Kommentar zum § 364 ABGB

Nicole Konrad am 01.12.2013

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Kommentierung zu § 364 Abs 3 ABGB (samt fallbezogenen Verweisen auf § 422 ABGB)

Ein Spruch des Mahatma Gandhi lautet: „Wenn du im Recht bist, kannst du dir leisten, die Ruhe zu bewahren. Wenn du im Unrecht bist, kannst du dir nicht leisten, sie zu verlieren.“

Es gibt wohl kaum ein Rechtsgebiet, in welchem sich diese Weisheit so bewahrheitet, wie hinsichtlich der so genannten Nachbarrechte. Die praktische Relevanz von Bestimmungen, welche einen Liegenschaftseigentümer vor Einwirkungen seitens einer benachbarten Liegenschaft schützen sollen, ist evident. Die rechtlichen Instrumente hiefür sind insbesondere durch die §§ 364, 364a und 364b ABGB existent.

Die Regeln des Nachbarrechts sind Spezialregelungen für das Liegenschaftseigentum, welche im Wesentlichen zum Ergebnis führen, dass auch ein Eigentümer einer Liegenschaft diese nur in dem Rahmen gebrauchen darf, in welchem die absolut geschützten Persönlichkeitsrechte eines anderen Liegenschaftseigentümers nicht gefährdet oder beeinträchtigt werden (vgl Kerschner/Wagner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3Rz 9 zu Vor §§ 364-364b ABGB).

In der vorliegenden Kommentierung darf als Ausgangsbasis ein (lebensnahes) Beispiel gewählt werden, in welchem ein Liegenschaftseigentümer Bäume, Sträucher und andere Pflanzen knapp an der Grundstücksgrenze eines anderen Liegenschaftseigentümers, seines Nachbarn, pflanzt. Im Laufe der Jahre werden aus den einst niedrigen Bäumchen gar große Bäume, welche sowohl durch herabfallendes Laub und Nadeln, Schattenwürfe, eindringendes Wurzelwerk und überhängende Äste adäquat dafür sind, dem Nachbarn „das Leben zu erschweren“.

Die Beurteilung der Abwehrrechte des beeinträchtigten Nachbarn hat einerseits anhand des § 364 Abs 3 ABGB und andererseits anhand des § 422 ABGB zu erfolgen, sodass diese Kommentierung sich insbesondere auf das Zusammenspiel dieser beiden Gesetzesstellen Bezug nimmt:

Vorwegzunehmen ist, dass das Wachsen von Bäumen oder Pflanzen grundsätzlich als natürlicher Vorgang gesehen wird, weshalb nach der Rechtsprechung keine Verpflichtung dazu besteht, Bäume und Sträucher oder andere Pflanzen nicht in Grenznähe oder an einer Grundgrenze zu pflanzen oder Wurzeln und Äste „rechtzeitig“ abzuschneiden (vgl OGH 05.05.1982, 1 Ob 556/82).

Herabfallendes Laub oder Nadeln:

Herabfallendes Laub oder Nadeln sind als natürliche Immissionen durch Bäume hinzunehmen. Etwaige Abwehransprüche des hiedurch beeinträchtigen Liegenschaftseigentümers bestehen folglich nur in Extremfällen (vgl Kerschner/Wagner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 Rz 358 zu § 364-364 ABGB).

Negative Immissionen – Entzug von Licht oder Luft (§ 364 Abs 3 ABGB):

Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2004 kann ein Liegenschaftseigentümer einem Nachbarn die von dessen Bäumen oder anderen Pflanzen ausgehenden Einwirkungen durch den Entzug von Licht (oder Luft) – so genannte negative Immissionen – untersagen, wenn diese (kumulativ) das

-  nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten

und

- zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Benutzung eines Grundstücks führen.

Hierin begründet sich folglich ein Unterlassungsanspruch eines beeinträchtigten Liegenschaftseigentümers gegen den „störenden Nachbarn“.

Da regelmäßig das subjektive Empfinden eines beeinträchtigten Nachbarn von den objektiven Voraussetzungen - Überschreitung des nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnlichen Maßes und unzumutbare Nutzungsbeeinträchtigung - abweicht, entwickelten sich in der eher restriktiv eingestellten Rechtsprechung Beurteilungskriterien für negative Immissionen.

Eine unzumutbare Nutzungsbeeinträchtigung wird etwa angenommen bei Beeinträchtigungen der körperlichen Sicherheit der Bewohner des Nachbargrundes, Versumpfen, Vermoosen oder Unbrauchbarwerden größerer Grundstücksteile, der Notwendigkeit künstlicher Beleuchtung zu Mittag eines helllichten Sommertages oder auch bei Unbrauchbarwerdens einer bestehenden Solaranlage (EBzRV 173 BlgNr 22. GP 12).

Hieraus ergibt sich weiters, dass das Ausmaß, als auch die Lage der durch Lichtentfall beeinträchtigten Fläche zu berücksichtigten sind (vgl OGH 31.01.2007, 8 Ob 99/06a). 

Wie aus dieser verklausulierten und vielfach kritisierten Definition der Unzumutbarkeit der Beeinträchtigungen ersichtlich ist, ist in der Praxis eine verlässliche und abschließende Beurteilung hinsichtlich der Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit einer Beeinträchtigung nur schwer möglich; nicht zuletzt deshalb, da es sich stets um eine Einzelfallentscheidung handelt.

Zusammengefasst kann hinsichtlich der negativen Immissionen jedenfalls festgehalten werden, dass eine massive Beeinträchtigung der Verwendungs- und Nutzungsmöglichkeiten einer Liegenschaft bzw eines Grundstücks vorzuliegen hat, um als solche qualifiziert zu werden und Untersagungsansprüche - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - wirksam durchsetzen zu können.

Der OGH verneinte in den bisher entschiedenen Fällen überwiegend eine unzumutbare Beeinträchtigung durch Beschattung und dies durchaus in Fällen von massiven Beeinträchtigungen.

Als Beispiel hierzu dient die Entscheidung des OGH vom 31.01.2007 zu GZ 8 Ob 99/06a, in welcher an einer Grundstücksgrenze 55 Fichtenbäume mit einer durchschnittlichen Höhe von 22 m, die alternativ 1,5 m bis 3 m vom bestehenden Zaun entfernt emporwuchsen und nachweislich entsprechenden Schattenwurf verursachten, als „ortsüblich“ und „nicht unzumutbar“ qualifiziert wurden, da an 102 Tagen des Jahres keine Sonnenlichtbeeinträchtigung erfolgte.

Bejaht wurde hingegen die Unzumutbarkeit von Beeinträchtigungen im Falle einer Buchenhecke von 6 m bis 8 m , da das Grundstück der Klägerin zusehends vermooste und es nicht mehr möglich war, in diesem Bereich Erdbeeren und Grünpflanzen anzubauen (OGH 17.12.2007, 8 Ob 116/07b).

Eine sichere Prognose hinsichtlich der Erfolgschancen einer Unterlassungsklage gegen den „störenden Nachbarn“ aufgrund von negativen Immissionen kann demnach nicht (nie) erstattet werden.

Wesentlich ist, dass vor der Einbringung einer Klage wegen negativen Immissionen zwingend ein Schlichtungsversuch oder der Abschluss eines prätorischen Vergleichs vor Gericht durchzuführen ist. Diese „Hürde“ wurde seitens des Gesetzgebers vorgeschaltet, um Rechtsmissbrauchsmöglichkeiten des Nachbarrechts Einhalt zu gebieten.

Eindringende Wurzeln und überhängende Äste (§ 422 ABGB):

Zur Beurteilung der Problematik der eindringenden Wurzeln und der überhängenden Äste der Bäume des Nachbargrundstücks ist auf § 422 ABGB zu verweisen. Nach dessen Abs 1 kann jeder Eigentümer die in seinen Grund eindringenden Wurzeln eines fremden Baumes oder einer anderen fremden Pflanze aus seinem Boden entfernen und die über seinen Luftraum hängenden Äste abschneiden oder sonst benützen.

Davon umfasst ist jedoch nicht die Befugnis, das Grundstück des Nachbarn zu betreten oder die abgeschnitten Äste auf das Baumgrundstück zurückzuwerfen.

Zwingende Voraussetzung ist, dass der "beeinträchtigte Nachbar" bei der Entfernung der Äste und Wurzeln fachgerecht vorgeht und die Pflanze dabei möglichst schont. Diese Bedingung geht gar so weit, dass man sich bei fehlender eigener Sachkenntnis eines fachkundigen Dritten bedienen muss, widrigenfalls man sich selbst der Gefahr von Schadenersatz- und Unterlassungsansprüchen des Nachbarn aussetzt.

Gemäß § 422 Abs 2 ABGB hat der beeinträchtigte Grundeigentümer die für die Entfernung der Wurzeln und das Abschneiden der Äste notwendigen Kosten (selbst) zu tragen. Nur für den Fall, dass dem beeinträchtigten Grundeigentümer durch die Wurzeln oder Äste ein Schade entstanden ist (oder ein solcher droht), hat der Eigentümer des Baumes oder der Pflanze die Hälfte der notwendigen Kosten zu ersetzen.

Die Rechtslage erscheint damit insgesamt auf den ersten Blick recht klar, da dem beeinträchtigten Grundeigentümer damit ein Selbsthilferecht gewährt wird, welches in der zivilen Rechtsordnung üblicherweise nur sehr eingeschränkt und selten besteht.

Dieses Selbsthilferecht stellt nach langjähriger Rechtsprechung eine abschließende Regelung, weshalb ausschließlich dieses zusteht und nicht (zusätzlich oder optional) auch ein Beseitigungsanspruch, ein Unterlassungsanspruch oder ein Anspruch auf nachbarrechtlichen Ausgleich oder Schadenersatz gegen den Nachbarn.

Die einzige Ausnahme, wonach zusätzlich zum Selbsthilferecht auch ein Anspruch auf Unterlassung (nach § 364 Abs 3 ABGB) bestünde, tritt in jenen Fällen ein, in denen die Nutzung des betroffenen Grundstücks wesentlich beeinträchtigt wird und dieser Zustand unzumutbar ist und dies alles durch die Ausübung des Selbsthilferechts nicht verhindert werden kann. Die Konsequenz dieser Ausnahme bedeutet anders ausgedrückt, dass man überhängende Äste oder fremde Wurzeln in solchen Fällen eben nicht selbst entfernen muss, sondern hat der Nachbar als Eigentümer des Baumgründstückes dies zu unterlassen - was faktisch nur dadurch möglich ist, dass er die Äste rechtzeitig schneidet bzw das Wurzelwerk selbstständig entfernt.

Zusammenfassend ergibt sich, dass rechtliche Instrumente für die Geltendmachung von "Nachbarrechten" umfangreich bestehen; deren Durchsetzbarkeit jedoch im Falle der negativen Immissionen nur sehr eingeschränkt möglich ist.

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§ 364 ABGB | 14. Version | 3975 Aufrufe | 01.12.13
Informationen zum Autor/zur Autorin dieses Fachkommentars: Nicole Konrad
Zitiervorschlag: Nicole Konrad in jusline.at, ABGB, § 364, 01.12.2013
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