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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
B-VG Art138 Abs1; kein Vorliegen eines verneinenden Kompetenzkonfliktes zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde mangels Identität der Sache GSVG §69; rechtmäßige Verweigerung der Entscheidung nach Leistungsfeststellung durch die Gerichte; kein Entzug des gesetzlichen RichtersSpruch
1. Der Antrag auf Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Bf. führte einen Fremdenbeherbergungsbetrieb in Heiligenblut. Mit Bescheid der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom 14. Juli 1977 wurde ihr ab 1. März 1977 eine Alterspension zuerkannt. Da sie nach ihrer Darstellung die Gewerbeberechtigung schon am 22. Dezember 1976 zurückgelegt hat, begehrte sie beim Schiedsgericht der Sozialversicherung für Ktn. die Zuerkennung der Pension ab 1. Jänner 1977. Das Schiedsgericht wies diese Klage mit Urteil vom 21. November 1977 ab: Nach Mitteilung der Gewerbebehörde sei die Zurücklegungserklärung erst am 23. Feber 1977 von der Klägerin persönlich unterschrieben worden; es sei nicht Sache des Gerichts zu ergründen, warum die Behörde die vom Ehemann der Klägerin unterfertigte Erklärung vom Dezember 1976 für ungenügend angesehen habe.
Mit Bescheid vom 8. Jänner 1979 stellte der Landeshauptmann von Ktn. im gewerberechtlichen Verfahren fest, daß die Gewerbebefugnis der Bf. zufolge Zurücklegung mit Wirkung vom 22. Dezember 1976 geendigt habe. Hierauf erhob die Bf. eine Wiederaufnahmsklage, die jedoch vom Schiedsgericht mit Urteil abgewiesen wurde. Das Oberlandesgericht Wien wertete diesen Akt als Beschluß und die Berufung der Bf. als Rekurs, gab diesem aber mit Beschluß vom 15. Mai 1979 mit der Maßgabe keine Folge, daß die Wiederaufnahmsklage nicht ab-, sondern zurückgewiesen werde: Wie schon das Erstgericht erkannt habe, sei die Klage auf keinen gesetzlichen Anfechtungsgrund gestützt (§538 Abs1 ZPO).
2. Am 28. September 1979 beantragte die Bf. die Erlassung eines neuen Bescheides gemäß §69 GSVG. Diesen Antrag lehnte die Sozialversicherungsanstalt mit Bescheid vom 4. Oktober 1979 ab, weil §69 GSVG zufolge der Entscheidung des Schiedsgerichts vom 21. November 1977 nicht in Betracht komme. Dem Einspruch gegen diesen Bescheid gab der Landeshauptmann von Ktn. mit Bescheid vom 20. März 1980 keine Folge: §69 GSVG sei - wie §101 ASVG - nur auf Bescheide des Versicherungsträgers, nicht auf rechtskräftige Leistungsfeststellungen durch die Gerichte anwendbar; diese könnten bloß im Wege der Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmeklage nach Maßgabe der Vorschriften der ZPO bekämpft werden.
Gegen diesen Einspruchsbescheid iZm. dem Beschluß des Oberlandesgericht Wien vom 15. Mai 1979 wendet sich der vorliegende Antrag auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes gemäß Art138 Abs1 B-VG, in eventu die Beschwerde nach Art144 B-VG, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gerügt wird.
II. Der Antrag auf Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes ist unzulässig.
Der VfGH entscheidet nach §138 Abs1 lita B-VG über Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden. Ein verneinender Kompetenzkonflikt liegt vor, wenn sowohl das Gericht als auch die Verwaltungsbehörde die Zuständigkeit zur Entscheidung in derselben Sache abgelehnt haben (§46 VerfGG; vgl. VfSlg. 8878/1980 und die dort genannte Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall wurden Gerichte und Verwaltungsbehörden jedoch nicht zur Entscheidung über dieselbe Sache angerufen. Die Gerichte erster und zweiter Instanz hatten über einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach den §§530 ff. ZPO, der Versicherungsträger und der Landeshauptmann über einen Antrag auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes nach §69 GSVG zu befinden. Die Gerichte haben ihre Zuständigkeit a limine abgelehnt, weil die Klage auf keinen gesetzlichen Anfechtungsgrund gestützt war, die Verwaltungsbehörden die Anwendbarkeit des §69 GSVG auf Fälle verneint, in denen über den Leistungsanspruch bereits vom Gericht entschieden wurde. Die Verwaltungsbehörden haben also die Berichtigung des urteilsmäßigen Leistungsanspruches als Sache der Gerichte angesehen, die Gerichte die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens verneint. Darin liegt mangels Identität der Sache kein verneinender Kompetenzkonflikt.
Der Antrag ist daher wegen offenkundiger Nichtzuständigkeit des VfGH zurückzuweisen (§19 Abs3 Z2 lita VerfGG).
III. Die Beschwerde gegen den Einspruchsbescheid des Landeshauptmannes ist nicht begründet.
§69 GSVG lautet:
"Ergibt sich nachträglich, daß eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, so ist mit Wirkung vom Tag der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen".
Die bel. Beh. versteht diese Bestimmung so, daß sie (arg. "bescheidmäßig ... zu Unrecht abgelehnt") nur dann zur Anwendung kommen könne, wenn ein unrichtiger Bescheid vorliege. Sei der Bescheid des Versicherungsträgers durch Erhebung einer Klage außer Kraft getreten (§384 ASVG iVm. §194 GSVG), komme die rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustands durch den Versicherungsträger nicht mehr in Betracht; es sei vielmehr Sache der Gerichte, im Leistungsstreitverfahren zu entscheiden, unter welchen Umständen ein urteilsmäßig zuerkannter Anspruch berichtigt werden könne.
Die Behörde folgt damit der Rechtsprechung des VwGH der zum gleichlautenden §101 ASVG im Erk. Z 368/75 vom 30. 10. 1975, VwSlg. 8918/A/1975, ausgeführt hat:
"Schon aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich, daß es sich hiebei um Ansprüche auf Geldleistungen aus der Sozialversicherung handeln muß, über die bescheidmäßig abgesprochen worden ist. Die Bestimmung des §101 ASVG bietet die Handhabe, daß im Falle einer infolge Irrtums oder Versehens unrichtig bemessenen oder zu Unrecht nicht zuerkannten Geldleistung eine jederzeitige Richtigstellung ohne besondere verfahrensrechtliche Voraussetzungen möglich ist. Sie ist nur auf Bescheide eines Versicherungsträgers anwendbar, nicht auch auf Leistungsfeststellungen, die zuletzt von einem Schiedsgericht oder vom Oberlandesgericht Wien ergangen sind, da mit der Erhebung der Klage beim Schiedsgericht der Bescheid des Versicherungsträgers im Umfange des Klagebegehrens außer Kraft tritt und daher insoweit jede Entscheidungsbefugnis des Versicherungsträgers wegfällt (s. in diesem Sinne auch die Entscheidungen des Oberlandesgerichtes Wien vom 28. 10. 35, GZ 15 R 141/65, SSV 5/122, vom 17. 5. 72, GZ 16 R 55/72, SSV 12/57 uam.).
... In einem solchen Fall besteht bei Vorliegen der Voraussetzungen noch die Möglichkeit der Erhebung der Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklage nach Maßgabe der Vorschriften der Zivilprozeßordnung."
Diese Ansicht hat der VwGH im Erk. Z 1029/76 vom 28. 10. 1977 bekräftigt.
Aus der Rechtsprechung des VfGH kann die Bf. für ihren - gegenteiligen - Standpunkt nichts gewinnen. VfSlg. 4998/1965 spricht lediglich aus, daß der Landeshauptmann zuständig ist, über den Einspruch gegen eine Entscheidung des Versicherungsträgers zu entscheiden, die sich auf die Frage der Wiederaufnahme des Verfahrens beschränkt hat. Der vom Bf. ins Treffen geführte Vorbehalt in der Begründung dieses Erk. (S 300), der Landeshauptmann als Einspruchsinstanz werde dabei in keinem Fall einen Leistungsbescheid erlassen dürfen, kommt im vorliegenden Fall der Ablehnung der Entscheidung über die rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes durch den Versicherungsträger von vornherein nicht in Betracht. Andererseits ist es im Hinblick auf die verfassungsrechtlich gebotene Trennung von Justiz und Verwaltung ausgeschlossen, daß ein Schiedsgericht dem Versicherungsträger etwa eine Entscheidung über den Antrag auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes aufträgt, und es widerspräche dem System des Sozialversicherungsrechts, wenn das Gericht zur Sachentscheidung über das Begehren auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes angerufen werden könnte, obwohl der Versicherungsträger weder über ein solches Begehren entschieden hat noch mit der Entscheidung säumig geworden ist, weil er die Entscheidung förmlich abgelehnt hat (vgl. dazu VfSlg. 9737/1983).
Daraus folgt nicht nur, daß der Landeshauptmann zuständig war, über den Einspruch der Bf. gegen die Zurückweisung ihres Begehrens zu entscheiden. Der VfGH tritt der Auffassung des VwGH auch insoweit bei, als sie auf die Unzuständigkeit des Versicherungsträgers zur Entscheidung über den Antrag auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes nach einem gerichtlichen Urteil im Leistungsstreitverfahren hinausläuft. Könnte der Versicherungsträger in Anwendung des §69 GSVG das gerichtliche Urteil berichtigen, widerspräche das nämlich gleichfalls dem Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung. Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen kommt die rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes durch die Verwaltungsbehörde nur in Betracht, wenn es um die Berichtigung eines verwaltungsbehördlichen Aktes geht.
Der angefochtene Bescheid hat also (iZm. der Entscheidung erster Instanz) die Entscheidung über den Antrag der Bf. vor dem Hintergrund verfassungsrechtlich unbedenklicher Vorschriften zu Recht verweigert und die Bf. offenkundig nicht im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Bei diesem Ergebnis ist es aber ausgeschlossen, daß die Bf. durch den angefochtenen Bescheid in einem anderen Recht verletzt worden ist.
Die Beschwerde ist folglich ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen.
Schlagworte
VfGH / Kompetenzkonflikt, Behördenzuständigkeit, Sozialversicherung, Gericht Zuständigkeit - Abgrenzung von VerwaltungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1984:KI1.1980Dokumentnummer
JFT_10159695_80KI0001_00