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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
VwGG §30 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des E, vertreten durch die Rechtsanwälte Mandl GmbH, Churerstraße 3/I, 6800 Feldkirch, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. März 2019, Zl. W113 2195154- 1/27E, betreffend Genehmigung nach dem UVP-G 2000 (mitbeteiligte Parteien: 1.) ÖBB-Infrastruktur AG in Wien, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte in 1010 Wien, Schottenring 12, 2.) Marktgemeinde L, vertreten durch Summer Schertler Kaufmann Droop Lerch Rechtsanwälte GmbH in 6900 Bregenz, Kirchstraße 4, 3.) Marktgemeinde H, 4.) Marktgemeinde X,
5.) Gemeinde H, 6.) Gemeinde F; vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde: Vorarlberger Landesregierung), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:
Spruch
Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.
Begründung
I. Gegenstand
1 A. Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis entschied das Bundesverwaltungsgericht (VwG) über die vom Antragsteller erhobene Beschwerde gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 1. März 2018, mit welchem die Genehmigung für das Vorhaben "ÖBB Infrastruktur AG, Nahverkehrsgerechter Ausbau und Attraktivierung des Streckenabschnitts Lustenau - Lauterach" erteilt worden war. Das VwG wies die Beschwerde des Antragstellers als unbegründet ab und erachtete eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof als unzulässig.
2 B. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, zur Zl. Ra 2019/03/0040 protokollierte Revision, mit der der Antrag verbunden ist, dieser aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. 3 Begründet wurde dieser Antrag im Wesentlichen damit, dass die Auswirkungen eines sofortigen Baubeginns fatal seien. Der Sachverständige für Humanmedizin habe ausgeführt, dass während der Bauzeit an 55 Tagen und Nächten massive lärmbedingte Grenzwertüberschreitungen festzustellen seien, dieser gehe von erheblichen Gesundheitsgefährdungen aus. Weiters sei dem Sachverständigen für den Eisenbahnbetrieb zufolge das Betriebsprogramm Prognose 25+ mit der gegebenen Kapazität der Bestandsstrecke (ohnehin) bestens durchzuführen. Wenn man berücksichtige, dass diese Prognose sich auf eine Zeitspanne von 2025 bis 2040 beziehe und die bisherige Kapazität für Erweiterungen von bis zu einem Drittel des bisherigen Verkehrs ausreiche, müsse erst in vielen Jahren mit einem Bau begonnen werden. Es stünden der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung auch keine zwingenden öffentlichen Interessen entgegen.
4 C. Die erstmitbeteiligte Partei sprach sich gegen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung aus und brachte in ihrer Stellungnahme zusammengefasst vor, der Antragsteller habe nicht dargelegt, dass für ihn mit dem Vollzug der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Der humanmedizinische Sachverständige sei zum Schluss gekommen, dass die Einwirkungen des Baulärms in Summe als nicht erheblich belästigend zu beurteilen seien und keine Gefahr für die Gesundheit durch den Baulärm zu erwarten sei. Ferner bezögen sich die vom Antragsteller behaupteten ca. 55 Tage, an denen es möglicherweise zu Einwirkungen kommen könnte, nicht auf den Antragsteller selbst, sondern grundsätzlich auf Anrainer des Vorhabens, da es sich um eine "wandernde Baustelle" handle. Weiters stünden der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung öffentliche Interessen entgegen. Durch das gegenständliche Vorhaben komme es zu einer Verbesserung der Gesundheit der Anrainer und einem Ausbau der Eisenbahninfrastruktur sowie der Förderung des Nahverkehrs. Der zu erwartenden Umstieg von Verkehrsteilnehmern vom motorisierten Individualverkehr auf den öffentlichen Verkehrs bringe eine Reduktion klimaschädlicher und lufthygienisch relevanter Gase mit sich, gleichzeitig komme es zur barrierefreien Neuerrichtung einer Haltestelle und der Anpassung bestehender Gleisanlagen, welche auch zu einer Erhöhung der Sicherheit im Schienenverkehr führe.
5 Die zweitmitbeteiligte Partei erstattete ebenfalls eine Stellungnahme, in welcher sie sich gegen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung aussprach und zusammengefasst begründend ausführte, dass die im Verfahren vor dem VwG eingeholten Sachverständigengutachten eindeutig widerlegt hätten, dass dem Antragsteller mit Beginn der Bauarbeiten gesundheitliche Schäden drohten. Darüber hinaus widerspreche die Gewährung der aufschiebenden Wirkung dem öffentlichen Interesse, da die gegenständliche Strecke nicht mehr den derzeitigen Anforderungen entspreche.
6 Auch die belangte Behörde erstattete eine Stellungnahme in der sie sich gegen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung aussprach und zusammengefasst ausführte, dass der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung schwerwiegende öffentliche Interessen entgegenstünden. Eine Verzögerung des Vorhabens führe zu negativen Auswirkungen für den Fern- und Nahverkehr und hätte darüber hinaus erhebliche finanzielle Auswirkungen. Die in der Bauphase zu erwartenden schweren Belastungen für den Antragsteller würden nur für kurze Zeit auftreten und alternierten mit Phasen deutlich geringerer Belastung. Die negativen Auswirkungen einer aufschiebenden Wirkung würden überwiegen, ein unverhältnismäßiger Nachteil für den Antragsteller liege nicht vor.
II. Würdigung
7 A. Nach § 30 Abs. 1 VwGG kommt einer Revision eine aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes nicht zu. Nach § 30 Abs. 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, insoweit dem zwingende öffentliche Interessen nicht entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug des Bescheides für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Nach der ständigen Rechtsprechung ist im Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht zu beurteilen (vgl. etwa VwGH 13.3.2019, Ra 2019/03/0025, mwH). Selbst die mögliche Rechtswidrigkeit des Erkenntnisses ist kein Grund für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Ist daher das in der Revision erstattete Vorbringen nach der Aktenlage nicht etwa von vornherein als zutreffend zu erkennen, ist bei der Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung jedenfalls zunächst von den Annahmen des Verwaltungsgerichts auszugehen. Unter den "Annahmen des Verwaltungsgerichts" sind hiebei die Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Erkenntnis zu verstehen, die nicht von vornherein als unschlüssig zu erkennen sind bzw. die ins Auge springende Mängel nicht erkennen lassen (vgl. aus der ständigen Judikatur etwa VwGH 13.3.2019, Ra 2019/03/0025; VwGH 30.10.2018, Ra 2018/07/0377, VwGH 10.8.2018, Ra 2018/03/0066; VwGH 7.9.2017, Ra 2017/10/0139). Von zwingenden öffentlichen Interessen im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG kann im Übrigen nur gesprochen werden, wenn die konkrete Interessenslage öffentliche Rücksichten berührt, die einen umgehenden Vollzug des angefochtenen Bescheides gebieten. Der Umstand, dass öffentliche Interessen am Vollzug einer behördlichen Maßnahme bestehen, berechtigt nicht schon ohne Weiteres zur Annahme, dass eben diese Interessen auch eine sofortige Verwirklichung der getroffenen Maßnahmen zwingend gebieten. Hiezu bedarf es noch des Hinzutretens weiterer Umstände, um die öffentlichen Interessen als "zwingend" im Sinne der genannten Gesetzesstelle ansehen zu können (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung wiederum VwGH 13.3.2019, Ra 2019/03/0025; VwGH 10.8.2018, Ra 2018/03/0066 sowie VwGH 5.7.2018, Ra 2018/16/0075, jeweils mwH).
8 B. Selbst wenn man mit dem Antragsteller davon ausgeht, es bestehe an einer sofortigen, keinerlei Aufschub duldenden Umsetzung des angefochtenen Erkenntnisses kein zwingendes öffentliches Interesse im dargelegten Sinn, ist damit für den Aufschiebungsantrag nichts zu gewinnen.
9 Diesfalls ist auf Basis der dargestellten Rechtslage nämlich in die Interessenabwägung einzutreten, die entscheidend von den im Aufschiebungsantrag zur Darlegung des "unverhältnismäßigen Nachteiles" vorgebrachten konkreten Angaben abhängt. Um die vom Gesetzgeber geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können, ist es grundsätzlich erforderlich, dass der Revisionswerber schon in seinem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darlegt, aus welchen tatsächlichen Umständen sich der von ihm behauptete unverhältnismäßige Nachteil ergibt (vgl. etwa VwGH 13.3.2019, Ra 2019/03/0025; VwGH 5.3.2019, Ra 2019/08/0041, jeweils mwH). Die Anforderungen an die Konkretisierungspflicht sind streng (vgl. etwa VwGH 4.2.2019, Ra 2018/04/0179; VwGH 10.8.2018, Ra 2018/03/0066, jeweils mwH).
10 Im vorliegenden Fall erblickt der Antragsteller einen unverhältnismäßigen Nachteil darin, dass es in der Bauphase zu lärmbedingten Grenzwertüberschreitungen kommen würde, welche sich erheblichen gesundheitsgefährdend auswirken würden. Demgegenüber kommt das VwG (gestützt auf Sachverständigengutachten) diesbezüglich zum Ergebnis, dass der Antragsteller keine vorhabensbedingten Lärmimmissionen zu erwarten habe, die ein gesundheitsbeeinträchtigendes Niveau erreichten. In der Bauphase sei mit einer Belästigung zu rechnen, die aber nicht erheblich und nicht als gesundheitsgefährdend zu qualifizieren sei. Der Sachverständige für Humanmedizin habe schlüssig ausgeführt, dass es aufgrund der zu erwartenden Lärmbelästigung durch die Baustelle zu Aufwachreaktionen kommen könne. Da die Belastung nur kurzfristig sei, wirke sie zwar störend, aber keinesfalls gesundheitsbeeinträchtigend.
11 Ausgehend von diesen Ausführungen vermag der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Provisorialverfahren die im angefochtenen Erkenntnis enthaltenen Erwägungen bezüglich des festgestellten Sachverhalts im Zusammenhalt mit der diesen zu Grunde liegenden Beweiswürdigung nicht etwa von vornherein als unzutreffend bzw. als unschlüssig zu erkennen, zumal nach der Rechtslage die Frage der Rechtmäßigkeit derartiger Erwägungen erst im ordentlichen Verfahren zu prüfen sein wird. Dies auch vor dem Hintergrund, dass der Verwaltungsgerichtshof im Revisionsverfahren ohnehin zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist und sich deren Kontrolle daher nur darauf beziehen kann, ob im gegebenen Fall eine Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen wurde; es kann derart auch nicht gesagt werden, dass das Antragsvorbringen von vornherein als zutreffend zu erkennen wäre (vgl. dazu etwa VwGH 10.8.2018, Ra 2018/03/0066; VwGH 10.5.2017, Ra 2017/03/0016).
12 Auf dieser Grundlage gelingt es dem Antragsteller nicht, vorliegend einen ihm drohenden unverhältnismäßigen Nachteil iSd § 30 Abs. 2 VwGG darzulegen. Es kann daher dahinstehen, ob der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im vorliegenden Fall nicht auch zwingende öffentliche Interessen entgegenstünden. III. Ergebnis
13 Dem Aufschiebungsantrag war daher nach § 30 Abs. 2 VwGG nicht stattzugeben.
Wien, am 6. Mai 2019
Schlagworte
Zwingende öffentliche InteressenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019030040.L00Im RIS seit
24.07.2019Zuletzt aktualisiert am
24.07.2019