TE Vfgh Erkenntnis 1982/2/25 B204/77, B211/77

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Veröffentlicht am 25.02.1982
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Index

32 Steuerrecht
32/04 Steuern vom Umsatz

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
BAO §115
UStG 1972 §10 Abs2 Z7 litc

Leitsatz

UStG 1972; gleichheitswidrige Anwendung des §10 Abs2 Z7 litc

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide, soweit sie die Berufungen gegen die Umsatzsteuerbescheide abweisen, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Die Bescheide werden daher insoweit aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Der Beschwerdeführer M. R. ist seit 1961 als selbständiger Innenarchitekt tätig. Er befaßt sich mit der Planung, Überwachung und Leitung der Errichtung und Einrichtung von Geschäftsräumen, Büros und Verwaltungsgebäuden. Weiters führt er fachtechnische Untersuchungen durch, erstattet Gutachten und Schätzungen und berät und vertritt seine Klienten in einschlägigen Angelegenheiten vor den Behörden.

b) Das Finanzamt Graz-Stadt schrieb mit Umsatzsteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 1974 die Umsatzsteuer unter Zugrundelegung des (damaligen) Normalsteuersatzes von 16 vH vor.

Gegen diesen Bescheid, wie auch gegen den Einkommen- und Gewerbesteuerbescheid 1974 legte der Beschwerdeführer Berufung ein, in der er - in Bezug auf den bekämpften Umsatzsteuerbescheid - die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes von 8 vH gemäß §10 Abs2 UStG 1972 begehrte.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 24. März 1977 gab die Finanzlandesdirektion für Stmk. der Berufung insoweit Folge, als sie sich auf die Festsetzung von Einkommensteuer und Gewerbesteuer bezog. Hingegen wurde die Berufung gegen den Umsatzsteuerbescheid abgewiesen und die Umsatzsteuer für das Jahr 1974 ausgehend von dem Steuersatz des §10 Abs1 UStG 1972 in Höhe von 16 vH festgesetzt.

c) Gegen den das Berufungsbegehren abweisenden Teil des Bescheides richtet sich die zu B204/77 protokollierte, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Freiheit der Erwerbsbetätigung behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

2. a) Der am 21. Oktober 1976 verstorbene A. M. war seit 1956 als freiberuflicher Innenarchitekt tätig. Auch er befaßte sich insbesondere mit der Verfassung von Projekten, Plänen und Leistungsverzeichnissen, mit der Überwachung und Leitung der Herstellung baulicher Anlagen, deren Abrechnung und Abnahme und der Überprüfung erbrachter Leistungen; weiters führte er fachtechnische Untersuchungen durch, erstattete Gutachten und Schätzungen und vertrat seine Klienten in einschlägigen Angelegenheiten vor den Behörden.

b) Im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit schrieb ihm das Finanzamt Graz-Stadt für das Veranlagungsjahr 1974 Einkommen- und Gewerbesteuer vor und setzte die Umsatzsteuer für die Veranlagungsjahre 1973 und 1974 unter Heranziehung des damals gültigen Normalsteuersatzes von 16 vH fest.

Gegen diese Bescheide legte A. M. Berufung ein, in der er - hinsichtlich des bekämpften Umsatzsteuerbescheides - die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes von 8 vH gemäß §10 Abs2 UStG 1972 beantragte.

Mit Bescheid vom 24. März 1977 gab die Finanzlandesdirektion für Stmk. der Berufung insoweit Folge, als sie sich auf die Festsetzung von Einkommensteuer und Gewerbesteuer bezog. Hingegen wurde der Berufung gegen die Umsatzsteuerbescheide nicht Folge gegeben und der Antrag auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes für die Tätigkeit als Innenarchitekt abgewiesen.

c) Gegen den das Berufungsbegehren abweisenden Teil des Bescheides richtet sich die zu B211/77 protokollierte, auf Art144 B-VG gestützte, namens der Verlassenschaft nach A. M. von den Beschwerdeführern F. und N. M. eingebrachte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf freie Erwerbsbetätigung gerügt und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Teiles des Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

d) Mit Beschluß vom 5. Oktober 1977 zur Zahl 15 A 559/76 hat das Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz den Beschwerdeführern die Verlassenschaft nach A. M. eingeantwortet.

3. Die belangte Behörde hat in beiden zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfahren Gegenschriften erstattet und die Abweisung der Beschwerden beantragt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Die zu B204/77 protokollierte Beschwerde ist, da alle Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, zulässig.

b) Auch die zu B211/77 protokollierte Beschwerde ist zulässig. Während des Verfahrens vor dem VfGH wurde - wie oben ausgeführt - F. und N. M. die Verlassenschaft nach A. M. eingeantwortet, so daß sie nunmehr anstelle der Verlassenschaft Beschwerdeführer sind (vgl. VfSlg. 8724/1980).

2. In der Sache wurde erwogen:

a) Die Beschwerdeführer erblicken die Gleichheitswidrigkeit des bekämpften Bescheides in der Nichtanwendung des ermäßigten Steuersatzes von 8 vH gemäß §10 Abs2 UStG 1972, BGBl. 223/1972, auf die Tätigkeit der als "Innenarchitekten" tätigen Personen.

Unter den Tatbeständen, deren Verwirklichung nach dieser Bestimmung eine Ermäßigung des Steuersatzes bewirkt, sind im vorliegenden Fall zwei, nämlich die Tatbestände der Z7 (litc) und der Z8 relevant. Gemäß §10 Abs2 Z7 litc leg. cit. sind "die sonstigen Leistungen aus der Tätigkeit als Architekt, staatlich befugter und beeideter Ziviltechniker" und gemäß Z8 dieser Gesetzesbestimmung "die Umsätze aus der Tätigkeit als Künstler" steuerlich begünstigt.

b) Die belangte Behörde hat §10 Abs2 Z7 litc so ausgelegt, daß dieser Bestimmung zufolge nur die Tätigkeit jener Architekten in den Genuß des bevorzugten Steuersatzes kommen kann, denen eine Befugnis nach dem Ziviltechnikergesetz verliehen wurde. Mit der Frage, ob die Tätigkeit der beiden Steuerpflichtigen, die unbestrittenermaßen über keine derartige Befugnis verfügten, vielleicht dennoch als Tätigkeit von Architekten iS der genannten Gesetzesbestimmung zu qualifizieren sein könnte, hat sie sich dementsprechend nicht beschäftigt.

Im übrigen hat die Behörde die Frage behandelt, ob die Tätigkeit der Arbeiten als Innenarchitekten verrichtenden Personen als künstlerische iS des §10 Abs2 Z8 UStG 1972 zu qualifizieren ist und deshalb der niedrigere Steuersatz anzuwenden wäre. Sie hat dabei eine derartige Qualifikation verneint.

c) Nach Auffassung der Beschwerdeführer steht die von der belangten Behörde vorgenommene Auslegung des §10 Abs2 Z7 litc UStG 1972 mit dessen Wortlaut nicht im Einklang. Diese Begünstigung stelle ausdrücklich auf den Inhalt der Tätigkeit und nicht auf den öffentlich-rechtlichen Akt der Verleihung einer besonderen Befugnis ab. Wegen der vollkommenen Gleichartigkeit der Tätigkeit und des gleichen Berufsbildes sei der ermäßigte Steuersatz auf Innenarchitekten unabhängig vom Vorliegen einer Befugnis nach dem Ziviltechnikergesetz anzuwenden. Durch diese unbegründete Annahme, daß es für die Anwendung des §10 Abs2 Z7 litc leg. cit. auf die Verleihung der Befugnis iS des Ziviltechnikergesetzes ankomme, werde der dem Bescheid zugrundeliegenden Norm zu Unrecht ein gleichheitswidriger Inhalt zugemessen.

Weiters werfen die Beschwerdeführer der belangten Behörde vor, durch die Verweigerung der Anerkennung der Tätigkeit der Innenarchitekten als künstlerisch iS des §10 Abs2 Z8 auch dieser Vorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt zu unterstellen. Die Ansicht der belangten Behörde, daß die Innenarchitektur grundsätzlich nicht als künstlerisch anzusehen sei, finde im Gesetz keine Stütze und unterscheide unsachlich zwischen Innenarchitekten und Hochbauarchitekten.

Zur behaupteten Verletzung des im Art6 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Erwerbsbetätigung führen die Beschwerdeführer sinngemäß aus, daß die angewendeten Normen in dem ihnen von der Behörde beigemessenen Inhalt iS des Art6 StGG verfassungswidrig seien. Die Wettbewerbsverhältnisse würden durch die unterschiedliche umsatzsteuerliche Behandlung so entscheidend verändert, daß die freie Erwerbsausübung behindert sei.

3. a) Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 8823/1980) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. zB VfSlg. 8808/1980 und die dort zitierte Vorjudikatur).

b) Anders als der VwGH vertritt der VfGH zu §10 Abs2 Z7 litc UStG 1972 in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß durch die Anführung der Architekten in dieser Bestimmung nicht nur ein häufiger und allgemein anerkannter Beruf aus dem Kreise der Ziviltechniker besonders hervorgehoben werde, sondern diese Anführung gegenüber den vom Ziviltechnikergesetz geregelten Berufen eine Erweiterung bedeute. Unter dem Begriff "Architekt" iS dieser Bestimmung sei auch eine freiberufliche Tätigkeit zu subsumieren, die als Architektentätigkeit qualifiziert werden kann, ohne daß der Steuerpflichtige über eine formelle Ziviltechnikerbefugnis verfüge; so könnten beispielsweise die Tätigkeiten als Innen- oder Gartenarchitekt von §10 Abs2 Z7 litc UStG 1972 mitumfaßt sein (vgl. dazu VfSlg. 7384/1974, 8002/1977, 8239/1978, 8565/1979).

Es ist in den abgabenbehördlichen Verfahren unbestritten geblieben, daß der Beschwerdeführer zu B204/77 und A. M. ihre Tätigkeiten freiberuflich ausgeübt haben. Es wäre daher auf Grundlage der eben angeführten Rechtsauffassung des VfGH bei der Festsetzung der Umsatzsteuer die Begünstigungsvorschrift des §10 Abs2 Z7 litc von der belangten Behörde in Betracht zu ziehen gewesen, die für Architekten die Anwendung des begünstigten Steuersatzes von 8 vH vorsieht.

Wie oben dargelegt wurde, hat die Behörde aber überhaupt nicht untersucht, ob bei der Bemessung der Umsatzsteuer der begünstigte Steuersatz für "Architekten" iS des §10 Abs2 Z7 litc UStG 1972 anzuwenden ist oder nicht; die Behörde hat keinerlei Ermittlungstätigkeit zur Klärung der Frage vorgenommen, ob die Tätigkeiten des Beschwerdeführers zu B204/77 sowie die des A. M. als Architektentätigkeit iS der zitierten Gesetzesbestimmung zu qualifizieren ist. Sie hat sich bei der Prüfung, ob in den vorliegenden Fällen Z7 litc der genannten Bestimmung anzuwenden ist, darauf beschränkt, festzustellen, daß die beiden Steuerpflichtigen keine Ziviltechnikerbefugnis besitzen.

Die belangte Behörde hat somit - von einer unzutreffenden Auslegung des Gesetzes ausgehend - in einem entscheidenden Punkt, nämlich der Frage nach der Qualifikation der Tätigkeit der beiden Steuerpflichtigen als Architekten iS des §10 Abs2 Z7 litc UStG 1972 jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen; dies stellt nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH nicht bloß die Verletzung einfachgesetzlicher Verfahrensvorschriften - in concreto des §115 BAO - dar, sondern greift in die Verfassungssphäre ein (vgl. VfSlg. 8320/1978 mit Hinweisen auf Vorjudikatur).

c) Die Beschwerdeführer wurden somit in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Die angefochtenen Teile der Bescheide waren daher als gleichheitswidrig aufzuheben. Bei diesem Ergebnis war nicht mehr zu untersuchen, ob die Beschwerdeführer auch in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden sind.

Schlagworte

Umsatzsteuer, Steuersätze (Umsatzsteuer), VfGH / Legitimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B204.1977

Dokumentnummer

JFT_10179775_77B00204_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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