RS Vfgh 1999/2/24 B416/98

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 24.02.1999
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Index

16 Medienrecht
16/02 Rundfunk

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art10
EMRK Art10 Abs2
BVG-Rundfunk ArtI Abs3
RundfunkG §2a
RundfunkG §27
MedienG §7a

Leitsatz

Keine Verletzung im Gleichheitsrecht und im Recht auf Informationsfreiheit durch Feststellung einer Verletzung des RundfunkG durch einen Bericht über ein drogenabhängiges, minderjähriges Opfer sexuellen Mißbrauchs im Fernsehen ohne entsprechende optische und akustische Unkenntlichmachung der Betroffenen; keine zu weite Auslegung des RundfunkG in Anlehnung an das MedienG; verfassungskonforme Interessenabwägung zwischen dem allgemeinen Informationsbedürfnis und dem Recht auf Persönlichkeitsschutz von Jugendlichen in besonders fatalen Lebenssituationen; Unverzichtbarkeit des Rechts auf Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde der solcherart Betroffenen

Rechtssatz

Keine Verletzung im Gleichheitsrecht und im Recht auf Informationsfreiheit durch Feststellung einer Verletzung des §2a RundfunkG durch einen Bericht über ein drogenabhängiges, minderjähriges Opfer sexuellen Mißbrauchs ohne entsprechende optische und akustische Unkenntlichmachung der Betroffenen. Partiell gleicher Regelungsansatz in §7a MedienG und §2a RundfunkG.

Es verstößt daher gegen §2a Abs1 RundfunkG, die vor der Rundfunkkommission beschwerdeführende Jugendliche "in einer sie (bildlich und akustisch) erkennbaren Weise" in Zusammenhang mit Geheimprostitution, früherem Drogenkonsum bzw. immer noch aktueller Drogengefährdung zu bringen.

Die genannte Bestimmung, durch welche - allerdings auf einfachgesetzlicher Ebene - gleichsam eine Drittwirkung der Grundrechte mit Bezug auf alle Sendungen des ORF statuiert und die Achtung der Menschenwürde postuliert wird, läßt es jedenfalls als zulässig erscheinen, bei der Abwägung des allgemeinen Informationsbedürfnisses gegenüber dem Recht auf Persönlichkeitsschutz jugendlicher Personen, die "in fatale Lebenssituationen verstrickt sind", den Interessen der betroffenen Jugendlichen ein besonders hohes Gewicht beizumessen.

In Berücksichtigung dieser zulässigen grundsätzlichen Wertung kann der belangten Behörde aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn sie zur Abwehr der Gefährdung eines Therapieerfolges einer allfälligen Zustimmung zu einer unverzerrten und unverstellten Reportage unter den konkreten Umständen des Falles kein maßgebliches Gewicht beimaß, sondern das Recht auf Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde einer in Therapie stehenden und besonderer "sozialer Adjuvanz bedürfenden" Minderjährigen als unverzichtbar einstufte.

Keine zu weite Auslegung des §2a RundfunkG in Anlehnung an §7a MedienG.

Art10 Abs2 EMRK ermächtigt im Hinblick auf die mit der Ausübung der freien Meinungsäußerung verbundenen Pflichten und Verantwortung unter den in Abs2 des Art10 EMRK näher bestimmten Voraussetzungen den Gesetzgeber dazu, Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen zu erlassen. Als Sanktion kann unter diesen Voraussetzungen ohne Zweifel ebenso eine zivilrechtliche Haftung wie auch die Feststellung einer Verletzung des RundfunkG durch die Rundfunkkommission gemäß §27 RundfunkG in Betracht kommen (vgl. etwa VfSlg. 7897/1976, 8579/1979, 8581/1979, 12.022/1989 und zuletzt etwa VfGH 24.6.1998, B2676/97). Dies zumal unter Bedachtnahme auf ArtI Abs3 des BVG über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks; wenn nämlich diese Verfassungsbestimmung den Rundfunk gemäß Abs1 dieser Bestimmung zur öffentlichen Aufgabe erklärt, wird damit ein besonderes öffentliches Interesse im Sinne der Ziele des Art10 Abs2 EMRK positiviert und es werden damit auch spezifische Sanktionen - hier die Möglichkeit der Feststellung der Rundfunkkommission - zugelassen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Rundfunk, Beschwerdeverfahren, Medienrecht, Meinungsäußerungsfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B416.1998

Dokumentnummer

JFR_10009776_98B00416_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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