichen Annahme, es sei keine Bereitschaft des Beschwerdeführers zu erkennen, fremdenrechtliche Bestimmungen zu respektieren, die freiwillige Befolgung des mit der Ausweisung ausgesprochenen Ausreisebefehls sowie die dem Gesetz entsprechende Stellung des gegenständlichen Antrags und das Abwarten seiner Erledigung im Ausland entgegen. Auch darauf weist die Beschwerde zutreffend hin. Unter Bedachtnahme auf diese Umstände wäre aber zumindest von einer deutlichen Herabsetzung der von der belangten Behörde angenommenen Gefährdung öffentlicher Interessen auszugehen gewesen.
Ungeachtet dieses - wie erwähnt in seinem Gewicht jedoch erheblich geminderten - Interesses an der Unterbindung eines Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich, hätte die belangte Behörde aber jedenfalls in Anwendung des § 11 Abs. 3 NAG dem Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels stattgeben müssen, weil dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist. Die belangte Behörde hat nicht unterstellt, der österreichischen Ehefrau und dem gemeinsamen Kleinkind wäre ein Zusammenleben mit dem Beschwerdeführer in dessen Heimatland Marokko zumutbar. Davon ausgehend hat im gegenständlichen Fall das besagte öffentliche Interesse, das vorliegend keinesfalls so große Bedeutung erreicht, dass der Beschwerdeführer und seine österreichischen Familienangehörigen eine Trennung (auf Dauer) in Kauf nehmen müssten, gegenüber deren Interesse an einem Zusammenleben in Österreich zurückzutreten. Das hat die belangte Behörde verkannt.
Schon deshalb war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 18. September 2008
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2008210371.X00Im RIS seit
13.10.2008Zuletzt aktualisiert am
29.04.2010