TE Vfgh Erkenntnis 1986/3/14 B371/85

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Veröffentlicht am 14.03.1986
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Index

32 Steuerrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EStG 1972 §46 Abs1 Z2
F-VG 1948 §6

Leitsatz

EStG 1972; BG BGBl. 587/1983 Abschnitt XIV (betreffend Zinsertragsteuer); geleistete Zinsertragsteuer gemäß §46 Abs1 Z2 EStG 1972 nicht auf Einkommensteuer angerechnet; Besteuerungsgegenstand der Zinsertragsteuer entspricht dem des §27 Abs1 Z4 EStG 1972; Kreis der Abgabepflichtigen identisch; untergeordnete Verschiedenartigkeiten - wie der Bestimmungen über die Steuerbemessung und die Steuererhebung - nehmen der Regelung nicht die Gleichartigkeit; Nichtanrechnung führt zu gleichheitswidriger Doppelbesteuerung - Schwierigkeiten bei der Erhebung einer der Abgaben keine Rechtfertigung; Verletzung im Gleichheitsrecht durch Unterstellen eines verfassungswidrigen Gesetzesinhalts

Spruch

Die Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 25. April 1985 wurde die von der Bf. im Jahr 1984 zu entrichtende Einkommensteuer festgesetzt. Die Finanzlandesdirektion hat hiebei die von der Bf. geleistete Zinsertragsteuer auf die Einkommensteuer mit der Begründung nicht angerechnet, die Zinsertragsteuer sei - im Gegensatz zur Einkommensteuer - eine Objektsteuer, die vom Schuldner der Zinserträge einbehalten und abgeführt werde. Sie sei daher eine vollkommen eigenständige Abgabe, weshalb eine Anrechnung gemäß §46 Abs1 EStG 1972 nicht in Betracht komme. Die Abgabe gehöre vielmehr bei Ermittlung der aus den Zinserträgen resultierenden einkommensteuerpflichtigen Einkünfte zu den Werbungskosten.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich die Bf. in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

3. Die bel. Beh. hat in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. In der Beschwerde wird im wesentlichen vorgebracht, der angefochtene Bescheid verletze aus zwei Gründen verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte der Bf.:

a) Es werde das System der Einmalbesteuerung durchbrochen, weil die Anrechnung der einbehaltenen Zinsertragsteuer auf die Einkommensteuer verweigert werde, was eine materielle Doppelbesteuerung zur Folge habe.

b) Die Einführung einer auf die Einkommensteuerschuld nicht anrechenbaren Abzugsteuer, welche nicht alle Kapitalerträge zur Zinsertragsteuer heranziehe, diskriminiere in sachlich nicht zu vertretender Weise die Bezieher solcher Zinserträge gegenüber den Beziehern von anderen Einkünften aus Kapitalvermögen iS des §27 EStG 1972, welche entweder der Zinsertragsteuer nicht unterworfen seien oder bei welchen die Anrechnung der einbehaltenen Steuer auf die Einkommensteuerschuld vorgenommen werde.

2. a) Mit der Zinsertragsteuer soll eine Abgabe von den Erträgen risikoarmer Sparformen erhoben werden (s. den Bericht des Finanz- und Budgetausschusses, 90 BlgNR, 16. GP, S 3). Als risikoarme Sparformen - heißt es in dem Ausschußbericht - seien jene anzusehen, die dem Anleger einerseits große Sicherheit gegen Kapitalverlust und andererseits Sicherheit durch den Schutz des Bankgeheimnisses böten. Diese Merkmale träfen vor allem auf Geldeinlagen jeder Art bei Kreditunternehmungen und auf Kapitalanlagen im Form von Wertpapieren, die Forderungsrechte verbriefen, zu. Die Umschreibung des Steuergegenstandes orientiere sich daher an diesen Anlageformen.

Die Zinsertragsteuer sei als Sachsteuer - heißt es in dem genannten Ausschußbericht weiter - ausgestaltet, bei der persönliche Verhältnisse des Steuerpflichtigen nicht berücksichtigt werden. Im Gegensatz zum einkommensteuerlichen Begriff "Einkünfte", bei dem es sich um eine Nettogröße handle, stelle der Zinsertrag eine Bruttogröße dar (kein Abzug von damit zusammenhängenden Aufwendungen). Da die Zinsertragsteuer eine eigenständige Abgabe und nicht eine Erhebungsform der Einkommensteuer (Körperschaftsteuer) sei, könne die Zinsertragsteuer nicht auf die Einkommensteuer (Körperschaftsteuer) angerechnet werden.

b) Die Behörde hat die von der Bf. entrichtete Zinsertragsteuer - wie bereits oben unter Pkt. I.1. ausgeführt - nicht als iS des §46 Abs1 Z2 EStG 1972 durch Steuerabzug einbehaltene Beträge, soweit sie auf die im Veranlagungszeitraum bezogenen Einkünfte entfallen, qualifiziert; dies mit der ebenfalls bereits oben wiedergegebenen Begründung, die Zinsertragsteuer stelle eine vollkommen eigenständige Abgabe dar, welche auf die Einkommensteuer nicht anrechenbar sei.

§46 Abs1 EStG 1972 lautet im hier maßgeblichen Umfang:

"Auf die Einkommensteuerschuld werden angerechnet:

1. ...

2. die durch Steuerabzug einbehaltenen Beträge, soweit sie auf die im Veranlagungszeitraum bezogenen Einkünfte entfallen, ..."

In der im verfassungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Gegenschrift beruft sich die bel. Beh. zur Untermauerung ihrer - im übrigen auch in der Literatur vertretenen (s. Quantschnigg, "Die Zinsertragsteuer", ÖStZ 1984, S 25 f.) - Auffassung auf den bereits oben zitierten Ausschußbericht.

3. Die Behörde gibt mit ihrer Auslegung dem §46 Abs1 Z2 EStG 1972 aus folgenden Gründen einen verfassungswidrigen Inhalt:

a) Zinserträge iS des §1 Abs1 des Abschnittes XIV (betreffend die Zinsertragsteuer) des BG vom 29. November 1983, BGBl. 587 (wenn in Hinkunft Paragraphen ohne weiteren Zusatz zitiert werden, sind immer jene des Abschnittes XIV über die Zinsertragsteuer gemeint), sind ihrer Art nach zugleich der Einkommensteuer unterliegende Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß §§2 Abs3 Z5 und 27 Abs1 Z4 EStG 1972. Der in §1 Abs1 festgelegte Besteuerungsgegenstand (Zinsen aus näher bezeichneten Geldeinlagen, Forderungen und Wertpapieren) ist also identisch mit dem des §27 Abs1 Z4 EStG 1972. Auch der Kreis der Abgabepflichtigen ist insofern gleich, als in allen Fällen des Entstehens der Verpflichtung zur Leistung einer Abgabe nach den Bestimmungen über die Zinsertragsteuer auch eine Abgabenschuld nach dem EStG 1972 vorliegt; Abgabenschuldner ist in beiden Fällen der Gläubiger der Zinserträge. Die in der Literatur vertretene Auffassung (Werner Doralt, "Zinsertragsteuer verfassungswidrig?", RdW 1984/2,

S 57), der Gesetzgeber habe mit der Zinsertragsteuer von bestimmten Kapitaleinkünften iS des §27 EStG 1972 eine zweite Einkommensteuer schaffen wollen, die sich weniger leicht verkürzen lasse als die bereits bestehende, ist aufgrund dessen nicht entkräftbar. Auch aus dem oben wiedergegebenen Ausschußbericht geht hervor, daß letztlich eine besondere Einkommensbesteuerung von sonst schwer erfaßbaren Zinserträgen beabsichtigt war (was insbesondere auch aus dem ausdrücklichen Hinweis auf das Bankgeheimnis im zitierten Ausschußbericht hervorleuchtet).

Verschieden sind allerdings die auf den genannten Regelungen aufbauenden Bestimmungen über die Steuerbemessung: Nach §3 Abs1 ist Bemessungsgrundlage der Zinsertrag ohne jeden Abzug, nach dem EStG 1972 sind Abzüge vor der Bemessung zulässig und der Einkommensteuertarif stellt auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Abgabepflichtigen ab. Unterschiede in der Steuerbemessung stellen aber nach der - auch im gegebenen Zusammenhang relevanten - Rechtsprechung des VfGH zur Gleichartigkeit von Abgaben iS des §6 F-VG (s. VfSlg. 4398/1963, S 187) lediglich tarifliche Verschiedenheiten dar, welche - ansonsten gleichen - Abgabenregelungen nicht die Gleichartigkeit nehmen. Zudem dürften den von der Zinsertragsteuer betroffenen Sparbuch- und Wertpapierzinsen in aller Regel keine oder keine nennenswerten Aufwendungen (Betriebsausgaben, Werbungskosten) gegenüberstehen (s. Doralt, aaO, S 57). Auch Unterschieden in Erhebungsformen der Einkommensteuer und der Zinsertragsteuer kommt lediglich untergeordnete Bedeutung zu, zumal es der Gesetzgeber ansonsten in der Hand hätte, allein durch eine andere Einhebungsform eine - ansonsten unzulässige - doppelte Besteuerung herbeizuführen (vgl. auch in diesem Zusammenhang Doralt, aaO, S 57).

Daraus ist zu ersehen, daß die Zinsertragsteuer in Wahrheit eine Einkommensteuer und nicht eine von der Einkommensteuer verschiedene Objektsteuer darstellt. Davon geht - worauf wiederholend hinzuweisen ist - der Sache nach auch der oben zitierte Ausschußbericht aus, der als Motiv für die Einführung der Zinsertragsteuer die Besteuerung durch das Bankgeheimnis geschützter Einkünfte anführt.

Der VfGH vertritt aufgrund dessen die Auffassung, daß die Nichtanrechnung entrichteter Zinsertragsteuer auf die Einkommensteuer zu einer - im Ergebnis dem Gleichheitsgrundsatz widersprechenden - doppelten Besteuerung des Abgabepflichtigen führt (s. hiezu auch Ruppe, "Entwicklungen und Tendenzen im Österreichischen Steuerrecht" in: Steuerberater-Jahrbuch 1983/84, S 55).

b) Dieses gleichheitswidrige Ergebnis wird auch durch folgende Konsequenz deutlich:

Der Gesetzgeber hat die Zinsertragsteuer, wie bereits erwähnt, in der Absicht geschaffen, eine Abgabe von Einkünften zu erheben, welche dem Abgabepflichtigen "Sicherheit durch den Schutz des Bankgeheimnisses bieten". Es sollten also Einkünfte steuerlich erfaßt werden, bei denen infolge des Bankgeheimnisses in vielen Fällen - rechtswidrigerweise - eine Veranlagung zur Einkommensteuer nicht durchgeführt wird. Von dieser Prämisse her ist es aber sachlich nicht vertretbar, gerade in jenen Fällen, wo rechtstreue Abgabepflichtige derartige Erträge trotz des Bankgeheimnisses der Finanzbehörde bekanntgeben, durch Nichtanrechnung der entrichteten Zinsertragsteuer auf die Einkommensteuer letztlich eine doppelte Besteuerung dieser Erträge herbeizuführen.

Diese Unsachlichkeit besteht selbst dann, wenn man - wie der Gesetzgeber - davon ausgeht, daß die Zinsertragsteuer eine "eigenständige" gleichartige Abgabe dar stellt (eine zusätzlich zur Einkommensteuer erhobene Ertragsteuer, s. hiezu ebenfalls Ruppe, aaO, S 54), weil auch in diesem Fall die Schlechterstellung von sich korrekt verhaltenden Abgabepflichtigen sachlich nicht zu rechtfertigen ist. Es ist nämlich nicht vertretbar, eine Abgabe, die vor allem im Hinblick auf - durch die Beachtung des Bankgeheimnisses bewirkte - Schwierigkeiten bei der Erhebung einer anderen Abgabe geschaffen wurde, auf diese andere Abgabe nicht anzurechnen.

4. Aus den in Pkt. 3 angestellten Erwägungen ergibt sich insgesamt, daß die Behörde dem Gesetz einen Inhalt unterstellt hat, der, hätte es ihn, §46 Abs1 EStG 1972 mit Verfassungswidrigkeit belasten würde. Wenn man aber berücksichtigt, daß auch die Zinsertragsteuer durch Steuerabzug einbehalten wird, daß sie von Einkünften iS des EStG 1972 erhoben wird und denselben Steuerschuldner betrifft und daß die unterschiedliche Gestaltung der Zinsertragsteuer und der Einkommensteuer in manchen Details (Bemessungsgrundlage, Freibetrag) der Anrechenbarkeit an sich nicht entgegensteht, dann läßt §46 Abs1 Z2 EStG 1972 auch die verfassungskonforme Auslegung zu, daß die einbehaltene und entrichtete Zinsertragsteuer auf die Einkommensteuerschuld anzurechnen ist.

Die Behörde hat, indem sie dies verkannt hat, die Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt (vgl. hiezu die ständige Rechtsprechung des VfGH zum Gleichheitsgebot, zB VfSlg. 9726/1983).

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

Schlagworte

Einkommensteuer, Zinsertragsteuer, Doppelbesteuerung, Finanzverfassung, Abgabenwesen, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:B371.1985

Dokumentnummer

JFT_10139686_85B00371_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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