RS Vfgh 1991/6/26 A39/85

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Veröffentlicht am 26.06.1991
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82 Gesundheitsrecht
82/06 Krankenanstalten, Kurorte

Norm

B-VG Art137 / Klage zw Gebietsk
KRAZAF-ErrichtungsG §15 Abs3 und Abs4
Voranschlags- und RechnungsabschlußV
UOG §1
F-VG 1948 §2
KrankenanstaltenkostenrechnungsV §2
KAG §27 Abs1
KAG §27 Abs3
KAG §28 Abs1
KAG §55
KAG §55 Z2
KAG §58
KAG §59a
Wr KAG 1987 §44 Abs1
Wr KAG 1987 §44 Abs5
Wr KAG 1987 §46
JN §96
ZPO §43 Abs2
ZPO §232 f
ZPO §273 Abs1

Leitsatz

Teilweise Stattgebung einer Klage der Stadt Wien gegen den Bund auf Ersatz des tatsächlichen "klinischen Mehraufwandes" im AKH für die Jahre 1982, 1983 und 1984; Ermittlung des klinischen Mehraufwandes durch einen Vergleich der Kosten des AKH mit anderen Wiener Spitälern; Festsetzung eines nicht durch Lehre und Forschung verursachten Anteils an den Mehrkosten durch den Verfassungsgerichtshof nach dessen freier Überzeugung; Abweisung der Widerklage des Bundes als unbegründet

Rechtssatz

Klage und Widerklage sind zulässig.

Die klagende Stadt Wien und der widerklagende Bund machen vermögensrechtliche Ansprüche jeweils gegen die andere Gebietskörperschaft geltend. Sie berufen sich dabei auf §55 Z2 KAG, eine Bestimmung finanzausgleichsrechtlichen Inhaltes.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Widerklage sind gegeben; die Widerklage steht mit der Klage in engem Sachzusammenhang.

Gemäß §55 Z2 KAG hat der Bund dem Spitalserhalter die Mehrkosten zu ersetzen, die sich beim Betrieb der zugleich dem Unterricht an medizinischen Fakultäten dienenden öffentlichen Krankenanstalten aus den Bedürfnissen des Unterrichtes ergeben.

Unstrittig ist dem Grunde nach, daß sich beim Betrieb des AKH, dessen Abteilungen zugleich dem Bund als Universitätskliniken dienen, derartige, vom Bund der Stadt Wien zu ersetzende Mehrkosten ("klinischer Mehraufwand") ergeben.

Die Klage der Stadt Wien geht von jener Berechnungsmethode aus, die der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 2604/1953 entwickelt hat, nämlich von einem Vergleich der auf der Grundlage der Rechnungsabschlüsse nach der Voranschlags- und RechnungsabschlußV, BGBl. 159/1983, berechneten Nettoausgaben von 15 (anderen) Wiener städtischen Krankenanstalten und jenen des AKH.

Der Bund brachte gegen die Stadt Wien eine Widerklage ein. Der klinische Mehraufwand sei anders zu berechnen; im AKH entstünden insbesondere deswegen höhere Kosten, weil es eine (nicht auf die Bedürfnisse des Unterrichts zurückzuführende) höhere medizinische Leistungskraft als die Vergleichsspitäler aufweise. Wenn dies berücksichtigt werde, habe der Bund für die Jahre 1982 bis 1984 der Stadt Wien unter dem Titel "klinischer Mehraufwand" höhere als die gesetzlich vorgeschriebenen Beträge überwiesen. Diese Überzahlungen werden rückgefordert.

Unter "Bedürfnissen des Unterrichtes" iSd §55 Z2 KAG ist nicht nur die universitäre Lehre, sondern auch die in den Kliniken durchgeführte universitäre Forschung zu verstehen:

Die Universitäten sind nach §1 Abs1 UOG berufen, der wissenschaftlichen Forschung und Lehre zu dienen. Auch nach §1 Abs2 litb UOG gehört die Verbindung von Forschung und Lehre zu den leitenden Grundsätzen für die Tätigkeit der Universitäten. Dementsprechend wird im AKH untrennbar verbunden universitäre Lehre und Forschung betrieben.

Aus §2 F-VG 1948 ergibt sich, daß der Bund den Aufwand für die Lehre und die Forschung zu tragen hat, sofern die zuständige Gesetzgebung nichts anderes bestimmt. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, daß der Gesetzgeber durch die Formulierung des §55 KAG ("... aus den Bedürfnissen des Unterrichtes ...") den Aufwand der nicht ausdrücklich genannten universitären Forschung auf die Länder überwälzen wollte.

Unter universitärer Lehre ist das Weitergeben der Ergebnisse der Forschung an Universitätsstudenten zu verstehen, nicht aber sonstiger Unterricht, wie er an Krankenanstalten stattfindet, etwa die Ausbildung von Krankenpflegepersonal an Schwesternschulen.

Als universitäre Forschung ist jedenfalls die Grundlagenforschung und auch jene Forschung zu bezeichnen, die über die in Zentralkrankenanstalten nötige und übliche hinausgeht.

In §55 KAG ist ausdrücklich von Mehrkosten die Rede. Es ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber jenen Kostenbegriff meint, den die Betriebswirtschaftslehre entwickelt hat. Während bei der Bestimmung der Ausgaben nach dem Rechnungswesen der Gebietskörperschaften kein Zusammenhang zwischen den erbrachten Leistungen und den Ausgaben hergestellt wird, soll mit dem betriebswirtschaftlichen Kostenbegriff der Verbrauch sämtlicher Güter und Dienste erfaßt werden, der für die Erbringung der Leistung des jeweiligen Betriebes erforderlich ist. Hiezu sind die Ausgaben - unabhängig von dem Zeitpunkt, zu dem sie tatsächlich getätigt werden - jener Periode zuzurechnen, in der die jeweilige Leistung (Krankenbehandlung bzw. universitäre Lehre und Forschung) erbracht wurde.

Die (gemäß §58 und §59a KAG erlassene) KrankenanstaltenkostenrechnungsV, BGBl. 328/1977, bestimmt nach dem Sachverständigengutachten einen zur Erfassung der (wertmäßigen) Kosten geeigneten Kostenbegriff (vgl. §2).

Sowohl im AKH als auch in den Vergleichsspitälern werden die Kosten nach der KrankenanstaltenkostenrechnungsV erfaßt und in einheitlichen Kostennachweisen ausgewiesen, sodaß eine einheitliche Datenbasis besteht.

Der klinische Mehraufwand kann nur durch einen Vergleich der Kosten des AKH mit jenen anderer Wiener Spitäler ermittelt werden. Dabei wird davon ausgegangen, daß jeder kostenmäßig erfaßbare Güterverbrauch im AKH gleichzeitig beiden Leistungen (Krankenbehandlung und Unterricht) dient und das Ausmaß der Kosten des Unterrichtes, also der (tatsächliche) klinische Mehraufwand, in den relativ höheren Kosten des AKH gegenüber jenen der Vergleichsspitäler sichtbar wird. Vom Sachverständigen wurden für diesen Vergleich 16 Krankenanstalten der Gemeinde Wien ausgewählt.

Die Vergleichsrechnung des Sachverständigen zeigt, daß eine Behandlung im AKH pro Tag im Schnitt mehr als doppelt so teuer ist wie in den Vergleichsspitälern.

Ein höherer Pflegegebührensatz für das AKH (vgl. §27 Abs1 und Abs3, §28 Abs1 KAG; §44 Abs1 und Abs5, §46 Wr KAG 1987) ist nicht geeignet, einen Anhaltspunkt für die Höhe des klinischen Mehraufwandes bzw. für die Quantifizierung der höheren medizinischen Leistungskraft des AKH zu liefern. Bei Berechnung der kostendeckenden Pflegegebühren wurde der vom Bund bereits entrichtete klinische Mehraufwand von den Kosten abgezogen. Jener Anteil des tatsächlichen klinischen Mehraufwandes, der durch den vom Bund unter dem Titel "klinischer Mehraufwand" entrichteten Betrag nicht gedeckt ist, hat somit in die Höhe der Pflegegebühren Eingang gefunden.

Die Verteilung der Zuschüsse gemäß §15 Abs3 und Abs4 KRAZAF-ErrichtungsG, BGBl 454/1978, entsprechend verschiedenen Versorgungsstufen und Gewichtungsfaktoren (lediglich das AKH gehört der Versorgungsstufe 1 - Zentralversorgung - an) liefert ein Indiz dafür, daß es Unterschiede in der medizinischen Leistungskraft zwischen den Spitälern gibt, dem AKH insoweit eine besondere Stellung zukommt und aus dieser höheren Leistungskraft höhere Kosten resultieren.

Der Sachverständige geht von der Prämisse aus, die gesamte von ihm errechnete Differenz zwischen den tatsächlichen Kosten des AKH und den durchschnittlichen Kosten der Wiener Vergleichsspitäler sei als klinischer Mehraufwand zu qualifizieren.

Der Verfassungsgerichtshof folgt - mit Ausnahme einer vorzunehmenden Korrektur der Höhe des Pensionsaufwandes für das Bundespersonal und der Einbeziehung der Pensionslast der Gemeinde - dem Rechenwerk des Sachverständigen.

Das Verfahren hat aber mehrere Umstände ergeben, die zweifelsfrei höhere Kosten beim AKH als bei den Wiener Vergleichsspitälern bewirken, die keinesfalls ausschließlich oder zumindest überwiegend ihre Ursache im Unterricht haben (wie insbesondere die gehäufte Erbringung medizinischer Spitzenleistungen im AKH und dessen höhere medizinische Leistungskraft, die geringere Auslastung der Bettenkapazität des AKH, die besondere Inanspruchnahme der Ambulanzen des AKH, die kürzere Verweildauer, die ungünstige Betriebsgröße und die ungünstige bauliche Struktur).

Da in der vom Sachverständigen aufgestellten Berechnung auch solche Kosten enthalten sind, die nicht durch die Bedürfnisse der Lehre und Forschung verursacht wurden und daher nicht als klinischer Mehraufwand iS des §55 Z2 KAG zu qualifizieren sind, hat der Verfassungsgerichtshof deren Anteil am errechneten Differenzbetrag gemäß §273 Abs1 ZPO nach freier Überzeugung festzusetzen.

Es liegt in der Natur der von §273 Abs1 ZPO dem Gericht eingeräumten Ermessensübung, daß der festgesetzte Betrag einer ins einzelne gehenden Begründung nicht zugänglich ist, sondern auf einer zusammenfassenden Bewertung aller im Verfahren vorgebrachten Argumente beruht.

Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes ist ein Drittel der Mehrkosten des AKH nicht auf den klinischen Mehraufwand zurückzuführen.

Der vom Sachverständigen errechnete klinische Mehraufwand ist sohin um ein Drittel zu verringern. Ferner sind jene Beträge abzuziehen, die der Bund für das AKH in den fraglichen Jahren bereits geleistet hat.

Die vom Bund erhobene Widerklage erweist sich als unberechtigt.

Da die klagende Stadt Wien mit nahezu genau der Hälfte des Gesamtstreitwertes (Teilzuspruch des Klagsbetrages und Abweisung der Widerklage) obsiegt hat, sind die Kosten gegeneinander aufzuheben. Obwohl der Zuspruch des Betrages an die klagende Partei von der Ausmittlung durch einen Sachverständigen abhängig war und schließlich unter Anwendung des §273 Abs1 ZPO erfolgt, wird §43 Abs2 ZPO iVm §35 VfGG nicht angewendet, weil die klagende Partei nur mit etwa 10 Prozent ihres Klagebegehrens durchdringt und somit offensichtlich überklagt hat.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Klagen, Krankenanstalten, klinischer Mehraufwand, Hochschulen, Pflegegebühren, Finanzausgleich, VfGH / Sachverständige, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:A39.1985

Dokumentnummer

JFR_10089374_85A00039_3_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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