TE Vwgh Erkenntnis 2008/10/29 2007/08/0083

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Veröffentlicht am 29.10.2008
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §90;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §36 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §60;
AVG §66 Abs4;
NotstandshilfeV §2 Abs1 idF 1989/388;
NotstandshilfeV §2 Abs2 idF 1989/388;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Moritz, Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zykan, über die Beschwerde des Ing. K in W, vertreten durch Dr. Helmut Grubmüller, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Weyrgasse 5/7, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 5. März 2007, Zl. LGSW/Abt. 3-AlV/05661/2006-10795, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, insoweit, als er den Beschwerdeführer zur Rückzahlung von unberechtigt empfangenen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung verpflichtet, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Ehe des im Bezug von Notstandshilfe stehenden Beschwerdeführers mit EK wurde mit Beschluss des BG Donaustadt vom 21. September 2006 im Einvernehmen geschieden.

Aus einer Abfrage des zentralen Melderegisters vom 3. Oktober 2006 geht hervor, dass der Beschwerdeführer vom 12. November 1980 bis zum 4. April 2003 an der Adresse, Mgasse 26, vom 4. April 2003 bis zum 16. August 2006 an der Adresse, Sgasse 39a/2/3, und seit 16. August 2006 bis laufend wieder an der Adresse, Mgasse 26, hauptgemeldet war.

Aus einer weiteren Abfrage des zentralen Melderegisters vom 3. Oktober 2006 geht hervor, dass EK ab 23. Dezember 1983 bis laufend an der Adresse, Mgasse 26, hauptgemeldet war.

Im Auftrag des Arbeitsmarktservice Wien, Regionale Geschäftsstelle Prandaugasse (in der Folge: AMS Prandaugasse), wurden durch einen Bediensteten des AMS Erhebungen durchgeführt. Aus einem Bericht des ermittelnden Bediensteten vom 10. Oktober 2006 geht im Wesentlichen hervor, dass die beiden Meldeadressen des Beschwerdeführers nur wenige Meter von einander entfernt seien und sich in derselben Siedlung befänden. Die Nachbarin Frau H (Sgasse 39a/2/6) habe angegeben, dass an der Adresse Sgasse 39a/2/3 nur die Tochter des Beschwerdeführers mit ihrem Freund wohnhaft sei, der Beschwerdeführer habe nie dort gewohnt. Frau H habe aber sofort als tatsächliche Adresse des Beschwerdeführers die Mgasse genannt. Auch der Verwalter der Anlage, Herr K., habe angegeben, dass der Beschwerdeführer mit seiner Gattin im Haus Mgasse 26 wohnhaft sei und seines Wissens nie bei der Tochter in der Sgasse gewohnt habe. In der Mgasse hätten sich gleichlautende Angaben der Nachbarn von Haus 24 und 20 ergeben, wobei insbesondere die Nachbarin von Haus 24 angegeben habe, dass der Beschwerdeführer nie bei seiner Tochter gewohnt habe und normalerweise die beiden PKW des Beschwerdeführers und von EK vor dem Haus parken würden. Im Rahmen eines Telefonats habe der zuständige Zusteller der Post AG Zustellbasis, EStraße, angegeben, dass er den Beschwerdeführer etwa bei RSb-Zustellungen immer an der Adresse Mgasse 26 angetroffen habe, ein Umzug in die Sgasse sei nie aufgefallen, obwohl auch fallweise Post an den Beschwerdeführer in der Sgasse zugestellt worden sei.

Am 13. Oktober 2006 wurde vom ermittelnden Bediensteten mit EK eine Niederschrift aufgenommen, in der diese im Wesentlichen angab, dass es zwar seit etwa 3 1/2 Jahren ein Zerwürfnis zwischen ihr und dem Beschwerdeführer gegeben habe, dass er aber nicht aus dem gemeinsamen Haushalt Mgasse 26 ausgezogen sei, man habe weiterhin eine aufrechte Ehe geführt. Wegen der Trunksucht des Beschwerdeführers habe man sich einvernehmlich scheiden lassen. Der Beschwerdeführer müsse bis 31. Jänner 2007 das Haus räumen. Nach wie vor komme EK für die Wohnungs- und Lebenshaltungskosten zur Gänze alleine auf, auch in den Jahren aufrechter Ehe habe sie diese Kosten überwiegend alleine getragen.

Am 12. November 2006 sandte der Beschwerdeführer ein E-Mail an das AMS. Unter dem Titel "Einspruch wegen Ablehnung der Notstandshilfe" führte er im Wesentlichen aus, dass er Berufung gegen die vom AMS Prandaugasse "angedrohten Bescheide" erhebe. In der Zeit vom 3. November bis 7. November 2006 habe er 13 Schreiben per Post zugestellt erhalten, darin sei die Übermittlung entsprechender Bescheide für die nächsten Tage angekündigt worden. Es sei ihm aber noch kein einziger zugestellt worden. Er gehe davon aus, dass er drei Bescheide erhalten müsse. Er stelle den Antrag auf Zuerkennung von aufschiebender Wirkung und sofortiger Nachzahlung. Er erhebe Einspruch gegen die Einstellung der Notstandshilfe mangels Notlage. Wenn sich das AMS Prandaugasse auf § 36 Abs. 2 AlVG beziehe, teile er mit, dass kein gemeinsamer Haushalt mit EK vorliege. Er habe, wie sich aus dem Meldezettel ergebe, von 4. April 2003 bis 16. August 2006 die eheliche Wohnung "verlassen". Seit 21. September 2006 sei er geschieden, wobei die Zerrüttung der Ehe seit 4. April 2003 festgestellt worden sei. Da die Entscheidung des AMS Prandaugasse der OGH-Judikatur zuwiderlaufe, sei der Bescheid aufzuheben.

Mit Bescheid des AMS Prandaugasse vom 13. November 2006 wurde der Bezug der Notstandshilfe des Beschwerdeführers für den Zeitraum vom 4. April 2003 bis zum 20. September 2006 widerrufen bzw. nachträglich berichtigt und der Beschwerdeführer zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe in der Höhe von EUR 38.880,62 verpflichtet. Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass nie ein von seiner Gattin getrennter Haushalt des Beschwerdeführers vorgelegen sei. Durch die Neubemessung entstehe die genannte Rückforderung.

Am 12. Dezember 2006 wurde von der belangten Behörde eine Niederschrift mit dem Beschwerdeführer aufgenommen, in welcher dieser im Wesentlichen angab, er habe sich am 4. April 2003 in der Wohnung seiner Tochter angemeldet. Die Wohnung habe ca. 70 m2 und verfüge über ein Gästezimmer, Schlafzimmer und Wohnzimmer. Seine Tochter sei ledig. Er habe sich tagsüber vier bis fünf Mal pro Woche an seiner ehemaligen Adresse in der Mgasse 26 aufgehalten, da sich dort seine EDV-Anlage befinde, die er auf Grund ihrer Größe aus technischen Gründen nicht zu seiner Tochter habe bringen können. Er habe dort auch seine Wäsche gewaschen und eigentlich aus dem Koffer gelebt. Er habe keinen Kontakt zu den Nachbarn gehabt, weshalb wahrscheinlich der Eindruck bei diesen entstanden sei, dass er noch in der Mgasse 26 wohne. Die Angaben des Zustellers könne er damit erklären, dass er zu dessen Dienstzeit eben in der Mgasse 26 angetroffen worden sei. Die Angaben von EK, dass die Trennung im April 2003 nur "zum Schein" erfolgt sei, könne sich der Beschwerdeführer nicht erklären. Bei dem Wohnsitz Mgasse 26 handle es sich um ein Reihenhaus mit 120 m2 Wohnfläche. Er sei bei noch laufendem Scheidungsverfahren dort eingezogen, um sein Hab und Gut zu schützen, und habe gehofft, nach der zu erwartenden Delogierung so leichter eine Wohnung von der Gemeinde zu erhalten. Es sei aber keinesfalls eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft vorgelegen.

Am 9. Jänner 2007 wurde von der belangten Behörde eine Niederschrift mit der Tochter des Beschwerdeführers aufgenommen, in welcher sie im Wesentlichen angab, dass sie an der Adresse Sgasse 39a/2/3 mit ihrem Lebensgefährten seit 3. April 2003 wohne. Die Wohnung habe eine Größe von etwas über 60 m2 und verfüge über Küche, Bad, WC, Vorzimmer, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Gästezimmer und Balkon. Sie könne nicht genau sagen, seit wann der Beschwerdeführer an dieser Adresse gemeldet gewesen sei, abgemeldet habe er sich am 16. August 2006. Der Beschwerdeführer sei eingezogen und man habe zu dritt in der Wohnung gelebt. Dort sei ihm auch die Post zugestellt worden. Der Beschwerdeführer sei nur tagsüber in der ehemaligen Wohnung gewesen, da er ein sehr großes Aquarium und seine gesamte EDV-Ausrüstung dort habe und dafür in der Wohnung der Tochter des Beschwerdeführers kein Platz gewesen sei. Das Verhältnis ihrer Eltern sei "einer Scheidung ähnlich" gewesen. Da EK berufstätig sei, habe der Beschwerdeführer die Möglichkeit gehabt, seine ehemalige Wohnung zu benützen, ohne EK zu begegnen.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde über diese Berufung des Beschwerdeführers wie folgt entschieden:

"Über Ihre Berufung vom 12.11.2006 gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Prandaugasse vom 13.11.2006 betreffend Widerruf der Zuerkennung der Notstandshilfe vom 04.04.2003 bis 20.09.2006 gemäß § 24 Abs. 2 und Rückforderung des unberechtigt Empfangenen in Höhe von EUR 38.880,62 (richtig: EUR 38.847,46) gemäß § 25 Abs. 1 in Verbindung mit § 38 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (BGBl. Nr. 609/1977 - AIVG) in geltender Fassung hat die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien durch den gemäß § 56 Abs. 3 und 4 in Verbindung mit § 58 AIVG zuständigen Ausschuss mit Beschluss entschieden:

Der Berufung wird keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt.

Der auf die Rückforderung noch aushaftende Betrag von EUR 37.855,19 wird mit der Maßgabe vom Leistungsbezug abgezogen, dass die Hälfte des Leistungsbezuges frei bleiben muss.

Bei Ausscheiden aus dem Bezug vor Abstattung der Forderung ist der noch offene Restbetrag mittels Erlagschein, unter Angabe der Sozialversicherungsnummer auf das Postscheckkonto Nr. 5650.008 des Arbeitsmarktservice Wien (BSB für Wien, NÖ und Bgld.) einzuzahlen."

Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens im Wesentlichen aus, dass auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, vor allem auf Grund der glaubwürdigen und nachvollziehbaren Aussagen von EK, der belangten Behörde nicht erkennbar sei, dass der gemeinsame Haushalt ab 4. April 2003 aufgelöst gewesen sei. Die Angaben des Beschwerdeführers werte die belangte Behörde als Schutzbehauptungen, um der Anrechnung des Partnereinkommens auf die Notstandshilfe zu entgehen. Die subjektiven Wahrnehmungen der Tochter könnten auf Grund des bestehenden verwandtschaftlichen Naheverhältnisses nicht zur Unterstützung der Angaben des Beschwerdeführers herangezogen werden. Zur Berichtigung der Notstandshilfe finden sich im angefochtenen Bescheid ausführliche Berechnungen, hinsichtlich des Rückforderungsbetrags folgende Tabelle:

"

     Zeitraum         ausbezahlter Tagsatz        berichtigter

Tagsatz         Differenz         Tage         Summe

     04.04.03 - 08.05.03        EUR 33,17         EUR 2,34

EUR 30,83        35         EUR 1.079,05

     13.05.03 - 31.12.03        EUR 33,17        EUR 2,34

EUR 30,83        233        EUR 7.183,39

     01.01.04 - 31.01.04         EUR 33,17        EUR 2,55

EUR 30,62        31         EUR 949,22

     01.02.04 - 03.06.04        EUR 33,17        EUR 0,81

EUR 32,36        124         EUR 4.012,64

     07.06.04 - 31.12.04        EUR 33,17        EUR 0,81

EUR 32,36        208         EUR 6.730,88

     01.01.05 - 31.01.05         EUR 33,17         EUR 0,92

EUR 32,25        31        EUR 999,75

     01.02.05 - 01.08.05        EUR 33,17         EUR 0,00

EUR 33,17        182         EUR 6.036,94

     01.09.05 - 09.10.05         EUR 33,17         EUR 0,00

EUR 33,17        39         EUR 1.293,63

     10.10.05 - 11.11.05         EUR 33,17         EUR 18,50

  EUR 14,67        33         EUR 484,11

     12.11.05 - 16.11 05        EUR 33,17         EUR 0,00

EUR 33,17        5         EUR 165,85

     23.11.05 - 14.02.06         EUR 33,17         EUR 0,00

EUR 33,17        84         EUR 2.786,28

     17.02.06 - 17.09.06         EUR 33,17         EUR 0,00

EUR 33,17        213         EUR 7.065,21

     18.09.06-20.09.06         EUR 33,17         EUR 13.-

EUR 20,17        3         EUR 60,51

                             insgesamt

EUR 38.847,46

"

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde

mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer macht zunächst die Unzuständigkeit der belangten Behörde geltend, da eine ordnungsgemäße Berufung gar nicht vorgelegen sei, weil die Berufung vor Erlassung des angefochtenen Bescheides eingebracht worden sei.

Nun setzt zwar nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (im Einparteienverfahren) die Erhebung einer Berufung nach §§ 63 ff AVG die Erlassung eines damit angefochtenen Bescheides voraus, und es ist die Berufung gegen einen (noch) nicht erlassenen Bescheid solange unzulässig, als dieser noch nicht zugestellt wurde. Jedoch hat der Verwaltungsgerichtshof auch ausgesprochen, dass, sobald der Bescheid zugestellt wurde, eine Zurückweisung einer verfrüht eingebrachten Berufung nicht (mehr) zulässig ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 4. Juni 1987, Zl. 86/02/0198, und vom 22. Juni 1988, Zl. 87/03/0263, mwN). Im vorliegenden Fall bestreitet der Beschwerdeführer nicht, dass ihm der Bescheid vom 13. November 2006 zugestellt wurde. Die belangte Behörde hat somit zu Recht meritorisch über die Berufung gegen diesen Bescheid entschieden.

Gemäß § 24 Abs. 2 AlVG ist, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes als gesetzlich nicht begründet herausstellt, die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen.

Gemäß § 25 Abs. 1 AlVG ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

Gemäß § 38 AlVG sind auf die Notstandshilfe die oben genannten Bestimmungen über das Arbeitslosengeld sinngemäß anzuwenden.

Gemäß § 33 Abs. 3 AlVG liegt Notlage vor, wenn dem Arbeitslosen die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich ist.

Gemäß § 36 Abs. 2 AlVG sind in den Richtlinien über die Höhe der Notstandshilfe auch die näheren Voraussetzungen festzulegen, unter denen Notlage als gegeben anzusehen ist. Bei der Beurteilung der Notlage sind die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitslosen selbst sowie des mit dem Arbeitslosen im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners (des Lebensgefährten) zu berücksichtigen.

§ 2 Abs. 2 NotstandshilfeV idF BGBl. Nr. 388/1989 lautet:

"(2) Bei der Beurteilung der Notlage sind die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des (der) Arbeitslosen selbst sowie des mit dem Arbeitslosen (der Arbeitslosen) im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) zu berücksichtigen. Durch eine vorübergehende Abwesenheit (Kur-, Krankenhausaufenthalt, Arbeitsverrichtung an einem anderen Ort uä.) wird der gemeinsame Haushalt nicht aufgelöst. Gleiches gilt, wenn der (die) Arbeitslose die Hausgemeinschaft mit dem Ehepartner (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) nur deshalb aufgegeben hat oder ihr ferngeblieben ist, um der Anrechnung des Einkommens zu entgehen."

Der im Gesetz angeordneten Berücksichtigung des Einkommens des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners liegt offenbar die Annahme zu Grunde, dass dieser wegen der Lebens- (Wohn-) Gemeinschaft auch zum gemeinsamen Wirtschaften zumindest zum Teil beiträgt. Das ununterbrochene gemeinsame Wohnen der Partner ist lediglich ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts, jedoch für sein Vorliegen weder unter allen Umständen notwendig noch unter allen Umständen ausreichend. Es ist vielmehr jenes Element, um dessentwillen die Lebensgemeinschaft im konkreten Regelungszusammenhang von Bedeutung ist, nämlich der Gesichtspunkt gemeinsamen Wirtschaftens, unverzichtbar. Gemäß § 90 ABGB sind die Ehegatten einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft sowie (unter anderem) auch zum gemeinsamen Wohnen verpflichtet. Von diesem (typischen) Bild einer aufrechten Ehe darf die Behörde auch im Verwaltungsverfahren nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz grundsätzlich ausgehen, solange nicht die Parteien eine davon abweichende Lebensführung behaupten und die erforderlichen Beweismittel benennen oder beibringen. Anders würde nämlich bei Fragen aus dem persönlichen Lebensbereich, wie jener nach der gemeinsamen oder getrennten Haushaltsführung von Gatten, die Behörde gar nicht in der Lage sein, von sich aus eine zweckentsprechende Ermittlungstätigkeit zu entfalten Die Behörde ist daher berechtigt, vom Bestehen eines gemeinsamen Haushaltes dann weiterhin auszugehen, wenn sie die gegenteiligen Behauptungen der Partei unter Berücksichtigung der Ermittlungsergebnisse für unglaubwürdig erachtet und die von der Behörde dazu in der Begründung des Bescheides angestellten Überlegungen einer Schlüssigkeitsprüfung standhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. September 2007, Zl. 2006/08/0318, mwN).

Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt jedoch eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind solche Erwägungen nur dann, wenn sie u.a. den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut, entsprechen. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, d. h. sie zu verwerfen, weil auch ein anderer Ablauf der Ereignisse beziehungsweise ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Juni 2008, Zl. 2007/08/0063, mwN).

Der belangten Behörde kann nicht entgegengetreten werden, dass sie sich bei ihrer Beweiswürdigung auf die in sich schlüssigen Angaben von EK stützte, stehen diese doch mit den Aussagen der Nachbarn, des Verwalters und des Postbediensteten im Einklang. Es ist auch nicht unschlüssig, wenn die belangte Behörde demgegenüber die Angaben der Tochter des Beschwerdeführers auf Grund des bestehenden Verwandtschaftsverhältnisses als weniger glaubwürdig einstuft. Angesichts dieser Beweisergebnisse durfte die belangte Behörde die Angaben des Beschwerdeführers als Schutzbehauptungen werten, insbesondere auch deshalb, weil dieser nicht erklären konnte, aus welchen Gründen EK diese nach Meinung des Beschwerdeführers unrichtigen Angaben gemacht habe und somit keine Zweifel an deren Glaubwürdigkeit aufwerfen konnte. Daher durfte die belangte Behörde im Sinne der zitierten Rechtsprechung von dem Weiterbestehen einer ehelichen Gemeinschaft ausgehen.

Gegen die von der belangten Behörde angestellten Berechnungen bringt der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde keine Einwände vor.

Der angefochtene Bescheid war jedoch im Rahmen des geltend gemachten Beschwerdepunktes hinsichtlich der Rückforderung von Notstandshilfe aus folgenden Gründen rechtswidrig:

Wenn die Behörde erster Instanz, wie im vorliegenden Fall, hinsichtlich eines bestimmten Zeitraumes eine zahlenmäßig bestimmte Rückforderung ausspricht, so steht es der Berufungsbehörde zwar im Rahmen der von ihr gemäß § 66 Abs. 4 AVG zu entscheidenden Sache zu, die diesbezügliche Berechnung zu ändern. Dies entbindet sie aber nicht davon, einen eindeutig bestimmbaren Bescheid hinsichtlich der Höhe des Rückforderungsbetrages zu erlassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2007, Zl. 2007/08/0022, mwN).

Im vorliegenden Fall wurde zwar die Rückforderung in der Begründung des in Beschwerde gezogenen Bescheides genau berechnet. Dem Spruch des in Beschwerde gezogenen Bescheides kann aber nicht entnommen werden, dass die belangte Behörde tatsächlich eine diesbezügliche Änderung hat vornehmen wollen. Die Entscheidung lautet lediglich dahin, dass der Berufung keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt wird. Es lässt sich aus dem Spruch nicht entnehmen, ob damit die erstinstanzliche Festsetzung von EUR EUR 38.880,62 oder die in der Wiedergabe des Vorspruchs im Zusammenhang mit der deklarativen Darstellung des Gegenstandes des erstinstanzlichen Bescheides (daher nicht normativ) als "richtig" bezeichnete Summe von EUR EUR 38.847,46 in Rechtskraft erwachsen sollte, zumal der angefochtene Bescheid (dessen ungeachtet) keine Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides ausspricht (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2007).

Der angefochtene Bescheid war daher, soweit mit ihm die Rückforderung der empfangenen Notstandshilfe ausgesprochen wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben. Im Übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 29. Oktober 2008

Schlagworte

Beweiswürdigung Wertung der BeweismittelBesondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2007080083.X00

Im RIS seit

02.12.2008

Zuletzt aktualisiert am

12.03.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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