TE Vfgh Erkenntnis 1981/6/12 B71/77

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Veröffentlicht am 12.06.1981
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
AVG §63

Leitsatz

AVG 1950; Erfordernisse einer Berufung; kein Entzug des gesetzlichen Richters durch Zurückweisung einer Berufung als verspätet

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Mit Bescheid der Agrarbezirksbehörde Stainach (Stmk.) vom 9. Dezember 1974, Z 2 D 3/176-1974, wurde ein am 8. August 1973 von den Eheleuten W. und M. K. gestellter Antrag auf Einräumung eines land- und forstwirtschaftlichen Bringungsrechtes für die Errichtung einer Zufahrt zu ihrem Flurstück 414 der Katastralgemeinde D. gemäß §§2 Abs1 Z2, 3 Abs1 Z3 (§19) des Gesetzes vom 7. Oktober 1969 über land- und forstwirtschaftliche Bringungsrechte (Stmk. Güter- und Seilwege-Landesgesetz - GSLG 1969), LGBl. 21/1970, abgewiesen.

In der Begründung dieses Bescheides wurde ua. wörtlich ausgeführt:

"Nach dem Gutachten des Amtssachverständigen besteht keine wirtschaftliche Notwendigkeit, bei der Erschließung des 0,8441 ha großen Waldgrundstücks Nr. 414 der Antragsteller fremden Grund in Anspruch zu nehmen, da der Forstaufschließungsweg auch das zu erschließende Grundstück durchschneidet und die Trassenführung über das Flurstück Nr. 413 keine wirtschaftlichen Vorteile bewirkt bzw. die fallweise und mengenmäßig geringfügige Holzbringung ohne große Schwierigkeiten im Rückverfahren aus dem Wald zum Forstweg in zumutbarer Weise möglich ist. Ferner entsteht bei Benützung des Eigengrundes für den Viehtrieb keine nennenswerte Verlängerung des Triebweges."

1.1.2. Mit Bescheid der Agrarbezirksbehörde Stainach (ebenfalls) vom 9. Dezember 1974, Z 2 D 3/175-1974, wurde ein Übereinkommen zwischen W. K. und der Waldgenossenschaft D.-N. aus dem Jahr 1963 über die Höhe der Entschädigung für die Einräumung eines Bringungsrechtes auf den Grundstücken der Eheleute W. und M. K. (412 und 414 der KG D.) zugunsten dieser Genossenschaft gemäß §§2 Abs4 und 7 Abs1 GSLG 1969 argarbehördlich genehmigt und zugleich gemäß §7 Abs2 GSLG 1969 festgestellt, daß ein Pauschalbetrag von S 1.200,- dem Ertragswert der durch den Weg in Anspruch genommenen Grundfläche sowie dem Verkehrswert von zwei zu entfernenden Obstbäumen im Zeitpunkt der Bezahlung (1963) angemessen gewesen sei.

Die Begründung dieses Bescheides lautet wörtlich:

"Das von den Parteien im gegenständlichen Bringungsrechtsverfahren geschlossene Übereinkommen konnte infolge Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen genehmigt werden. Überdies ist nach dem Gutachten des Amtssachverständigen der vereinbarte Entschädigungsbetrag von S 1.200,-, der sich aus einem Grundstückspreis von S 3,-/Quadratmeter und S 200,- pro Obstbaum zusammensetzt, als angemessen anzusehen.

Hinzuweisen ist, daß gemäß §10 Abs4 AVG 1950, der gemäß §1 AgrVG 1950 auch im Agrarverfahren Anwendung findet, bei der Verhandlung am 6. 9. 1963 kein Zweifel daran bestand, daß W.K. berechtigt war, für seine Gattin rechtsverbindliche Erklärungen abzugeben, dies umsomehr, nachdem dieser auch den gesamten Entschädigungsbetrag, also auch jenen Teil, der seiner Gattin gebührt hätte, ohne jeden Hinweis auf eine etwaige mangelnde Vertretungsbefugnis in Empfang genommen hat.

Im übrigen gründet sich der Bescheid auf die bezogenen Gesetzesstellen."

1.1.3. Die zu 1.1.1. und 1.1.2. bezeichneten Bescheide ergingen sowohl an W. als auch an M. K.

1.2.1. Eine an die Agrarbezirksbehörde Stainach gerichtete Eingabe der Eheleute K. vom 18. Dezember 1974 hat folgenden Wortlaut:

"W. u. M. K. O., am 18. 12. 1971

vlg. W.

O. 15, 8954 St. Martin

An die Agrarbezirksbehörde Stainach

2 D 3/175-1974

Betr.: Einspruch laut Bescheid.

In der Begründung wird angegeben, daß bei Benützung des Eigengrundes für den Viehtrieb keine nennenswerte Verlängerung des Triebweges erforderlich ist.

Dazu gebe ich folgendes bekannt:

Stellungnahme siehe beiliegende Skizze. Durch den Verkauf der Grundparzelle 413 wurde uns das Fahrrecht auf der Parzelle 413 genommen. Um das Grundstück 414 zu erreichen, müßten wir einen sehr weiten Umweg machen, der mit großen Schwierigkeiten verbunden wäre.

1) Der Hang müßte angeschnitten werden (Abrutschgefahr).

2) Durch diesen Umweg müßte auch ein fremdes Grundstück in Anspruch genommen werden (Grundablöse, Mehrausgaben).

3) Parkplatz des Herrn M.-M., Beschädigung der PKW. Diese Gefahr nehmen wir nicht auf uns.

4) An dieser Stelle befindet sich auch eine Klärgrube, daher unbefahrbar.

Wir bitten daher die Agrarbezirksbehörde um Mithilfe, damit wir unser altes Wegrecht auf der Parzelle 413 weiterhin benützen können.

Hochachtungsvoll

K. W., K. M."

1.2.2. Der Landesagrarsenat beim Amt der Stmk. Landesregierung wertete diese Eingabe - ungeachtet der darin aufscheinenden Z 2 D 3/175-1974 - als Berufung gegen den Bescheid der Agrarbezirksbehörde Stainach vom 9. Dezember 1974, Z 2 D 3/175-1974. Mit Bescheid vom 23. November 1976, Z 8-LAS 265 K 22/10-1976, wies er diese Berufung gemäß §66 Abs4 AVG 1950 in Verbindung mit §1 AgrVG 1950 als unbegründet ab.

1.3.1. In einem - als "Ergänzende Ausführungen zur Berufung" betitelten - Schriftsatz an die Agrarbezirksbehörde Stainach vom 17. Mai 1976 brachten W. und M. K. ua. vor, ihre Eingabe vom 18. Dezember 1974 sei als Berufung gegen beide Bescheide der Agrarbezirksbehörde Stainach vom 9. Dezember 1974, und zwar sowohl zur Zahl 2 D 3176-1974 als auch zur Zahl 2 D 3175-1974 aufzufassen.

1.3.2. Mit Erk. des Landesagrarsenates beim Amt der Stmk. Landesregierung vom 23. November 1976, Z 8-LAS 265 D 7/18-1976, wurde die "als Berufung (gegen den Bescheid der Agrarbezirksbehörde Stainach vom 9. Dezember 1974, Z 2 D 3/175-1974) zu wertende Eingabe (des W. und der M. K.) vom 17. Mai 1976" gemäß §66 Abs4 AVG 1950 in Verbindung mit §1 AgrVG 1950 "als verspätet eingebracht" zurückgewiesen.

In den Entscheidungsgründen dieses Erk. heißt es ua.:

"Gemäß §63 Abs5 AVG 1950 ist die Berufung von der Partei schriftlich oder telegrafisch binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides. Im Falle bloß mündlicher mit dieser.

Der angefochtene Bescheid wurde von den Berufungswerbern im Dezember 1974 übernommen. Die Berufung wurde erst im Mai 1976, somit lange nach Ablauf der Berufungsfrist (Dezember 1974) der Post zur Beförderung übergeben.

Der Auffassung der Berufungswerber, daß die seinerzeit inhaltlich gegen den Bescheid der Agrarbezirksbehörde Stainach vom 9. Dezember 1974, GZ 2 D 3/176-1974 (Bringungsrecht zugunsten der Ehegatten K. über Grundstück 413 der EZ 33 KG D.), erhobene Berufung auch eine Anfechtung des gegenständlichen angeführten Bescheides der Agrarbezirksbehörde Stainach vom 9. Dezember 1974, GZ 2 D 3/175-1974, beinhalte, kann nicht beigepflichtet werden, da die Berufung vom 18. Dezember 1974 keinerlei Hinweise auf die zugesprochene Geldentschädigung enthält und auch sinngemäß sich ein derartiges Vorbringen der Berufung nicht entnehmen läßt; die Berufungsausführungen zielen lediglich auf die Einräumung eines Bringungsrechtes ab.

Aus der offenbar irrtümlichen Anführung der OZ '175' in der Berufung vom 18. Dezember 1974 kann das Vorliegen einer Berufung gegen diesen Bescheid nicht abgeleitet werden.

Da die seinerzeitige Berufung vom 18. Dezember 1974 daher in diesem Verfahren außer Betracht zu bleiben hat, und das Rechtsmittel vom 17. Mai 1976 zu spät eingebracht wurde, war die Berufung nach den zwingenden Bestimmungen der eingangs zitierten Gesetzesstelle, ohne auf das materielle Vorbringen einzugehen und in der Sache selbst eine Entscheidung treffen zu können, als verspätet eingebracht zurückzuweisen."

1.4. Gegen dieses Erk. des Landesagrarsenates beim Amt der Stmk. Landesregierung richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des W. und der M. K. an den VfGH, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG), auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG) behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Gegen den angefochtenen Bescheid der Berufungsinstanz steht gemäß §7 Abs1 und 2 AgrarbehördenG 1950, BGBl. 1/1951, in der Fassung der Agrarbehördengesetznovelle 1974, BGBl. 476/1974, in Verbindung mit §19 Abs3 und 4 GSLG 1969 ein weiteres ordentliches Rechtsmittel nicht offen. Der Instanzenzug ist darum erschöpft.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2.2. Die Beschwerdeführer behaupten zunächst, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein.

2.2.1. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Behörde die Berufung zu Unrecht zurückgewiesen, also eine Sachentscheidung rechtswidrigerweise verweigert hätte (vgl. die ständige Rechtsprechung des VfGH: zB VfSlg. 5662/1968, 5893/1969, 6378/1971).

2.2.2. Für die in §63 Abs3 und 5 AVG 1950 statuierten Erfordernisse einer Berufung gilt zwar der Grundsatz, daß sie nach Ablauf der Berufungsfrist nicht nachgetragen werden können. Liegt aber eine Berufung vor, die diesen Anforderungen entspricht und daher zur Herbeiführung einer Sachentscheidung geeignet ist, so hat die Berufungsbehörde auch auf späteres neues Vorbringen der Partei - etwa in Form einer "Berufungsergänzung" - Bedacht zu nehmen und sich mit ihm auseinanderzusetzen (s. VwSlg. 227 A/1951, 5787 A/1962).

Da die beiden Beschwerdeführer ihren Schriftsatz vom 17. Mai 1976 als "Ergänzende Ausführungen zur Berufung" (vom 18. Dezember 1974) bezeichnen, war vorerst zu prüfen, ob sich diese Eingabe vom 18. Dezember 1974 tatsächlich (auch) als Berufung gegen den - hier maßgebenden - Bescheid der Agrarbezirksbehörde Stainach vom 9. Dezember 1974, Z 2 D 3/175-1974, darstellt.

Dies trifft nicht zu, denn in diesem Schriftsatz wird unmißverständlich nur die Unrichtigkeit eines ausdrücklich bezogenen Teiles der Begründung des Bescheides der Agrarbezirksbehörde Stainach vom 9. Dezember 1974, Z 2 D 3/176-1974 (vgl. die Bescheidbegründung

"... Ferner entsteht bei Benützung des Triebweges ..." und die Ausführungen des in Rede stehenden Schriftsatzes hiezu "... In der Begründung wird angegeben, daß bei Benützung des Eigengrundes für den Viehtrieb keine nennenswerte Verlängerung des Triebweges erforderlich ist ...") darzulegen gesucht - worin eine diesen Bescheid betreffende Berufungsbegründung iS des §63 Abs3 AVG 1950 zu erblicken ist -, aber mit keinem Wort auf Spruch oder Begründung des Bescheides dieser Behörde vom selben Tag Z 2 D 3/175-1974 Bezug genommen.

Die belangte Behörde war daher im Recht, wenn sie dem Schriftsatz vom 9. Dezember 1974 - dessen Inhalt die Absicht der Beschwerdeführer, bloß gegen den Bescheid zur Z 2 D 3/175-1974 zu berufen, unzweifelhaft erkennen läßt - ungeachtet der offensichtlich versehentlichen ziffernmäßigen Zitierung der Zahl 2 D 3/175-1974 nicht als gleichzeitige Berufung gegen den zweiten Bescheid der Agrarbezirksbehörde Stainach vom 9. Dezember 1974 in der Entschädigungsfrage (Z 2 D 3/175-1974) ansah.

Da also eine schon im Jahr 1974 - rechtzeitig - eingebrachte Berufung gegen den Bescheid der Agrarbezirksbehörde Stainach vom 9. Dezember 1974, Z 2 D 3/175-1974, entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht vorlag, konnte die Eingabe der beiden Beschwerdeführer vom 17. Mai 1976 auch keine "ergänzenden" Berufungsausführungen (dazu) enthalten. Der Schriftsatz (vom 17. Mai 1976) wurde daher von der belangten Behörde nach Inhalt und Zielsetzung zutreffend als selbständige Berufung gegen den bezeichneten Bescheid der Agrarbezirksbehörde Stainach vom 9. Dezember 1974, Z 2 D 3/175-1974, gewertet. Diese Berufung - gleichgültig, ob sie die sonstigen Erfordernisse iS des AVG 1950 erfüllt - war aber infolge Versäumung der gesetzlichen Berufungsfrist verspätet erhoben; sie wurde daher gesetzmäßig zurückgewiesen.

2.2.3. Demzufolge wurden die beiden Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt.

2.3. Daß die den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften verfassungswidrig seien, behaupten die Beschwerdeführer nicht. Auch der VfGH hegt aus der Sicht dieses Beschwerdefalles keine derartigen Bedenken.

Demnach wurden die Beschwerdeführer auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt.

2.4. Wies aber die belangte Behörde die in Rede stehende Berufung (vom 17. Mai 1976) auf Grund verfassungsrechtlich unbedenklicher Rechtsvorschriften (siehe 2.3.) zu Recht zurück, wie der VfGH in Behandlung des dem Grundrecht nach Art83 Abs2 B-VG gewidmeten Beschwerdeabschnitts ausführte (siehe 2.2.), so ist es - da eine Entscheidung in der Sache selbst unterblieb - ausgeschlossen, daß die Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurden (siehe die ständige Rechtsprechung des VfGH: zB VfSlg. 7515/1975, 8406/1978).

Bei dieser Sach- und Rechtslage war dem VfGH ein Eingehen auf das weitere, insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Grundrechts nach Art5 StGG vorgetragene Beschwerdevorbringen versagt.

2.5. Die Beschwerde war somit als unbegründet abzuweisen.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Berufung, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B71.1977

Dokumentnummer

JFT_10189388_77B00071_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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