TE Vfgh Beschluss 1985/6/8 B928/84

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Veröffentlicht am 08.06.1985
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Index

32 Steuerrecht
32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

B-VG Art140 Abs7
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
FinStrG §89 Abs1

Leitsatz

Art144 Abs1 B-VG; schriftliche Beschlagnahmeanordnung gemäß §89 Abs1 FinStrG - hier Bescheid; Deckung der Amtshandlung in der Beschlagnahmeanordnung; nicht als Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt anfechtbar; auch Bescheidbeschwerde unzulässig - Nichterschöpfung des Instanzenzuges

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. a) Die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde bekämpft die am 5. November 1984 erfolgte Beschlagnahme eines Heftes "Lager-Buch Freie Fahrt" durch Organe des Finanzamtes Linz. Dieses Heft enthält Aufzeichnungen über die Auflagenhöhe und die Abnehmer des Buches "Freie Fahrt" für die Zeit vom 1. April 1977 bis 31. März 1983.

Die Beschlagnahme erfolgt aufgrund einer vom FA am 5. Oktober 1984 ausgestellten, an den Bf. adressierten "Beschlagnahmeanordnung gemäß §89 Abs1 des Finanzstrafgesetzes (FinStrG)". Darin wird angeordnet, die "Lagerkartei 1977 - 1979" zu beschlagnahmen.

Dieses Schreiben wurde dem Bf. am 5. November 1984 vor Durchführung der Beschlagnahme zugestellt.

b) Der Bf. begehrt, kostenpflichtig festzustellen, daß er durch die Beschlagnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt wurde.

2. Der VfGH hat erwogen:

a) Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen bekämpfbar waren, wie dies ua. für eine Beschlagnahme, dh. die zwangsweise Entziehung einer Sache zum Zweck der Verwahrung (VfSlg. 4947/1965, 6754/1972, 9099/1981), zutrifft, die nicht aufgrund eines - sie anordnenden - verwaltungsbehördlichen Bescheides stattfand.

Wurde eine Beschlagnahme hingegen bescheidmäßig verfügt, kann sie - wie der VfGH schon wiederholt aussprach - nicht unmittelbar Gegenstand einer Beschwerdeführung nach Art144 Abs1 B-VG sein (vgl. zB VfSlg. 3848/1960, 4947/1965, 5720/1968, 9099/1981, 9841/1983).

b) Die Beschlagnahmeanordnung erging hier - anders als etwa in dem mit Erk. VfSlg. 9308/1981, gleich wie in dem mit hg. Beschl. VfSlg. 9841/1983, entschiedenen Fall - an den Bf. und wurde ihm auch zugestellt.

Daraus ergibt sich, daß die Beschlagnahmeanordnung des Finanzamtes vom 5. Oktober 1984 im vorliegenden Fall als verwaltungsbehördlicher Bescheid zu werten ist (s. den wiederholt zitierten hg. VfSlg. 9841/1983).

c) Die mit verwaltungsbehördlichem Bescheid verfügte Beschlagnahme kann - wie dargetan - nicht unmittelbar Gegenstand einer Beschwerdeführung nach Art144 Abs1 B-VG sein, soweit er die Amtshandlung deckt.

Diese Deckung liegt hier vor: Die Beschlagnahmeanordnung lautet zwar auf "Lagerkartei 1977 - 1979"; beschlagnahmt wurde ein Heft, das den Zeitraum vom 11. April 1977 bis 31. März 1983 erfaßt. Der Ausdruck "Kartei" ist nicht wörtlich zu verstehen. Dem Sinn der finanzstrafbehördlichen Verfügung zufolge sollten die Unterlagen (in welcher bürotechnischen Form auch immer sie geführt wurden) über den Lagerbestand des Buches "Freie Fahrt", insbesondere über die Auflagenhöhe und über die Abnehmer des Buches, beschlagnahmt werden. Da diese Angaben nicht - wie der Aussteller der Beschlagnahmeanordnung offenbar meinte - in Karteiform, sondern in einem Heft aufgezeichnet wurden, das - ohne es zu beschädigen - nicht zerlegt werden konnte, blieb den Organen des Finanzamtes keine andere Möglichkeit, als das ganze Heft in Beschlag zu nehmen. Die tatsächliche Beschlagnahme ist also nicht über die Beschlagnahmeanordnung hinausgegangen.

d) Die gegen die Beschlagnahme gerichtete Beschwerde war daher wegen Unzuständigkeit des VfGH unzulässig und demnach zurückzuweisen.

e) Der (die Amtshandlung deckende) Bescheid unterliegt aber, weil nicht ein Rechtsmittel gesetzlich für unzulässig erklärt wurde, der Anfechtung mit Beschwerde gemäß §152 Abs1 FinStrG (s. auch hiezu VfSlg. 9841/1983). Da nach Art144 Abs1 letzter Satz B-VG (§82 Abs1 VerfGG) Beschwerde an den VfGH erst nach Erschöpfung des Instanzenzuges erhoben werden kann, ist auch dann ein Prozeßhindernis gegeben, und zwar der Unzuständigkeitsgrund der Nichterschöpfung des Instanzenzuges, wenn man die vorliegende Beschwerde als gegen den Bescheid selbst gerichtet ansähe.

f) Hinzuweisen ist noch darauf, daß der VfGH mit Erk. vom 3. Dezember 1984, G24/83 ua. Z, ua. im §89 Abs1 FinStrG die Wortfolge "und von Gegenständen, die als Beweismittel in Betracht kommen können," und die Wortfolge "oder zur Beweissicherung" als verfassungswidrig aufgehoben, für das Inkrafttreten der Aufhebung jedoch eine Frist bis 30. November 1985 gesetzt hat. Dieser Beschwerdefall war nicht Anlaßfall; er war zum Zeitpunkt der Ausschreibung der Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren noch nicht anhängig (vgl. hiezu VfGH 22. November 1984 B181/80). Die aufgehobenen Bestimmungen sind daher hier noch anzuwenden; sie sind verfassungsrechtlich unangreifbar.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Beschlagnahme, Finanzstrafrecht, VfGH / Aufhebung Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B928.1984

Dokumentnummer

JFT_10149392_84B00928_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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