TE Vfgh Erkenntnis 1982/6/14 B623/78

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Veröffentlicht am 14.06.1982
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art12 Abs2
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art83 Abs2
StGG Art13
AgrBehG §5 Abs2 Z1
AgrVG §1
AVG §34 Abs3
AVG §36 Abs2

Leitsatz

AVG 1950; keine Bedenken gegen §34 Abs3; kein Entzug des gesetzlichen Richters; keine Verletzung des Rechtes der freien Meinungsäußerung und des Gleichheitsrechtes

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Der Beschwerdeführer hat am 31. Mai 1978 im Zuge des Zusammenlegungsverfahrens Obritz Berufung gegen den Besitzstandsausweis und den Bewertungsplan erhoben.

Die Nö. Agrarbezirksbehörde hat diese Eingabe dem Beschwerdeführer mit dem Auftrag zur Verbesserung (Beibringung einer zweiten Ausfertigung und einer Vollmacht) binnen einer Woche rückgestellt. Der Beschwerdeführer reagierte darauf mit einem Schreiben vom 27. Juni 1978 mit folgendem Wortlaut:

"Sehr geehrte Herren!

Ich schätze mich im Besitze Ihres oben näher bezeichneten Schreibens und darf dazu wie folgt festhalten:

1. Ich übergebe Ihnen anliegend wieder meine Eingabe vom 31. 5. 1978 und bestehe darauf, daß Sie diese mir rückgesandte Originaleinreichung wieder zu den Akten nehmen,

2. ersuche ich um Fristerstreckung für die Beibringung der 2. Ausfertigung sowie für die Beibringung der Vollmacht der Frau K. W.

Als Begründung darf ich wie folgt anführen:

Bei Frau K. W. handelt es sich um eine Dame, die im 86. Lebensjahr steht und in den letzten Wochen einen schweren Krankenhausaufenthalt hinter sich hat. Derzeit ist sie zu einer Kur in Villach und es ist mir nicht zuzumuten, binnen 8 Tagen die Vollmacht beizubringen.

Ich beantrage eine Fristerstreckung bis September d.J. Dann wird sich Frau W. wieder in Wien befinden.

3. Erhebe ich schon jetzt schärfsten Protest dagegen, daß Sie wegen kleiner Mängel bei der Berufungseinreichung das ganze Verfahren niederschlagen wollen. Es handelt sich um einen Akt der Behördenwillkür und ich will Ihnen schon heute mitteilen, daß sollten Sie ihren Standpunkt nicht revidieren - ich gegen Sie im Klagewege vorgehen werde. Ihr Vorgehen ist demokratisch unwürdig. Ich sehe daher einer vernünftigen Fristerstreckung mit Interesse entgegen."

b) Die Nö. Agrarbezirksbehörde hat mit Bescheid vom 29. Juni 1978 gegen den Beschwerdeführer gemäß §34 AVG 1950 eine Ordnungsstrafe von 1.000,- S (im Falle der Uneinbringlichkeit Haft von 24 Stunden) verhängt, weil er sich in der oben wiedergegebenen Eingabe vom 27. Juni 1978 einer beleidigenden Schreibweise bedient habe.

Der Landesagrarsenat beim Amt der Nö. Landesregierung hat mit Bescheid vom 10. Oktober 1978 der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung keine Folge gegeben und den angefochtenen Bescheid gemäß §§34 und 66 Abs4 AVG 1950 bestätigt.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

3. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Nach §1 AgrVG 1950 findet das AVG 1950 mit Ausnahme des §78 in den Angelegenheiten der Bodenreform für die Agrarbehörden mit den im nachfolgenden angeführten Änderungen und Ergänzungen Anwendung.

Da sich im AgrVG über die Ordnungsstrafen keine Sonderbestimmungen finden, gelten die Vorschriften der §§34 und 36 AVG 1950 auch in den Angelegenheiten der Bodenreform.

Gemäß §36 Abs2 AVG 1950 ist gegen den Bescheid, mit dem eine Ordnungsstrafe verhängt wird, Berufung an die vorgesetzte Behörde (hier an den Landesagrarsenat beim Amt der Nö. Landesregierung) zulässig, die endgültig zu entscheiden hat (vgl. zB VfSlg. 9193/1981). Der administrative Instanzenzug ist sohin erschöpft.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2. a) Der Beschwerdeführer behauptet zunächst, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein und begründet dies wie folgt:

Der Landesagrarsenat beim Amt der Nö. Landesregierung sei deshalb unrichtig zusammengesetzt gewesen, weil ihm auch Sachverständige angehört hätten; Sachverständige könnten nicht an der Rechtsfindung direkt mitwirken, insbesondere nicht, wenn es sich nicht um technische Fragen der Bodenreform, sondern um reine Rechtsfragen, wie etwa bei der Verhängung von Ordnungsstrafen handle.

Der Landesagrarsenat sei auch deshalb unzuständig gewesen, weil er nur in Angelegenheiten der Bodenreform und nicht in den Fällen der Verhängung einer Ordnungsstrafe tätig werden dürfe.

Schließlich habe an der bekämpften Entscheidung sowohl der Landesagrarsenat als auch das Amt der Nö. Landesregierung mitgewirkt, dies deshalb, weil der Vorsitzende des Landesagrarsenates und der Leiter der Abteilung V/3 des Amtes der Nö. Landesregierung ein und dieselbe Person sei.

b) Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH wird das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt. Ebenso liegt eine Verletzung dieses verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes dann vor, wenn der angefochtene Bescheid von einer Kollegialbehörde in einer unrichtigen personellen Zusammensetzung erlassen wird (vgl. zB VfSlg. 8828/1980).

Die Ordnungsstrafe wurde im Zuge eines Zusammenlegungsverfahrens erlassen. Zur Verhängung der Ordnungsstrafe war daher in 1. Instanz die Nö. Agrarbezirksbehörde zuständig, an die die Eingabe des Beschwerdeführers vom 27. Juni 1978 mit den nach Ansicht der Behörde beleidigenden Äußerungen gerichtet war (vgl. §34 Abs1 und 3 AVG 1950 iVm §1 AgrVG). Dem §36 Abs2 AVG 1950 iVm §1 AgrVG zufolge war zur Entscheidung über die Berufung die "vorgesetzte Behörde" zuständig, das ist jene Behörde, die nach der gesetzlichen Ordnung des administrativen Instanzenzuges im Zusammenhang mit der Angelegenheit, die den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens gebildet hat, der Behörde, die die Ordnungsstrafe verhängt hat, sachlich übergeordnet ist (vgl. zB VfSlg. 4772/1964 und VwSlg. 8044 A/1971), das ist hier der Landesagrarsenat beim Amt der Nö. Landesregierung (vgl. §2 Abs2 AgrVG und §7 Abs1 AgrBehG 1950).

Es hat sohin die zuständige Behörde, die iS des §5 Abs2 AgrBehG 1950 zusammengesetzt war, eine Sachentscheidung getroffen.

Was die vom Beschwerdeführer kritisierte Mitwirkung von Sachverständigen anlangt ist er darauf zu verweisen, daß Art12 Abs2 B-VG die Mitwirkung von Sachverständigen als Mitglieder der Agrarsenate ausdrücklich vorsieht (vgl. VfSlg. 8729/1980 und 8828/1980). Daß ein rechtskundiger Landesbeamter als Vorsitzender des Landesagrarsenates fungiert hat, entspricht dem §5 Abs2 Z1 AgrBehG 1950.

Der Beschwerdeführer ist daher nicht im erwähnten Grundrecht verletzt worden.

3. a) Der Beschwerdeführer erachtet sich auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt. Der Beschwerdeführer habe nicht beabsichtigt, die Behörde zu beleidigen, sondern habe sie nur veranlassen wollen, die Forderung nach der zweifachen Vorlage der Berufung zu überdenken und darauf Rücksicht zu nehmen, daß die Einholung der geforderten Vollmacht mit Hindernissen verbunden sei.

b) Das Recht der freien Meinungsäußerung ist nach Art13 StGG nur "innerhalb der gesetzlichen Schranken" gewährleistet. Eine solche Schranke bildet auch §34 Abs3 AVG 1950.

Der VfGH hegt aus dem Gesichtswinkel dieses Beschwerdefalles gegen §34 Abs3 AVG 1950 und die übrigen Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. VfSlg. 7410/1974, S 274), insbesondere nicht solche unter dem Blickpunkt des Art18 B-VG; die im §34 Abs3 AVG 1950 verwendeten Begriffe sind - wie schon die reichhaltige Judikatur zu dieser Gesetzesbestimmung erweist (s. etwa Mannlicher - Quell, Das Verwaltungsverfahren I, 8. Aufl., S 774 ff.) - durchaus einer Auslegung zugänglich.

Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Berufungsbescheides käme eine Verletzung des zuletzt erwähnten Grundrechtes nur unter der Voraussetzung einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung in Betracht.

Die in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgedrückte Rechtsauffassung der belangten Behörde, daß die dem Beschwerdeführer zur Last fallende Schreibweise als "beleidigend" in der Bedeutung des §34 Abs3 AVG 1950 zu beurteilen sei, leidet keinesfalls an einem derartig zu qualifizierenden Fehler. Mit den oben wiedergegebenen Behauptungen wird der Sache nach nicht ein derartiges in die Verfassungssphäre reichendes unrichtiges Verhalten der belangten Behörde behauptet, sondern bloß die einfach-gesetzliche Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestritten, worüber ausschließlich der VwGH zu befinden hat (vgl. VfSlg. 9103/1981).

Der Beschwerdeführer ist also auch nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Meinungsfreiheit verletzt worden.

4. a) Schließlich behauptet der Beschwerdeführer noch, im Gleichheitsrecht verletzt worden zu sein. §34 AVG 1950 überlasse es "der Empfindlichkeit oder dem Gefühl" der einzelnen Behördenorgane, ob eine schriftliche Eingabe eine beleidigende Schreibweise darstellt oder nicht.

b) Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 8856/1980) durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde nur verletzt werden, wenn dieser auf einer mit dem Gleichheitsgebot in Widerspruch stehenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Daß der VfGH gegen die Rechtsgrundlagen des bekämpften Bescheides keine verfassungsrechtlichen Bedenken hat und daß die belangte Behörde nicht denkunmöglich vorgegangen ist, wurde schon festgehalten (s.o. II.3.b); eine solche unter Umständen als Indiz für Willkür in Betracht zu ziehende Wertung scheidet daher bei Prüfung der Frage, ob eine Gleichheitsverletzung stattfand, von vornherein aus.

Es finden sich aber auch sonst keine wie immer gearteten Anhaltspunkte dafür, daß sich die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung von unsachlichen Erwägungen leiten ließ.

Demgemäß wurde der Beschwerdeführer auch nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

5. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm in einem Recht verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Mutwillens- und Ordnungsstrafe, Agrarbehörden, Agrarverfahren, Kollegialbehörde, Meinungsäußerungsfreiheit, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B623.1978

Dokumentnummer

JFT_10179386_78B00623_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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