TE Vfgh Erkenntnis 1985/12/2 G160/85

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Veröffentlicht am 02.12.1985
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Index

32 Steuerrecht
32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

FinStrG §93 Abs2

Beachte

Kundmachung am 13. Dezember 1985, BGBl. 517/1985; Anlaßfall B605/84 vom 27. Feber 1986

Leitsatz

FinStrG; Verfassungswidrigkeit der Worte "oder die im Finanzstrafverfahren als Beweismittel in Betracht kommen" in §93 Abs2 aus den in VfSlg. 10291/1984 dargelegten Gründen

Spruch

Die Wortfolge "oder die im Finanzstrafverfahren als Beweismittel in Betracht kommen" in §93 Abs2 Finanzstrafgesetz (FinStrG), BGBl. 129/1958, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. November 1986 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im BGBl. verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Unter Berufung auf §93 Abs1 FinStrG erließ das Finanzamt St. Pölten als Finanzstrafbehörde erster Instanz am 6. Juli 1982 zur Straflisten-Nr. 85/82 einen schriftlichen (Hausdurchsuchungs-)Befehl gegen die R-Bank N reg. Genossenschaft mbH zur Vornahme einer Hausdurchsuchung in den Betriebsräumen des Unternehmens in N, H-Straße, weil dort - wie es in der Begründung dieses Befehls sinngemäß zusammengefaßt hieß - laut Angaben des Geschäftsleiters der Bank Sparkonten mit der Bezeichnung "F und/oder E L" geführt würden, die für ein bereits eingeleitetes Finanzstrafverfahren gegen E L (als Beweismittel) von Bedeutung seien.

Die solcherart angeordnete Hausdurchsuchung wurde von finanzbehördlichen Organen am 15. Juli 1982 an Ort und Stelle durchgeführt.

1.1.2. In einer Beschwerde an den VfGH gemäß Art144 Abs1 B-VG begehrte die R-Bank N reg. Genossenschaft mbH die kostenpflichtige Feststellung, daß sie durch die dem Finanzamt St. Pölten als bel. Beh. zuzurechnende Amtshandlung vom 15. Juli 1982, und zwar die "tatsächlich vorgenommene Hausdurchsuchung" (S 6 der Beschwerdeschrift), demnach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden sei, so im Hausrecht (Art9 StGG), im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG), Art1 1. ZP zur MRK), auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG) und im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG).

1.1.3.1. Mit Beschl. des VfGH vom 25. Feber 1983, B439/82, wurde diese Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen.

1.1.3.2. Begründend wurde ua. ausgeführt:

"... Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Novelle BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte (natürliche oder juristische) Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für Hausdurchsuchungen in verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren zutrifft, die nicht auf Grund eines - sie anordnenden - verwaltungsbehördlichen Bescheides stattfanden.

Der VfGH sprach bereits aus - und hält an dieser Rechtsauffassung fest -, daß ein schriftlicher Hausdurchsuchungsbefehl nach §93 Abs1 FinStrG - weil die Rechtslage des Betroffenen der Finanzbehörde gegenüber bindend gestaltend - als solcher Bescheid anzusehen ist (VfSlg. 7067/1973, VfGH 3. 3. 1982 B357/81).

Daraus folgt, daß der bekämpfte Verwaltungsakt vom 15. Juli 1982 nur dann einer selbständigen Anfechtung vor dem VfGH unterläge, wenn er nicht durch einen bescheidmäßig verfügten Hausdurchsuchungsbefehl gedeckt gewesen wäre ...

Die etwaige Annahme, daß die bekämpfte Durchsuchung über die Anordnungen des (bescheidmäßigen) Hausdurchsuchungsbefehls vom 6. Juli 1982 - dessen Gesetzmäßigkeit in diesem verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren nicht nachzuprüfen ist (s. VfGH 11. 6. 1982 B236 bis 238/81) - exzessiv hinausgegangen sei (s. VfGH 3. 3. 1982 B357/81), scheidet schon im Hinblick auf die Sachverhaltsschilderung in der Beschwerdeschrift selbst aus.

Demgemäß erweist sich, daß der in Beschwerde gezogene Verwaltungsakt vom 15. Juli 1982, der seine rechtliche Grundlage allein in dem vom Finanzamt St. Pölten am 6. Juli 1982 gemäß §93 Abs1 FinStrG gegen die beschwerdeführende Genossenschaft erlassenen (bescheidmäßigen) Hausdurchsuchungsbefehl hatte, ... beim VfGH nicht unmittelbar anfechtbar ist, weshalb die auf Art144 Abs1 B-VG gegründete Beschwerde bereits aus dieser Erwägung als unzulässig zurückgewiesen werden mußte, ohne daß auf das Beschwerdevorbringen im einzelnen eingegangen zu werden brauchte.

Dieses Ergebnis bliebe unverändert, wollte man die Beschwerde - ihrem ausdrücklichen Wortlaut zuwider - als gegen den Bescheid (den "Hausdurchsuchungsbefehl") vom 6. Juli 1982 gerichtet werten: Denn dieser Bescheid unterliegt, weil nicht ein Rechtsmittel gesetzlich für unzulässig erklärt wurde, der Anfechtung mit (Administrativ-)Beschwerde gemäß §152 Abs1 FinStrG (VfSlg. 7067/1973). Da nach Art144 Abs1 letzter Satz B-VG (§82 Abs1 VerfGG 1953) Beschwerde an den VfGH erst nach Erschöpfung des Instanzenzuges erhoben werden kann, wäre im gedachten Fall - angesichts der gegen den Hausdurchsuchungsbefehl offen gestandenen und auch tatsächlich ergriffenen (Administrativ-)Beschwerde gemäß §152 Abs1 FinStrG - nämlich gleichermaßen ein Prozeßhindernis, und zwar der Unzuständigkeitsgrund der Nichterschöpfung des Instanzenzuges, zu bejahen ..."

1.2.1. Unbeschadet der Beschwerdeführung zu Punkt 1.1.2. brachte die R-Bank N reg. Genossenschaft mbH, wie schon in der Begründung des Beschl. des VfGH vom 25. Feber 1983, B439/82 (s. Punkt 1.1.3.2.) erwähnt, eine (Administrativ-)Beschwerde gegen den Hausdurchsuchungsbefehl vom 6. Juli 1982 ein (§152 Abs1 FinStrG), die mit Entscheidung der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. als Finanzstrafbehörde 2. Instanz vom 1. Juni 1984, Z GA 10-574/82, als unbegründet abgewiesen wurde.

1.2.2. Gegen diesen (Berufungs-)Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. richtet sich die zur hg. AZ B605/84 protokollierte, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde der R-Bank N reg. Genossenschaft mbH, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, und zwar im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG), auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art1 Z1 ZP zur MRK), auf Unverletzlichkeit des Hausrechtes (Art9 StGG), auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) sowie im Recht auf Datenschutz (§1 DSG), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts begehrt wird.

1.3.1. Aus Anlaß dieser Beschwerdesache leitete der VfGH mit Beschl. vom 7. Juni 1985, GZ B605/84-7, gemäß Art140 Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Teils des §93 Abs2 FinStrG, BGBl. 129/1958, und zwar der Wortfolge "oder die im Finanzstrafverfahren als Beweismittel in Betracht kommen", ein.

1.3.2. Die Bedenken die den VfGH zur Prüfung der in Rede stehenden Worte des §93 Abs2 FinStrG bewogen, ergaben sich aus den Gründen des (Vor-)Erk. vom 3. Dezember 1984, G24, 50/83 ua., welches Teile des §89 FinStrG ("Beschlagnahme") als verfassungswidrig aufgehoben hatte.

1.4. Die Bundesregierung gab im Gesetzesprüfungsverfahren die Erklärung ab, im Lichte des hg. Erk. vom 3. Dezember 1984, G24, 50/83 ua., von der Erstattung einer Äußerung Abstand zu nehmen; sie beantragte zugleich, im Fall der Aufhebung der in Prüfung gezogenen Wortfolge gemäß Art140 Abs5 B-VG - für das Außerkrafttreten - eine Frist von einem Jahr zu bestimmen.

1.5. Die Abs1 und 2 des mit "Hausdurchsuchung und Personendurchsuchung" überschriebenen §93 FinStrG lauten folgendermaßen:

"(1) Die Durchführung einer Hausdurchsuchung (Abs2) oder einer Personendurchsuchung (Abs3) bedarf eines mit Gründen versehenen schriftlichen Befehles des Vorstandes der Finanzstrafbehörde erster Instanz oder im Falle dessen Verhinderung eines ihr zugewiesenen rechtskundigen Beamten. Dieser Befehl ist den Betroffenen sogleich oder doch innerhalb der nächsten 24 Stunden zuzustellen.

(2) Hausdurchsuchungen, das sind Durchsuchungen von Wohnungen und sonstigen zum Hauswesen gehörigen Räumlichkeiten sowie von Wirtschafts-, Gewerbe- oder Betriebsräumen, dürfen nur dann vorgenommen werden, wenn begründeter Verdacht besteht, daß sich darin eine eines Finanzvergehens, mit Ausnahme einer Finanzordnungswidrigkeit, verdächtige Person aufhält oder daß sich daselbst Gegenstände befinden, die voraussichtlich dem Verfall unterliegen oder die im Finanzstrafverfahren als Beweismittel in Betracht kommen."

(Die Hervorhebung durch den VfGH bezeichnet die in Prüfung gezogene Wortfolge des §93 Abs2 FinStrG.)

2. Der VfGH hat erwogen:

2.1. Zu den Prozeßvoraussetzungen:

Der Instanzenzug im Anlaßbeschwerdefall ist erschöpft; die Beschwerde ist zulässig.

Die Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. hatte bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des mit Beschwerde bekämpften Bescheides vom 6. Juli 1982, Straflisten-Nr. 85/82 (s. Punkt 1.2.1.), womit in den Betriebsräumen der R-Bank N reg. Genossenschaft mbH zum Zweck der Beweissicherung eine Hausdurchsuchung angeordnet worden war, die im Spruch bezeichnete, vom übrigen Gesetzestext trennbare Wortfolge aus §93 Abs2 FinStrG anzuwenden und tatsächlich angewendet; auch der VfGH hat den mit Beschwerde angefochtenen (Berufungs-)Bescheid (Punkt 1.2.1.) in Handhabung dieser - somit präjudiziellen - Gesetzesvorschrift zu prüfen.

Das Normenkontrollverfahren ist daher zulässig.

2.2. Zur Sache:

2.2.1. Vorangestellt sei, daß der VfGH an der in seinem Erk. vom 3. Dezember 1984, G24, 50/83 ua., zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung uneingeschränkt festhält. Auf die Entscheidungsgründe dieses Erk. wird besonders hingewiesen.

Im Gesetzesprüfungsverfahren - die Bundesregierung gab, wie schon erwähnt, keine Stellungnahme ab - kam nichts hervor, was die im Prüfungsbeschluß ausgebreiteten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Wortfolge des §93 Abs2 FinStrG entkräften hätte können. Die im hg. Beschl. vom 7. Juni 1985, B605/84-7, aufgezeigten Bedenken erwiesen sich vielmehr aus den im Erk. des VfGH vom 3. Dezember 1984, G24, 50/83 ua., dargelegten Überlegungen als voll zutreffend; die Worte "oder die im Finanzstrafverfahren als Beweismittel in Betracht kommen" in §93 Abs2 FinStrG sind verfassungswidrig.

2.2.2. Somit war spruchgemäß zu entscheiden.

2.3. Der Ausspruch über das Inkrafttreten der Normaufhebung und die Kundmachungspflicht stützt sich auf Art140 Abs5 B-VG, der frühere gesetzliche Bestimmungen betreffende auf Art140 Abs6 B-VG.

Schlagworte

Finanzstrafrecht, Hausdurchsuchung, Beweise, Hausrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:G160.1985

Dokumentnummer

JFT_10148798_85G00160_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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