RS Vfgh 1990/9/27 B1660/88

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Veröffentlicht am 27.09.1990
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art83 Abs2 B-VG Art87 Abs3 B-VG Art90 Abs2 B-VG Art133 Z4 B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall MRK Art6 Abs1 / Tribunal MRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien DSt 1872 §2 DSt 1872 §29 Abs3 DSt 1872 §55d RAO §10 Abs2 RAO §19 Abs2 RL-BA 1977 §23

Leitsatz

Tribunalcharakter der OBDK als Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag; keine Geltung des Grundsatzes der festen Geschäftsverteilung für die OBDK; kein Verstoß gegen das Anklageprinzip und das "Prinzip der Waffengleichheit" durch den Einleitungsbeschluß im Disziplinarverfahren; keine Präjudizierung des Disziplinarrates durch den Einleitungsbeschluß; keine Gleichsetzung der Funktionen der Anklageschrift und des Einleitungsbeschlusses; keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die disziplinären Verurteilungen eines Rechtsanwaltes wegen gerichtlicher Geltendmachung von Honorarforderungen trotz vorheriger Zustimmung zu einem gütlichen Beilegungsverfahren durch den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer sowie wegen des Erscheinens als "Dressman" in der Medienöffentlichkeit; Anlaßfallwirkung der teilweisen Feststellung der Gesetzwidrigkeit des Werbeverbots für Rechtsanwälte

Rechtssatz

Die OBDK ist nicht als Gericht, sondern als Kollegialbehörde im Sinne des Art133 Z4 B-VG - und zwar den Voraussetzungen eines Tribunals im Sinne des Art6 MRK entsprechend (vgl. zB VfSlg. 11512/1987, VfGH 23.6.1989 B394,407/89) - eingerichtet, für die das Prinzip der festen Geschäftsverteilung nach Art87 Abs3 B-VG nicht gilt (vgl. VfSlg. 9387/1982 mit weiterführender Begründung; ebenso VfSlg. 11280/1987).

Bei einem Einleitungsbeschluß handelt es sich lediglich um eine prozeßleitende Verfügung, die der Durchführung eines Disziplinarverfahrens vorauszugehen hat (vgl. VfSlg. 10944/1986, 11350/1987, 11448/1987).

Durch den Einleitungsbeschluß kann sich der Disziplinarbeschuldigte Klarheit darüber verschaffen, welcher disziplinäre Vorwurf gegen ihn erhoben wird, wenngleich dadurch eine spätere "Erweiterung" der Anschuldigungspunkte nicht ausgeschlossen wird (vgl. VfSlg. 9425/1982). Dem Einleitungsbeschluß kommt daher nicht die Funktion einer Anklageschrift nach der StPO zu, was aber unter dem Aspekt des Art90 Abs2 B-VG entgegen der Meinung des Beschwerdeführers verfassungsrechtlich schon deshalb unbedenklich ist, weil es sich bei einem Disziplinarverfahren nicht um ein Strafverfahren im Sinne dieser Verfassungsbestimmung handelt. Die Anhörung des Kammeranwaltes vor Fassung des Einleitungsbeschlusses dient dabei lediglich der Information des Disziplinarrates über die Auffassung des Kammeranwaltes. Eine Verletzung des "Prinzips der Waffengleichheit", wie sie vom Beschwerdeführer behauptet wird, kann demnach durch die bloße Anhörung des Kammeranwaltes nicht eintreten.

Der Disziplinarrat wird bei der Entscheidung des Disziplinarfalles aufgrund des Einleitungsbeschlusses auch nicht bereits präjudiziert.

(siehe auch E v 13.10.90, B1661/88).

Keine Präjudizialität des §23 RL-BA 1977 im vorliegenden Verfahren, weil sich die Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Vorlage der Handakten nicht aus einem Auftrag der Rechtsanwaltskammer, sondern aus der von ihm selbst eingegangenen Verpflichtung (Einverständnis zur Prüfung seiner Honorarverrechnung durch den Ausschuß) herleitet.

Es ist nach Meinung des Verfassungsgerichtshofes durchaus vertretbar, in der gerichtlichen Geltendmachung einer Honorarforderung durch einen Rechtsanwalt ein gegen Ehre und Ansehen des Standes verstoßendes Vorgehen zu erblicken, wenn er zuvor die Zustimmung zu einem gütlichen Beilegungsverfahren durch den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer ausdrücklich erklärt hat; der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes und wegen eines Verstoßes gegen die Berufspflichten, weil er sich ohne erkennbaren Grund an seine Zusage nicht gehalten hat, kann der Verfassungsgerichtshof aus der Sicht verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte nicht entgegentreten. Gleiches gilt hinsichtlich der Verurteilung wegen Verletzung der Berufspflichten aufgrund der in diesem Zusammenhang vorgeworfenen Nichtvorlage des Handaktes an die Rechtsanwaltskammer.

Der disziplinäre Vorwurf gegen den beschwerdeführenden Rechtsanwalt zielt ausschließlich darauf ab, daß es eines Anwaltes unwürdig sei, sich in der Aufmachung eines Dressmans der Medienöffentlichkeit zu präsentieren. Der Verfassungsgerichtshof kann nicht finden, daß der belangten Behörde mit der Beurteilung dieses Verhaltens als einem Rechtsanwalt unwürdig und damit als gegen Ehre und Ansehen des Standes verstoßend ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen sei.

(siehe auch E v 13.10.90, B1661/88).

Teilweise Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtsverletzung infolge Anlaßfallwirkung der teilweisen Feststellung der Gesetzwidrigkeit des §45 RL-BA 1977 mit E v 27.09.90, V95,96/90.

(siehe auch E v 13.10.90, B1661/88).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Kollegialbehörde, Geschäftsverteilung, Behördenzusammensetzung, Anklageprinzip, Waffengleichheit (Strafprozeß), Berufsrecht Rechtsanwälte, VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B1660.1988

Dokumentnummer

JFR_10099073_88B01660_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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