RS Vfgh 1990/6/22 G259/89

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Veröffentlicht am 22.06.1990
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Index

57 Versicherungen
57/01 Versicherungsaufsicht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz B-VG Art18 Abs1 B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität VersicherungsaufsichtsG §22 Abs1

Leitsatz

Verletzung der Rechtssphäre einer Person durch eine Vorschrift über die Enthebung von einer, mit einem über den Aufwandersatz hinausgehenden Honorar verbundenen staatlichen Funktion; mangelnde Determinierung der Ermessensvorschriften über die Enthebung der Treuhänder nach dem VersicherungsaufsichtsG; keine verfassungskonforme Auslegung möglich; Verstoß gegen das Legalitätsprinzip

Rechtssatz

§22 Abs1 dritter Satz des Bundesgesetzes über den Betrieb und die Beaufsichtigung der Vertragsversicherung (VersicherungsaufsichtsG), BGBl. Nr. 569/1978, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 558/1986, war verfassungswidrig.

Für die Beurteilung der Frage, ob ein Verwaltungsakt, mit dem eine staatliche Funktion entzogen wird, in die Rechtssphäre des Funktionsträgers eingreift, ist es von entscheidender Bedeutung, ob ein Rechtssubjekt bloß einer staatlichen Funktion verlustig geht, oder ob mit dem Verlust staatlicher Funktionen auch ein Eingriff in rechtlich geschützte Positionen des Funktionsträgers verbunden ist.

Für den vorliegenden Fall braucht nicht untersucht zu werden, ob die einem Treuhänder gemäß §22 Abs3 VersicherungsaufsichtsG zustehende Funktionsgebühr über einen bloßen Aufwandsersatz hinausgeht und von einer Qualität ist, daß er im Effekt bewirkt, daß der Verlust der staatlichen Funktion auch die Rechtsposition des enthobenen Organwalters betrifft. Denn es kann aufgrund der vom Verwaltungsgerichtshof angestellten Überlegungen und der wiedergegebenen Auffassung des Verfassungsgerichtshofs keinesfalls als von vornherein ausgeschlossen und geradezu denkunmöglich bezeichnet werden, daß in dem dem Gesetzesprüfungsantrag zugrundeliegenden Beschwerdefall tatsächlich ein Eingriff in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers gegeben ist (unter Hinweis auf E v 15.03.90, G260/89).

Eine explizite Regelung, in welchem Sinn die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen auszuüben hat, fehlt im Gesetz. Auch enthält das VersicherungsaufsichtsG - anders als etwa die gesetzlichen Regelungen, die die Nationalbank zu hoheitlichem Handeln im Bereich des Devisenrechts ermächtigen - keine das Behördenhandeln final determinierenden Normen, aus denen der Sinn des Ermessens abgeleitet werden könnte, das der Versicherungsaufsichtsbehörde durch die angefochtene Bestimmung eingeräumt ist. Daraus zu schließen, ein Entzug der übertragenen Funktion wäre in jedem denkbaren Fall einer Rechtsverletzung durch den Treuhänder möglich oder gar schon immer dann, wenn der Treuhänder das Vertrauen der Versicherungsaufsichtsbehörde aus sonstigen Gründen verloren hat, verbietet jedoch der Gleichheitsgrundsatz.

Nun wäre es allenfalls auch denkbar, Abberufungsgründe nur dann als gegeben anzusehen, wenn die Bestellungsvoraussetzungen weggefallen sind; hiefür spräche der Kontext des §22 VersicherungsaufsichtsG. Ein solcher Sinn kann dem Gesetz aber nicht unterstellt werden; es würde das nämlich bedeuten, daß aus Gründen inhaltlicher Art(wie etwa mangelnder Vertrauenswürdigkeit) eine Abberufung nicht in Frage kommt.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, daß sich ein eindeutiger Sinn der Ermessensermächtigung nicht erkennen läßt, weshalb der Versuch der verfassungskonformen Interpretation der Norm zum Scheitern verurteilt ist.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Organwalter, Auslegung, Auslegung verfassungskonforme, Determinierungsgebot, Legalitätsprinzip, Ermessen, Versicherungsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:G259.1989

Dokumentnummer

JFR_10099378_89G00259_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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