RS Vfgh 1991/12/13 G280/91, G281/91, G325/91

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 13.12.1991
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Index

24 Strafrecht
24/01 Strafgesetzbuch

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art55 Abs1
B-VG Art94
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
MRK Art6 Abs1 / Allg
MRK Art6 Abs1 / Strafrecht
MRK Art7 Abs1
KriegsmaterialG §1 Abs1
KriegsmaterialG §2
KriegsmaterialG §3 Abs1
VfGG §62 Abs1 zweiter Satz
StGB §320 Abs1 Z3

Leitsatz

Abweisung der Gesetzesprüfungsanträge des OGH zur Prüfung der Strafbarkeit der Ausfuhr von Kampfmitteln aus dem Inland nach dem StGB sowie verschiedener Bestimmungen des KriegsmaterialG; fehlende Präjudizialität der Bestimmungen über die Durchfuhr von Kampfmitteln; keine ausreichende Darlegung der Bedenken durch die Verweisung auf ein nicht beigeschlossenes Rechtsgutachten; keine verfassungswidrige Unbestimmtheit der Bestimmung über die Strafbarkeit der Ausfuhr von Kampfmitteln aus dem Inland; keine Blankettstrafnorm und keine dynamische Verweisung; keine verfassungswidrige formalgesetzliche Delegation der Verordnungsermächtigung zur Bestimmung des Begriffs "Kriegsmaterial" nach dem "jeweiligen Stand der militärtechnischen Entwicklung" im KriegsmaterialG

Rechtssatz

Die den beiden gegen §320 Abs1 Z3 StGB gerichteten Gesetzesprüfungsanträgen zugrundeliegenden Verfahren haben lediglich die Ausfuhr von Kampfmitteln (und nicht auch deren Durchfuhr durch das Inland) iS des §320 Abs1 Z3 StGB betroffen und deshalb ist nur die darin enthaltene Wortgruppe "aus dem Inland ausführt oder" präjudiziell.

Ebenso ist bei §1 Abs1 und Abs2 sowie bei §7 Abs3

KriegsmaterialG die Präjudizialität nur hinsichtlich des Wortteiles ", Aus-", bei §7 Abs1 KriegsmaterialG nur hinsichtlich des Wortteiles ", aus-" gegeben. Das beim Obersten Gerichtshof angefochtene Urteil des Erstgerichtes, soweit es Schuldsprüche wegen Vergehens nach dem KriegsmaterialG zum Inhalt hat, betrifft lediglich Vergehen nach §7 Abs1, nicht aber auch solche nach §7 Abs2 dieses Gesetzes.

Soweit in der Begründung der Anträge des Obersten Gerichtshofes auf ein Rechtsgutachten verwiesen, aber nicht etwa durch Wiedergabe seines Wortlautes oder durch Beischluß als Anlage zum Inhalt der Begründung der Anträge des Obersten Gerichtshofes gemacht wird, wird mit diesen Verweisungen dem Gebot des §62 Abs1 zweiter Satz VfGG, die gegen die Verfassungsmäßigkeit des angefochtenen Gesetzes sprechenden Bedenken im einzelnen darzulegen, nicht entsprochen, sodaß dem Verfassungsgerichtshof ein Eingehen auf die in jenem Gutachten enthaltenen Ausführungen verwehrt ist.

Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung den gesetzestechnischen Vorgang der äußeren Trennung von Tatbild und Strafdrohung, wie er für Blankettstrafnormen kennzeichnend ist, als verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet. Er hat es freilich auch bei Blankettstrafnormen als unerläßlich angesehen, daß der Tatbestand durch das Gesetz mit genügender Klarheit als Verbotsnorm und damit als strafbarer Tatbestand gekennzeichnet ist; daß ferner, wenn der strafbare Tatbestand im Zuwiderhandeln gegen eine Gebotsnorm besteht, der Unrechtsgehalt eines Unterlassens eindeutig erkennbar ist; daß schließlich der Tatbestand einer Blankettstrafnorm mit solcher Deutlichkeit gekennzeichnet sein muß, daß jedermann ihn als solchen zu verstehen vermag (mit umfangreicher Vorjudikatur).

Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung zwar dynamische Verweisungen auf Normen eines anderen Rechtsetzungsorganes als verfassungswidrig erachtet, dynamische Verweisungen auf Normen desselben Rechtsetzungsorganes jedoch als (grundsätzlich) verfassungsrechtlich zulässig angesehen; dies freilich unter der Voraussetzung, daß in der verweisenden Norm das Verweisungsobjekt ausreichend bestimmt festgelegt ist.

Die in §320 Abs1 Z3 StGB enthaltene Verweisung bezieht sich ausschließlich auf Rechtsvorschriften, die in Ergänzung des in §320 Abs1 Z3 StGB normierten Tatbildes der "Neutralitätsgefährdung" ausdrücklich die Ausfuhr (und die Durchfuhr) von Kampfmitteln an eine der Parteien eines Krieges oder bewaffneten Konfliktes beschränken. Diese Beschränkung muß die Ausfuhr als solche (und nicht bloß hinsichtlich ihrer Modalitäten, wie etwa der Transportsicherheit im technischen Sinn) und auf eine Weise betreffen, daß der dem Schutzzweck dieses Tatbildes der "Neutralitätsgefährdung" dienende Charakter der Norm hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt.

Für die Tatbildlichkeit des durch §320 Abs1 Z3 StGB mit Strafe bedrohten Handelns kommt es somit auf ein Zuwiderhandeln gegen allfällige, ausdrücklich die Ausfuhr (und die Durchfuhr) von Kampfmitteln in der dargelegten Weise spezifisch beschränkende Rechtsvorschriften an, nicht aber auf einen Verstoß gegen sonstige (zB gewerbe-, außenhandels- oder sicherheitskontrollrechtliche) Vorschriften, die bei der Ausfuhr (und der Durchfuhr) von Kampfmitteln (gegebenenfalls auch) einzuhalten sind. Die in §320 Abs1 Z3 StGB enthaltene Verweisung, die sich auf Normen des Bundesgesetzgebers, also desselben Rechtsetzungsorganes bezieht und insofern jedenfalls verfassungsrechtlich unbedenklich ist, ist nicht in verfassungswidriger Weise unbestimmt.

Die Bestimmung des §320 Abs1 Z3 StGB ist nicht wegen ihres Charakters als Blankettstrafnorm und als dynamische Verweisung in einer dem Art7 Abs1 MRK bzw. dem Art18 Abs1 B-VG

widersprechenden Weise unbestimmt.

§320 Abs1 Z3 StGB gestattet die verfassungskonforme Auslegung der in dieser Vorschrift enthaltenen Wortgruppe "entgegen den bestehenden Vorschriften" in dem Sinn, daß bei Vorliegen eines Bewilligungsbescheides nach den §1 Abs1 und §3 Abs1 KriegsmaterialG (nur) die durch diesen Bescheid gedeckte Ausfuhr (bzw. Durchfuhr) von Kampfmitteln in das bescheidmäßig festgelegte Bestimmungsland das Tatbild des §320 Abs1 Z3 StGB - trotz des Vorliegens sonstiger Tatbildmerkmale - nicht erfüllt.

Bei dem hier zugrundegelegten Verständnis des §320 Abs1 Z3 StGB ist den in den Gesetzesprüfungsanträgen (nicht unter dem Gesichtspunkt der Verfassungswidrigkeit, aber) unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung aufgezeigten Bedenken und dem gleichfalls aufgezeigten - aber nicht konkret geltend gemachten - Bedenken einer Verletzung des Grundsatzes der Trennung der Justiz von der Verwaltung (Art94 B-VG) der Boden entzogen. Vor allem aber kann jedenfalls bei diesem Normverständnis nicht mit Grund gesagt werden, daß §320 Abs1 Z3 StGB auch deshalb nicht die durch Art6 und Art7 MRK sowie durch Art18 Abs1 B-VG geforderte Bestimmtheit und Einsehbarkeit aufweise.

Für die Beurteilung, ob die in einzelnen Fällen nicht leicht zu ziehende Grenze zwischen einer noch ausreichenden materiellen Bestimmtheit des Gesetzes und einer (verfassungswidrigen) formalen Delegation nicht überschritten ist, kommt es darauf an, ob die mit Verordnung getroffene (Durchführungs-)Regelung auf ihre inhaltliche Gesetzmäßigkeit überprüft werden kann. Dabei sind in Ermittlung des Inhaltes des Gesetzes alle zur Verfügung stehenden (Auslegungs-)Möglichkeiten auszuschöpfen: Nur wenn sich nach Heranziehung aller Interpretationsmethoden immer noch nicht beurteilen läßt, was im konkreten Fall rechtens ist, verletzt die Norm die in Art18 B-VG statuierten rechtsstaatlichen Erfordernisse. Ob eine Norm dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot entspricht, richtet sich im übrigen nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach ihrer Entstehungsgeschichte, dem Gegenstand und dem Zweck der Regelung. Daß sich in Einzelfällen bei der Interpretation Schwierigkeiten ergeben, macht die Regelung noch nicht - im Hinblick auf Art18 B-VG - verfassungswidrig.

Der Umstand, daß die Erlassung einer Verordnung gemäß §2 KriegsmaterialG (iS des Art55 Abs1 B-VG) an das Einvernehmen mit dem Hauptausschuß des Nationalrates geknüpft ist, ändert nichts daran, daß das durchzuführende Gesetz iS des Art18 Abs2 B-VG inhaltlich hinreichend bestimmt sein muß.

Durch die nicht an den einzelnen, sondern ausschließlich an den Verordnungsgeber gerichtete Vorschrift des §2 KriegsmaterialG ist der Begriff "Kriegsmaterial" derart umschrieben, daß er durch den Verordnungsgeber in einer am Gesetz nachprüfbaren Weise inhaltlich bestimmt werden kann, daß demnach §2 KriegsmaterialG den Anforderungen des Art18 Abs2 B-VG noch genügt.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Bedenken, Verwaltungsstrafrecht, Blankettstrafnorm, Auslegung verfassungskonforme, Strafrecht, Kriegsmaterial, Verweisung dynamische, Determinierungsgebot, Ausfuhr (Kriegsmaterial), Verweisung auf anderen Schriftsatz, Delegation formalgesetzliche, Gerichtsbarkeit Trennung von der Verwaltung, Gewaltentrennung, Neutralitätsgefährdung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:G280.1991

Dokumentnummer

JFR_10088787_91G00280_2_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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