RS Vfgh 2004/10/15 B304/04

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Veröffentlicht am 15.10.2004
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art7
DSt 1990 §1, §16 Abs6
KO §1
RL-BA 1977 §10
StGB §34 Abs2

Leitsatz

Feststellung einer Verletzung des Rechts auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist iSd Europäischen Menschenrechtskonvention durch überlange Verfahrensdauer im Disziplinarverfahren gegen einen Rechtsanwalt und Steuerberater wegen Verletzung von Standespflichten iZm einem Konkursverfahren; keine Verletzung des Klarheitsgebotes, kein Entzug des gesetzlichen Richters, keine Willkür

Rechtssatz

Keine Verletzung des Klarheitsgebotes des Art7 EMRK.

Der angefochtene Bescheid begnügt sich nicht mit einem pauschalen Verweis auf die allgemein gefasste Bestimmung des §1 DSt 1990 oder mit Rechtsprechungshinweisen. Er stützt sich vielmehr auf den - die Standespflichten präzisierenden - §10 RL-BA (betreffend die Treuepflicht des Rechtsanwalts zu seiner Partei) sowie auf die Regelungen der Konkursordnung (im Folgenden: KO) zur Zulässigkeit der Verfügung über die Konkursmasse nach Konkurseröffnung.

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Der vom Beschwerdeführer angesprochene Umstand, dass ein und derselbe Sachverhalt sowohl als Disziplinarvergehen nach dem DSt 1990 als auch als Disziplinarvergehen nach dem Berufsrecht der Wirtschaftstreuhänder beurteilt werden könne, vermag nicht darzutun, dass der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien unzuständig wäre, dieses Verhalten (allenfalls kumulativ) - unter dem Blickwinkel der besonderen Standesregeln für Rechtsanwälte - zu beurteilen. Der Umstand, dass ein Rechtsanwalt aufgrund seiner Eigenschaft als Wirtschaftstreuhänder zusätzlichen Berufspflichten unterliegt, bewirkt keine Änderung in den Zuständigkeiten der Disziplinarbehörden. Im Beschwerdefall ist auch nicht hervorgekommen, dass die Disziplinarbehörden ihre Zuständigkeit überschritten oder den Beschwerdeführer sonst in seinem gemäß Art83 Abs2 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt hätten.

Keine Willkür.

Die inkriminierte Rechtshandlung wurde erst nach Konkurseröffnung gesetzt. Das Beschwerdevorbringen ist daher von vornherein nicht geeignet, die Beurteilung der belangten Behörde, wonach der Beschwerdeführer versucht habe, "unrechtmäßig auf konkursverfangenes Vermögen zu greifen, über welches gemäß §1 KO mit Ausnahme des Masseverwalters niemandem mehr rechtmäßig eine Verfügung zusteht", als willkürlich darzustellen.

Feststellung einer Verletzung des Rechts auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist iSd Europäischen Menschenrechtskonvention durch überlange Verfahrensdauer.

Der Beginn der zu beurteilenden Verfahrensdauer berechnet sich mit jenem Zeitpunkt, in dem der Beschwerdeführer (hier: im Wege der Aufforderung des Untersuchungskommissärs zur Äußerung) Kenntnis von der gegen ihn eingeleiteten Untersuchung erlangt hat. Hier: keine angemessene Verfahrensdauer unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Kriterien.

Der angefochtene Bescheid war nur im Umfang des Strafausspruchs aufzuheben, weil die festgestellte Rechtsverletzung den Ausspruch über die Schuld unberührt lässt und eine Änderung nur im Rahmen der Strafbemessung gemäß §16 Abs6 DSt 1990 (arg "insbesondere") in Betracht kommt, insbesondere durch verfassungskonforme Berücksichtigung der überlangen Verfahrensdauer als Milderungsgrund unter sinngemäßer Anwendung des §34 Abs2 StGB (vgl VfSlg 16385/2001).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Behördenzuständigkeit, Insolvenzrecht, Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, Strafrecht, Strafbemessung, Verfahrensdauer überlange, Entscheidung in angemessener Zeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B304.2004

Dokumentnummer

JFR_09958985_04B00304_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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